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Energiekrise, Cybercops, CoronaSo schlagen sich die NRW-Minister nach 100 Tagen

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NRW-Ministerpräsident Hendrik Wüst (l.) mit Ministerinnen und Ministern.

Düsseldorf – Seit knapp 100 Tagen ist die schwarz-grüne Regierung in Nordrhein-Westfalen im Amt. Geleitet wird sie von Ministerpräsident Hendrik Wüst (CDU). Wir haben uns mal seine Ministerien genauer angesehen und bewertet, wie gut oder schlecht die sich bislang in der Bewältigung ihrer großen Aufgaben schlagen. Der „Kölner Stadt-Anzeiger“ stellt Zwischenzeugnisse für Herbert Reul, Josefine Paul, Dorothee Fellner, Oliver Krischer und Mona Neubaur aus.

Herbert Reul: Der Innenminister und die Maschinenpistolen

Zunächst zur Innenpolitik von Herbert Reul: Der Polizeieinsatz von Dortmund, bei  der ein 16-jähriger Asylbewerber aus dem Senegal getötet wurde, war das zentrale innenpolitische Thema seit der Regierungsbildung. Die Details des Einsatzes, die sich scheibchenweise offenbarten, werfen kein gutes Licht auf die Polizei.  Wie kann es sein, dass zwölf Beamte nicht in der Lage waren, einen 1,61 Meter großen Jugendlichen zu entwaffnen? Warum war der Einsatz einer Maschinenpistole nötig?

Die Staatsanwaltschaft nimmt schon vor dem Abschluss der Ermittlungen kein Blatt vor den Mund.  Dort hat man große Zweifel, ob der Einsatz der MP verhältnismäßig war. Gegen den Schützen steht eine Anklage wegen Totschlags im Raum. Mittlerweile geht auch Reul vorsichtig auf Distanz und verspricht größtmögliche Transparenz – auch um Schaden von sich selbst fernzuhalten. Dabei kommt Reul die Regierungsbeteiligung der Grünen zu Gute, die ihm jetzt zur Seite stehen. In Oppositionszeiten hätten sie wohl schon längst den Rücktritt des Ministers gefordert.

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Weitere Themen im Ressort Inneres: Seit August läuft der Schulversuch, der 340 Realschülern den Zugang zur Polizei ermöglicht. Zudem wurde ein neuer Studiengang für „Cybercops“ eingeführt. Die Hausleitung wurde enger auf Reul zugeschnitten. Staatssekretärin Daniela Lesmeister ist mit dem Minister eng vertraut, ebenso wie der neue Chef der Polizeiabteilung, Gerrit Weber.

Josefine Paul: Wandlung zur staatstragenden Ministerin

Josefine Paul (Grüne) hat als neue Ressortchefin im Multitasking-Ministerium für Kinder, Jugend, Familie, Gleichstellung, Flucht und Integration  bereits zwölf Jahre als Abgeordnete im NRW-Landtag hinter sich, davon zwei als Teil des Vorsitzendenduos der Fraktion der noch oppositionellen Grünen. War sie in dieser Rolle für ihre scharfzüngige Kritik an der Regierung bekannt, wirkt sie im Ministerinnenamt nahezu staatstragend.

Eines ihrer großen Aufgabengebiete sind die Kindertagesstätten, die sie mit einer auf Elternmitwirkung basierenden Teststrategie durch den Herbst und Winter bringen will. Das Land stellt den Einrichtungen dafür für jedes Kind acht Tests pro Monat zur Verfügung. Die Eltern sollen die Tests mit nach Hause nehmen. Sie setze auf eine vertrauensvolle Kooperation zwischen Erziehungsberechtigten und Kita-Personal, so Paul.

Wie viel von der Reform des Kinderbildungsgesetzes umgesetzt werden kann, hängt stark von der Entwicklung diverser Krisen  ab. Die Landesregierung versprach Entlastungen für Eltern und Finanzmittel für den dringend benötigten personellen Schub in den Kitas. Dass ihre Parteifreundin in Berlin, Lisa Paus, das Bundesprogramm für die Sprach-Kitas auslaufen lassen will, hat Paul kalt erwischt. Dafür muss sie nun nach einer Lösung suchen, denn grundsätzlich hält sie die Sprachförderung für nötig.

Oliver Krischer: Vorkämpfer für Nachfolge des 9-Euro-Tickets

Diese Besetzung im neuen Landeskabinett war ebenso eine Überraschung wie der Zuschnitt des Ressorts: Oliver Krischer (53), ein erfahrener Grünen-Politiker als Minister für Umwelt, Naturschutz und Verkehr.

Nach 100 Tagen lässt sich noch nicht abschließend beurteilen, ob es klug war, die Eigenständigkeit des Verkehrsressorts im bevölkerungsreichsten Bundesland aufzugeben und es mit einem Politiker zu besetzen, dessen Schwerpunkt bisher eher auf den Umweltthemen lag.

Immerhin hat Krischer auch beim Verkehr schon einige Punkte gemacht. Er gehörte zu den ersten, die sich für einen Nachfolger des Ende September ausgelaufenen 9-Euro-Tickets einsetzten und dies mit einem konkreten Vorschlag unterlegten: 49 Euro bundesweit, 29 Euro für NRW. Eine Bundesländer-Lösung wird es wohl nicht geben, doch die 49-Euro-Variante hat gute Chancen, ab Januar 2023 für eine Revolution im öffentlichen Nahverkehr zu sorgen.

Ein Ticket, das in ganz Deutschland in allen Bussen und Bahnen mit Ausnahme des Fernverkehrs genutzt werden kann. Das, glaubt der Verkehrsminister, könnte angesichts der Energiekrise ein Anreiz zum Umsteigen auf den ÖPNV sein und würde das Ende des Tarifdschungels bedeuten.

Die Frage ist, ob Krischer auch hart verhandeln kann, wenn es um mehr Geld für den Ausbau der Infrastruktur geht. Angesichts der hohen Belastungen durch die Energiekrise zeigt sich der Bund da nämlich eher zurückhaltend. Sein Standpunkt zumindest ist klar: Länder und Kommunen können den Nahverkehr  nicht mehr allein finanzieren. Wenn der Bund die Verkehrswende ernst nimmt, muss er sich auch daran beteiligen.

Bei den Umweltthemen spürt man sofort, dass sie seit vielen Jahren zu Krischers Kernkompetenzen zählen. Sie gehen ihm deutlich leichter von der Hand und bereiten ihm auch mehr Vergnügen. Die weitere Ausdehnung von Naturschutzflächen in NRW ist ihm ein besonderes Anliegen. Die Landesregierung werde „größere Kraftanstrengungen unternehmen“ um die biologische Vielfalt zu erhalten.

Dorothee Feller: Sie will mehr Ruhe in die Schulen bringen

Als sie im Sommer 2022 zur Bildungsministerin von NRW ernannt wurde, war Dorothee Feller (CDU) eher als Verwaltungsfachfrau und weniger als Politikerin bekannt. Sie ist Juristin und dass Hendrik Wüst sie trotz fehlenden bildungspolitischen Profils ins Düsseldorfer Schulministerium berufen hat, dürfte vor allem mit ihrer Expertise fürs Verwalten zusammenhängen; davor war sie Regierungspräsidentin in Münster.

Zum Amtsantritt versprach Feller, Ruhe ins Schulleben zu bringen – das erschien ihr nach den chaotischen Corona-Jahren als eine Hauptaufgabe,  die sie auch durch einen neuen kommunikativen Stil zu bewältigen versucht. Mit Erfolg, wie es scheint: In ihre Strategie für den Umgang mit der Pandemie – keine Schulschließungen mehr! - weihte sie frühzeitig Verbände und Schulleitungen ein, und diese wurden auch nicht mehr durch kurzfristige Schulmails überrascht, deren Botschaft sie schon häufig aus den Medien kannten.

Mit ihrer Verordnung zur Schulwahl  schloss sie die Möglichkeit zur Mehrfachnennung aus – das Problem hatte in den vergangenen Jahren vor allem in Köln und Umgebung für Ärger gesorgt. Weniger durchsetzungsfähig scheint sie bei einem weiteren zentralen Zukunftsfeld der Bildungspolitik zu sein, der Behebung des Lehrkräftemangels. Versprochen hat sie  10 000 neue Stellen sowie die Anpassung der Gehälter. Inflation und Energiekrise stehen der zügigen Umsetzung offenbar massiv im Weg.

Mona Neubaur: Herausgefordert durch Energiekrise und Kohleausstieg

In einer derart dramatischen Lage bei der Energieversorgung muss die grüne Wirtschaftsministerin Mona Neubaur (hier im Interview mit dem „Kölner Stadt-Anzeiger“) sich nahezu täglich auf neue Situationen einstellen und dennoch versuchen, die politischen Fernziele der Landesregierung nicht aus dem Blick zu verlieren – den vorgezogenen Kohleausstieg 2030 und die Energiewende.

Der Lackmustest dürfte noch in diesem Jahr anstehen, wenn es um die Frage geht, ob die Ortschaft Lützerath im Tagebau Garzweiler erhalten bleiben kann. Man wolle den Verlust an landwirtschaftlich wertvollen Flächen möglichst gering halten, sagt die Wirtschaftsministerin. Eine Bestandsgarantie will sie aber nicht geben.

Neubaur versucht, Zuversicht zu verbreiten, warnt aber gleichzeitig, dass die vollen Gasspeicher kein Grund seien, sich zurückzulehnen, es gelte nicht nur über den Winter zu kommen, sondern mit den Reserven so hauszuhalten, dass sie möglichst auch noch für 2023 zur Verfügung stehen.

Dass die Lecks in den Nord-Stream-Pipelines die Lage auf dem deutschen Gasmarkt noch einmal verschärft haben, ist für die Landesregierung kein Grund für eine grundsätzliche Kurskorrektur, auch weil das den Markenkern der Grünen nachhaltig beschädigen könnte.

Appell an alle: 20 Prozent einsparen

Deshalb bleibt es bei Appellen an Privathaushalte und Industrie, möglichst 20 Prozent weniger Energie zu verbrauchen und bei dem Versprechen, deutlich mehr Tempo beim Ausbau der erneuerbaren Energien zu machen. Der erste Schritt ist getan: Die Flächen können künftig einfacher zu Verfügung gestellt werden und die Planungszeiten sollen deutlich verkürzt werden. Mindestens 1000 neue Windräder will NRW in den kommenden fünf Jahren bauen.

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Bei der Energiepolitik wird die Landesregierung wohl noch lange im Krisenmodus arbeiten müssen. Gasumlage, ein Preisdeckel für Strom, Gas und Wärme, staatliche Hilfen für angeschlagene Stadtwerke: Das Land ist bereit, dazu einen Beitrag zu leisten. Allein stemmen kann es diese Aufgabe jedoch nicht.

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