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Neun Monate Haft in TürkeiBritsch vermutet Kalkül im Desinteresse der Regierung

Lesezeit 4 Minuten
Der Pilger David Britsch weiß bis heute nicht, warum er Anfang April 2017 von der türkischen Polizei festgenommen wurde.

Der Pilger David Britsch weiß bis heute nicht, warum er Anfang April 2017 von der türkischen Polizei festgenommen wurde.

Köln – Selbst dem Riesenschlamassel, in den David Britsch geriet, als er vor einem Dreivierteljahr in der Türkei festgenommen wurde, will der 55-Jährige heute – elf Tage nach seiner Rückkehr nach Deutschland – etwas Gutes abgewinnen.

Dazu zählt der Schweriner die Lehre, dass viele der Menschen, die aus dem Nahen und Mittleren Osten gen Europa drängen, von rigiden Glaubensüberzeugungen getrieben seien, die mit hiesigen Vorstellungen von Rechtsstaatlichkeit und Demokratie schwerlich vereinbar sind.

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So habe er bei seinen 30 bis 40 Mithäftlingen in einem Abschiebegefängnis der osttürkischen Stadt Erzurum – unter ihnen gut situierte, gebildete Männer – eine Bereitschaft zum „Kampf für Allah“ oder „die Sache des Islams“ bis hin zum Selbstmord-Martyrium kennengelernt, die ihn ebenso beeindruckt wie irritiert habe, erzählt Britsch im Gespräch mit dieser Zeitung.

Auf offener Straße einkassiert

Vielleicht muss man sich für diese Erkenntnis nicht unbedingt – wie Britsch – zu Fuß auf eine „Pilgerreise“ über den Balkan und quer durch die Türkei in Richtung Jerusalem begeben. Aber immerhin sind seine Erfahrungen auf ihre Art ziemlich einzigartig. Die Türken hatten ihn Anfang April nach einer Wegstrecke von mehr als 3500 Kilometern auf offener Straße einkassiert.

Warum, ist bis heute völlig unklar. Weder er selbst noch deutsche Behörden oder seine türkische Pflichtverteidigerin, die Britsch nach etlichen Monaten des Hin und Her zur Seite stehen durfte, bekamen je einen Tatvorwurf präsentiert. Er geht aber davon aus, dass ihm sein Reise-Blog zum Verhängnis wurde, in dem er unter anderem über Zufallsbegegnungen mit kurdischen Separatisten berichtet und sich über türkische Polizei-Willkür mokiert hatte.

Konsularische Betreuung verweigert

Im Grunde aber sieht Britsch sich in der Rückschau als politische Geisel des Regimes von Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan. Dafür gebe es klare Indizien. So hätten ihm die Verantwortlichen im Gefängnis auf die Frage nach seiner etwaigen Abschiebung oder aber Freilassung erklärt, das werde „in Ankara entschieden“. Die türkischen Behörden hätten zwar so etwas wie ein geordnetes Vorgehen simuliert – mit allerhand Formularen oder Rechtsbehelfsbelehrungen etwa. Als er aber auf konsularischer Betreuung bestanden habe, sei dieses Ansinnen ignoriert oder sabotiert worden.

In diesem Zusammenhang erhebt Britsch Vorwürfe gegen die deutsche Diplomatie. Vertreter der Botschaft in Ankara hätten zwar wiederholt versucht, Kontakt zu ihm aufzunehmen und seien nach Erzurum gereist. Die Diplomaten hätten sich aber von den türkischen Behörden sang- und klanglos abspeisen lassen, als diese den Zugang zu Britsch verweigerten.

Massivere Intervention gewünscht

So kam es in der gesamten Zeit nur zu drei direkten Begegnungen. „Ich hätte mir stärkeren Druck erwartet, weil die Türkei ganz offensichtlich gegen internationale Vereinbarungen verstoßen hat. Spätestens als ich nach sechs Monaten aus der Abschiebehaft hätte entlassen werden müssen, wäre der Zeitpunkt für eine viel massivere Intervention gekommen gewesen.“

Die Bedingungen seiner Haft beschreibt Britsch als belastend, wenn auch nicht katastrophal. Er musste sich seine Zelle mit fünf bis sieben Mithäftlingen teilen. Freigänge auf einem winzigen betonierten Innenhof waren kurz und selten, Telefonate mit der deutschen Botschaft oder seiner Familie strikt reglementiert und zudem nicht verlässlich gewährleistet.

Taktik der „Willkür und Zersetzung“

Britsch spricht von einer Taktik der „Willkür und Zersetzung“. Manchmal habe er auch körperliche Gewalt erdulden müssen. Ein Wachmann habe ihn brutal ins Gesicht geschlagen, als er sich gegen den „Kasernenhofton“ wehren wollte, mit dem er zu schnellerem Essen angetrieben werden sollte.

Seit seiner überraschenden Freilassung am 21. Dezember und seiner Rückkehr nach Deutschland noch am Abend dieses Tages hat Britsch nach eigenen Angaben weder von Außenminister Sigmar Gabriel (SPD) noch von Vertretern des Auswärtigen Amtes „auch nur einen Pieps gehört“.

Hinter dem Desinteresse vermutet Britsch ein politisches Motiv. „Die Regierung weiß sehr genau, dass sie für mich nur einen Bruchteil dessen getan hat, was sie für andere politische Gefangene eingesetzt hat, und ich habe den Eindruck, dass Sigmar Gabriel das nicht an die große Glocke gehängt wissen will.“

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