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Ohnmachtsgefühle in der KriseWie die Politik die wachsende Wut verhindern könnte

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Wütende Menschen wählen wütende Parteien – das gilt es zu verhindern.

  • Heizkosten explodieren, Preise auch: Auf die Bevölkerung rasen Probleme zu.
  • Andere Länder beschließen schon, was in Nordrhein-Westfalen noch nicht einmal vorgeschlagen ist. Stattdessen kommen Klagelieder aus Düsseldorf, der Bund solle mehr machen.
  • Ein Gastbeitrag von Erik Flügge.

Haben Sie sich in letzter Zeit ohnmächtig gefühlt im Angesicht all der Krisen um uns herum? – Wenn ja, dann haben Sie mit vielen Menschen in Deutschland etwas gemeinsam. Das Gefühl der Ohnmacht macht sich breit.

Auf Ohnmacht folgen oft Angst, Wut und Frustration. Eine gefährliche Gefühlsmischung für jedes Gemeinwesen. Angst kann Kampfimpulse auslösen. Wut mobilisiert in uns enorme Kräfte, die wir selbst nur schwer beherrschen können, und andauernde Frustration bricht sich oftmals Bahn in Aggression. Anhaltende Ohnmachtsgefühle heizen gesellschaftliche Konflikte an.

Genau das ist der Grund, warum die demokratische Ordnung versucht, Ohnmachtsgefühle möglichst auszuschließen. Regierende können wir alle paar Jahre wiederwählen oder sie mit Mehrheitsvotum aus dem Amt jagen. Gegen beschlossene Gesetze haben wir das Mittel der Klage und selbst wenn wir eine solche verlieren, können wir in aller Regel noch mehrmals die nächsthöhere Instanz anrufen. Nur: In der aktuellen Krise haben wir nicht so viel Zeit.

Alle Mittel und Wege, die unsere Demokratie kennt, um die Ohnmacht einzudämmen, brauchen lange. Die Probleme rasen aber auf die Bevölkerung zu. Heizkosten explodieren, Preise auch, und gleichzeitig brauchen Lösungen viel zu lange – in Berlin genauso wie in Düsseldorf.

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Die Ampel braucht zu lange, um sich zu einigen. Diegrundlegenden Vorstellungen von Problemlösungen im Berliner Bündnis liegen so weit auseinander, dass es stets Wochen dauert, bis man sich zusammenrauft. Zu lange, um der Ohnmacht in der Bevölkerung keinen Raum zur Entfaltung zu bieten.

Hier in Nordrhein-Westfalen verstärkt sich das Ohnmachtsgefühl noch dadurch, dass unsere Landesregierung gar keine Lösungen anzubieten hat. Während andere Länderkabinette unterschiedlichster politischer Färbung längst eigene Hilfsprogramme ankündigen, hört man aus Düsseldorf nur ein Klagelied, der Bund solle mehr machen. Man verstärkt das Ohnmachtsgefühl noch, anstatt ihm entgegenzutreten.

Nur auf den Bund zu zeigen mag unser Ministerpräsident für eine politische Strategie zu seinem Vorteil halten, aber diese Rechnung geht nicht auf. Wer Ohnmacht in seinem Land zulässt, reißt die Fundamente der eigenen Macht ein.

Radikale Parteien gewinnen hinzu

Ohnmacht stärkt die politischen Ränder und das dokumentiert sich schon in Umfragen: Die radikalen Parteien gewinnen hinzu. Wütende Menschen wählen wütende Parteien. Genau deshalb ist es geboten, dass die Handelnden in Berlin und Düsseldorf den Ernst der Lage verstehen, und zwar rasch.

Die Ampel muss die nächsten Probleme schneller lösen, und in Düsseldorf muss die Staatskanzlei endlich mit der Arbeit beginnen: Hilfen für unser Handwerk, Härtefallfonds für den Winter und Hilfe für Pflegeeinrichtungen und Krankenhäuser, um die Energiekosten zu stemmen. Andere Länder beschließen schon, was in Nordrhein-Westfalen noch nicht einmal vorgeschlagen ist.

Es gilt beherzt zu handeln. Denn niemand hat in der politischen Mitte bei Ohnmacht in der Bevölkerung etwas zu gewinnen.

Erik Flügge ist Geschäftsführer der Beratungsfirma „Squirrel & Nuts“ in Köln und Bestsellerautor.   

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