NRW-Chef des Verfassungsschutz„Gefahr wächst durch neues Islamisten-Netzwerk“

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Burkhard Freier, Chef des Verfassungsschutzes in NRW

Burkhard Freier, Chef des Verfassungsschutzes in NRW

  • Burkhard Freier, Chef des Verfassungsschutzes in NRW, spricht im Interview über steigende Anschlagsgefahr durch eine neue Dschihad-Generation.
  • Der Verfassungsschutz beobachte eine internationale Vernetzung.
  • Besonders eine Gruppe von kaukasischen Islamisten beschäftigt die Behörde.

Herr Freier, die türkischen Behörden haben den Islamisten Metin Kaplan, bekannt als der Kalif von Köln, von allen Terrorvorwürfen freigesprochen, somit könnte er wieder zurück nach Deutschland. Droht da neuer Ärger? Freier: Sollte Metin Kaplan nach Köln zurückkehren, würden die hiesigen Sicherheitsbehörden prüfen, ob er als islamistischer Gefährder eingestuft wird. Zumal man damit rechnen muss, dass der Chef des verbotenen Verbandes „Kalifatsstaat“ sofort wieder versuchen wird, neue Anhänger zu gewinnen. Das ist aber wenig erfolgversprechend. In seiner Hochphase, zum Ende der 90er Jahre, predigte die Organisation einen gewaltsamen Islamismus. Damit schaffte Kaplan es auch, viele junge Leute an sich zu ziehen. Inzwischen aber ist die Vereinigung nicht mehr so attraktiv für die jüngeren Generationen. Denn dazu fehlt Metin Kaplan und anderen Führungsfiguren das Charisma. Viele junge Anhänger des Kalifatsstaats fühlen sich jetzt mehr von der salafistisch-dschihadistischen Szene rund um die Terror-Miliz „Islamischer Staat“ (IS) angezogen.

Etliche der ehemaligen Kaplan-Sympatisanten zählten zum Umfeld einer mutmaßlichen Terrorgruppe tadschikischer Flüchtlinge, die vergangenes Jahr in NRW verhaftet wurde. Entsteht da ein neues islamistisches Netzwerk?

Es geht nicht um Anhänger des Kalifatstaates. Aus unserer Sicht hat sich vielmehr in Deutschland und auch in NRW ein neues militantes Personengeflecht gebildet, von dem ein hohes Gefahrenpotenzial ausgeht. Junge Extremisten beispielsweise Tschetschenen aus dem Kaukasus, verbinden sich mit Kosovo-Albanern, die teils enge Kontakte zu dem Attentäter von Wien unterhielten. Diese Dschihadisten versuchen sich inzwischen weit über deutsche Grenzen hinaus mit IS-Kadern in Westeuropa zu vernetzen. Dadurch nimmt die Anschlagsgefahr deutlich zu. Die Mischung stellt eine große Herausforderung für die hiesigen Sicherheitsbehörden dar.

Lesen Sie hier alle Folgen der Clan-Serie.

Wie eng waren die Kontakte des Wiener Attentäters, der vier Menschen erschossen und 23 Personen teils schwer verletzt hat, zu deutschen Dschihadisten?

Der Täter war nicht allein, sondern hatte Helfer. Er unterhielt zumindest mittelbare Kontakte zu deutschen Islamisten. Durch diese länderübergreifenden Beziehungen radikalisieren sich die einzelnen Gruppen weiter. Folglich steigt auch das Gewaltpotenzial.

Was macht die neue Dschihad-Generation so gefährlich?

Im Vergleich zu einem deutschen konvertierten Salafisten geht von kaukasischen Extremisten eine weitaus größere Militanz aus. Etliche dieser Zuwanderer haben in der Heimat schon gekämpft. Sie kennen sich mit Waffen aus, haben selbst Gewalt erlebt nebst Kriegserfahrungen und sind teilweise verroht. Das heißt, in diesem Netzwerk nimmt die Hemmschwelle ab, die angeblich Ungläubigen zu attackieren. Dazu kommt, dass diese Leute sich über die Verbindung zu Islamisten mit albanischem Hintergrund leichter Waffen vom Balkan beschaffen können. Zudem bewegen sich tschetschenische Extremisten aus NRW auch im Bereich der Organisierten Kriminalität.

Wie sehen die Verbindungen zwischen Dschihadisten und dem Organisierten Verbrechen (OK) denn aus?

Nach den Erkenntnissen der Sicherheitsbehörden operieren auch kaukasische Extremisten im OK-Bereich. Dabei geht es um alles, was Geld einbringt. Das reicht von Betrügereien, Schutzgelderpressung, anderen Gewaltdelikten bis hin zum Drogenhandel. Diese Mischung macht die Personen so gefährlich.

Aus welchem Extremistenbereich droht derzeit eine höhere Anschlagsgefahr: von rechts oder durch Islamisten?

Schwer zu beantworten. Allerdings stellen die Verfassungsschützer Parallelen fest. Denken Sie an Paris, Nizza oder Dresden im vergangenen Jahr. Stets waren allein handelnde islamistische Täter – meist mit einem ideologischen Umfeld - am Werk. Ähnlich verhielt es sich bei den rechtsextremen Anschlägen in Hanau, Halle oder dem Mord an dem Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübcke. Andererseits sind da auch große Unterschiede festzustellen. Über Ländergrenzen hinweg organisieren islamistische Netzwerke koordinierte Attentate. Solche Anschläge erzeugen unter der Bevölkerung eine immense Wirkung. Zwar registrieren die Sicherheitsbehörden aktuell auch im rechtsextremistischen Bereich Hinweise auf organisierte Szenarien. Man denke nur an die enttarnte Gruppe S., die tödliche Attacken auf Muslime, Politiker und linke Gruppen geplant haben soll. Dennoch besteht aus meiner Sicht die größere Gefahr eines koordinierten Anschlags durch Islamisten.

Warum ist NRW erneut Hotspot solcher Gruppierungen? Das betrifft nicht nur NRW. Die Beziehungen solcher islamistisch-terroristischer Gruppen reichen über den deutschsprachigen Raum bis nach Frankreich und Belgien. In NRW liegt der Schwerpunkt in Ostwestfalen. Hier agitiert eine größere Community tschetschenischer Salafisten.

Ex-Anhänger des Kalifatstaates haben gemeinsam mit tadschikischen Terrorverdächtigen Angriffstaktiken beim Paintballspiel im westfälischen Rheine trainiert. Beunruhigt Sie das? Wenn Anhänger unterschiedlicher Szenen miteinander trainieren, ist das ein Beispiel, wie sich diese Gruppen auf den Dschihad vorbereiten. Zudem wird mit Messern trainiert, wie bei den Rechtsextremisten auch spielt der Kampfsport in der kaukasischen Salafisten-Szene eine große Rolle. Bei diesen Übungseinheiten baut man ein gemeinsames Feindbild auf. Dadurch wächst die Gefahr, dass nicht nur über Angriffe auf unsere Gesellschaft geredet, sondern auch entsprechend gehandelt wird. Deshalb haben die Sicherheitsbehörden die bedrohliche Lage sehr intensiv im Blick.

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Gibt es auch Kontakte von Anhängern des ehemaligen Kalifatstaates zu militanten Kölner Salafisten?

Es gibt Kontakte von Kaplan-Anhängern aus Köln zu dortigen Salafisten, weil sich die jeweiligen Ideologien durchaus ähneln.

Stichwort Terrorfinanzierung, in welchem Ausmaß fließt Geld aus NRW an den IS?

Die Szene versucht auch über kriminelle Aktivitäten Geld für ihre Zwecke zu beschaffen. Hier einige Beispiele: Auch wenn es schon länger her ist, erinnere ich an diese Fälle: 2017 standen dschihadistische Salafisten in Köln vor Gericht, die mehrfach in Kirchen eingebrochen waren, um Geld für den bewaffneten Dschihad in Syrien zu sammeln. Sie sind zu mehrjährigen Haftstrafen verurteilt worden. Andere Islamisten haben jahrelang Waren auf Kredit bestellt, die sie online wieder verkauften. Statt den Kredit zurückzuzahlen haben sie den Verkaufserlös einbehalten und für ihre Ausreise und den Aufenthalt in einem von dschihadistischen Milizen kontrollierten Gebiet verwendet.

Gibt es weitere Geldquellen?

Nach den militärischen Niederlagen in Syrien und im Irak versucht sich der IS in den Krisengebieten im Untergrund wieder zu reorganisieren. Für die hiesige Szene, sind Ausreisen in die Kriegsregionen derzeit so gut wie nicht möglich. Vor dem Hintergrund sucht man sich neue Aktionsfelder. Über die sozialen Medien werden Spenden eingesammelt oder Benefiz-Aktionen für IS-Gefangene in den großen kurdischen Lagern im Nordosten Syriens inszeniert. Mit dem Geld sollen auch Internierte freigekauft und in die Türkei geschleust werden.

Es heißt, dass die Szene hierzulande mit den Spenden auch die Agitation des IS in den Lagern fördert.

Das stimmt. Diese Zuwendungen aus Deutschland helfen der Terror-Miliz, ihre Ideologie in den Gefangenen-Camps weiter zu verbreiten. Das Geld kommt Inhaftierten zu Gute, die damit ihren Lebensunterhalt bestreiten oder für die Flucht aus dem Camp einsetzen. Somit besteht die Gefahr, dass die Bindung an die Ideologie unter den IS-Internierten weiter zunimmt.

Was bedeutet dies für die Rückkehrer?

Derzeit befinden sich noch etwa 110 Personen aus NRW im Kriegsgebiet, der größte Teil ist in den Lagern interniert. Diese Männer und Frauen stellen nach ihrer Rückkehr eine enorme Gefahr dar. Deshalb begegnen die Sicherheitsbehörden der Bedrohungslage durch ein dreistufiges Modell. Sie sammeln alle Erkenntnisse zu IS-Anhängern und tauschen sich eng zu diesem Personenkreis aus, um die Rückkehr koordiniert begleiten zu können. Häufig werden viele bei ihrer Wiedereinreise bereits am Flughafen verhaftet. Bisher wurde gegen rund zwei Drittel der Rückkehrer ein Ermittlungsverfahren eingeleitet. Sollten die Anhaltspunkte nicht dafür ausreichen, werden diese Leute engmaschig überwacht. Ferner kümmert sich ein spezieller Rückkehrkoordinator beim Verfassungsschutz um diesen Personenkreis. Der bündelt die erforderlichen Maßnahmen von Sicherheitsbehörden, Jugendämtern, Schule und Ausstiegsangeboten. Dabei geht es vor allem darum, dass gerade Frauen und Kinder nicht direkt wieder in die Salafisten-Szene abrutschen.

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