NSU-ProzessAnwalt soll Mandantin erfunden haben – Anklage wegen Betruges

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Aachen/Eschweiler – Fast zweieinhalb Jahre hatte Anwalt Ralph W. aus Eschweiler im Mammut-Prozess um die zehn Mordanschläge des Nationalsozialistischen Untergrunds (NSU) ein Opfer als Nebenkläger vor dem Münchner Oberlandesgericht vertreten. Die Türkin Meral Keskin soll beim Nagelbombenanschlag in der Kölner Keupstraße verletzt worden sein. Ein Attest belegte ihr angeblich tragisches Schicksal.

Während Frau Keskin trotz mehrfacher Vorladung jedoch nicht im Gerichtssaal erschien, fuhr ihr Anwalt wie so viele seiner 60 Kollegen regelmäßig an die Isar und kassierte Sitzungsgelder nebst Reisespesen in Höhe von 211.000 Euro. Zudem hatte der Jurist im Namen seiner Mandantin eine Härtefallentschädigung beim Bundesamt für Justiz in Höhe von 5000 Euro eingestrichen.

Zu Unrecht Sitzungsgeld kassiert

Im Herbst 2015 stellte sich dann heraus, dass das vermeintliche Opfer Meral Keskin gar nicht existierte – weshalb die Aachener Staatsanwaltschaft den Juristen aus Eschweiler nach Informationen des „Kölner Stadt-Anzeiger“ jetzt angeklagt hat. Dabei gehe es unter anderem um Betrug in einem besonders schweren Fall, Urkundenfälschung sowie falsche Versicherung an Eides statt, bestätigte der Aachener Gerichtssprecher Thomas Stoppelmann.. Die zu Unrecht kassierten Sitzungsgelder soll der Angeklagte an die bayerische Justizkasse ebenfalls zurückzahlen.

Stand des Verfahrens

Der Terrorzelle NSU werden zehn vorwiegend rassistisch motivierte Morde zugerechnet. Hauptangeklagte im Prozess ist Beate Zschäpe. Das Hauptverfahren in München befindet sich nach mehr als 400 Prozesstagen in der Schlussphase.

Die Bundesanwaltschaft forderte in ihrem Plädoyer lebenslange Haft für Beate Zschäpe. Danach plädierten die vielen Angehörigen der Opfer und ihre Anwälte. In den letzten Wochen verzögerten immer neue Beweisanträge aus den Reihen der Verteidiger, dass nach fünf Jahren endlich ein Urteil gesprochen werden konnte. (ksta)  

W. hatte die Vorwürfe stets bestritten: Demnach soll ihm ein Vermittler den Fall Keskin angetragen haben. Der inzwischen verstorbene Kontaktmann Attila Ö. habe ihm das fingierte Attest vorgelegt. Ferner auch die Einladung des Bundespräsidenten, in dem die Opfer und Hinterbliebenen des NSU nach Berlin gebeten worden waren. Demnach, so beteuerte der Angeklagte in der Vergangenheit, sei er auf den ominösen Vermittler hereingefallen. Zumal Anwalt W. dem Mittler auch noch eine Provision für das lukrative Mandat gezahlt haben will. Nachdem sich herausstellte, dass er ein Phantom vertreten hatte, legte der Advokat nach 232 Verhandlungstagen sein Mandat nieder. Seither sieht er sich als Opfer übler Machenschaften. Die Nachforschungen der Ankläger hingegen zeichnen ein anderes Bild.

Mandat im Loveparade-Prozess

Schließlich sind die Strafverfolger noch einem weiteren mutmaßlichen Schwindel auf die Spur gekommen: Im Prozess um die tödliche Katastrophe auf der Loveparade in Duisburg soll der Jurist laut Anklage versucht haben, sich mit falschen Angaben zum Gesundheitszustand eines vermeintlichen Opfers die Zulassung als Nebenklagevertreter zu erschleichen. Denn nur in solchen Fällen übernimmt die Staatskasse die Kosten für das Verfahren. Den Ermittlungen zufolge soll W. die Mutter und die Schwester des Mandanten dazu angestiftet haben, mit falschen Attesten langjährige Schlafstörungen des Klienten vorzuspiegeln.

Zudem soll er eine weitere Loveparade-Geschädigte überredet haben, ihm eine Blankovollmacht auszustellen. Das Papier habe er dann einem Kollegen zugeschanzt, ohne dass die Frau das wusste. In beiden Fällen lehnte die zuständige Duisburger Strafkammer die Anträge von W. und seinem Kollegen ab.

Neben dem Strafprozess droht dem Anwalt aus Eschweiler auch ein berufsrechtliches Problem. Auf Antrag der Kölner Anwaltskammer prüft die Generalstaatsanwaltschaft, ob sich W. standeswidrig verhalten hat. Der Jurist könnte somit seine Zulassung als Anwalt verlieren.

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