Der Kölner Jochen Ott ist neuer SPD-Fraktionschef im Landtag. Im Interview sagt der gelernte Gymnasiallehrer, er will künftig „auf Angriff“ spielen.
Neuer SPD-Fraktionschef im Landtag„Was tun Sie jetzt für Köln, Herr Ott?“

Jochen Ott ist neuer Chef der SPD-Landtagsfraktion
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Sie haben bei der Wahl zum neuen SPD-Fraktionsvorsitzenden bereits im ersten Wahlgang die Mehrheit bekommen. Waren Sie überrascht? Ja. Das war bei drei unterschiedlichen Bewerberprofilen im Vorfeld so nicht zu erwarten. Umso mehr habe ich mich über das große Vertrauen der Fraktion gefreut. Früher wurden Wahlen in der SPD ja oft durch die Regionen entschieden. Das war dieses Mal nicht der Fall. Mein Versprechen ist, dass ich mit großer Leidenschaft auf Angriff spielen werde. Die Schlafwagenreise von Schwarz-Grün wird jetzt ein Ende haben.
Was machen Sie jetzt besser als Ihr Vorgänger Thomas Kutschaty? Ich will Dinge anders machen. Künftig werden alle 56 Abgeordneten ihre Stärken einsetzen. Auch außerhalb der Kreise von Fachsprechern gibt es bei uns interessante Persönlichkeiten aus spannenden Berufen. Gemeinsam wollen wir das Profil der neuen SPD im Westen schärfen. Das Thema Chancengleichheit wird dabei eine zentrale Rolle spielen, auch in der Abgrenzung zu Schwarz-Grün. Wir sind es, die sich um die Sorgen und Nöte der ganz „normalen“ Familien kümmern. Eltern haben für sich und ihre Kinder von Wüst und Co. nichts Gutes zu erwarten.
Der Fraktionsvorsitz gilt als Sprungbrett für die Spitzenkandidatur… Wir werden in den nächsten zwei Jahren gemeinsam das Fundament dafür bauen, dass die SPD wieder Erfolg hat. Wir bilden jetzt eine Spitzenmannschaft, in der auch die Oberbürgermeister und die Berliner Abgeordneten zentrale Stützen sein werden. Nach den anstehenden Europa- und Kommunalwahlen wird dann entschieden, wer die besten Chancen hat, gegen Wüst oder Scharrenbach anzutreten. Natürlich wird der Fraktionsvorsitzende auch eine wichtige Rolle im Führungsteam spielen, aber er ist nicht der geborene Spitzenkandidat, so wie das früher in der SPD der Fall war.
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Warum ist die SPD seit 2017 nicht mehr auf die Beine gekommen? Wir hatten mit Hannelore Kraft eine exponierte und erfolgreiche Ministerpräsidentin. Die Niederlage bei der Landtagswahl 2017 hat die SPD schwer getroffen. Der Misserfolg kam unerwartet, daher war die Nachfolge von Hannelore Kraft als Parteivorsitzende nicht geregelt. So entstand eine gewisse Orientierungslosigkeit, die den Neustart erschwert hat.
Welche Rolle spielte die Hinterzimmerpolitik der früheren Strippenzieher Norbert Römer und Mike Groschek für den Niedergang NRW-SPD? Es war wichtig und richtig, dass Mike Groschek damals eingesprungen und Norbert Römer als Vorsitzender geblieben ist, um den Übergang zu organisieren. Es ist ja nicht grundsätzlich falsch, wenn erfahrene Politiker sich nach einer Niederlage zusammensetzen und überlegen, wohin die Reise gehen soll. Der Fehler war, dass der Eindruck entstanden ist, die beiden würden alleine über Personalfragen entscheiden.
Römer und Groschek wollten damals verhindern, dass Ihr Kölner Weggefährte Martin Börschel Fraktionschef werden konnte. Jetzt sind Sie selbst Fraktionsvorsitzender geworden. Ist das eine späte Genugtuung? In solchen Kategorien denke ich nicht, übrigens habe ich Martins Solidarität viel zu verdanken.
Was können Sie in ihrer neuen Rolle für Köln tun? Ich kümmere mich um alle Regionen gleichermaßen. Aber es ist natürlich eine Chance für Köln, wenn der Vorsitzende der SPD-Bundestagsfraktion und der Vorsitzende der Landtagsfraktion beide dann noch aus einem Wahlkreis kommen. Ich würde mir wünschen, dass die Stadtspitze klarer formuliert, welche Probleme aus ihrer Sicht konkret zum Beispiel durch Gesetzesinitiativen in Bund und Land zu lösen sind. Da kommt leider bislang zu wenig. Kommunen im Ruhrgebiet und in Ostwestfalen sind da deutlich klarer und effektiver unterwegs.
Die Schulplatzvergabe ist ein großes Ärgernis – was kann das Land tun? Ich befürchte, dass uns das ganz große Desaster im Jahr 2026 erst noch bevorsteht. Wenn Kommunen wie Köln trotz eigenem Versagen nicht sofort beim Ausbau ihrer Schulplatzkapazitäten unterstützt werden, laufen wir in die Situation, dass einfach nicht genug Plätze für Fünftklässler vorhanden sein werden. Die Landesregierung steht in der Verantwortung, diese Katastrophe mit Ansage abzuwenden.
In Metropolen wie Köln ist die Verkehrswende ein polarisierendes Thema. Besitzen Sie ein Lastenrad? Nein. Die Polarisierung rührt daher, dass die Grünen kein Interesse an Konsenslösungen haben. Bei der Verkehrswende kann man nur einen Schritt nach dem anderen machen. Man treibt die Leute auf die Palme, wenn die Gebühren für das Anwohnerparken sich verzehnfachen, gleichzeitig aber das Angebot im öffentlichen Nahverkehr ausgedünnt wird.
Was wird aus dem Kölner Klinikverbund? Aus meiner Sicht darf es bei einer Neuordnung der Kliniklandschaft nicht zu Versorgungsengpässen kommen. Im Kölner Norden gibt es eine Unterversorgung bei den Kinderärzten, die sich bei einer Aufgabe der Kinderklinik am Standort Niehl verschärfen würde. Wirtschaftliche Gründe dürfen nicht zum Hauptkriterium für die Entscheidungen über die Zukunft des Klinikstandorts werden.
Sie waren früher Messdiener. Wie ist Ihr Blick auf die Vorgänge im Erzbistum Köln? Mich bestürzt, mit welcher Gleichgültigkeit der Kardinal die Massenflucht der Katholiken aus der Kirche offenbar behandelt. Ich kenne viele engagierte Christen, ohne deren soziales Engagement viele Initiativen in den Kommunen vor dem Aus stünden. Fast alle sind frustriert und ermüdet durch den Umgang mit den Missbrauchsfällen durch die Bistumsspitze. Ein glaubhafter Neustart im Erzbistum ist wohl nur ohne Kardinal Woelki denkbar. Mit seinem Rückzug würde er einen Neustart ermöglichen.