Privatbahnen kämpfen ums ÜberlebenNRW will den Zugverkehr für Pendler absichern

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Abellio Bahn

Abellio-Bahn

Düsseldorf – Regionalzüge und S-Bahnen in NRW fahren tief in den roten Zahlen. Vor allem die privaten Bahnunternehmen kämpfen ums Überleben. Die Verkehrsverbünde und das Land bereiten schon Notvergaben vor, falls Abellio mit einem Marktanteil von 18 Prozent Ende September den Betrieb einstellt. Ähnlich schwierig ist die Lage bei Keolis.

Grund für die Krise, die auch National Express, die Nordwestbahn und Transregio erfasst hat, sind stark gestiegene Personal- und die Folgekosten der vielen Baustellen. Die Corona-Pandemie spielt keine Rolle.

Auch die NRW-Tochter der Deutschen Bahn hat zu kämpfen, aber den Vorteil, dass der Bund als Eigentümer die Verluste ausgleicht. Im Verkehrsministerium in Düsseldorf ist man sich einig: Die Landeszuschüsse von 1,19 Milliarden Euro pro Jahr müssen um 70 Millionen erhöht werden.

Dazu soll im Herbst ein „Verkehrsvertrag 2.0“ abgeschlossen werden. Der würde die Verluste der Bahnunternehmen aber auch nur zu einem Drittel ausgleichen.

Warum laufen den Bahnunternehmen die Kosten weg?

Die Löhne sind seit 2018 deutlich gestiegen. Seither haben Lokführer auch bei Privatunternehmen ein Wahlrecht: entweder mehr Gehalt oder sechs Tage mehr Urlaub pro Jahr. Deshalb mussten sie bis zu 30 Prozent mehr Lokführer einstellen. In den Verträgen mit den Verkehrsverbünden wie dem Nahverkehr Rheinland ist aber ein fester Personalschlüssel vereinbart, so dass die Bahnunternehmen auf diesen Mehrkosten sitzen bleiben.

Geht es nur um die Personalkosten?

Nein. Überdies müssen die Privatbahnen für alle Verspätungen und Zugausfälle unabhängig von der Frage, ob sie daran schuld sind, Vertragsstrafen zahlen, für Ersatzverkehr und die Baustellenkommunikation sorgen.

Das Problem: Die Zahl der Baustellen auf den Strecken in NRW hat sich wegen der Rekord-Investitionen ins Schienennetz von 700 im Jahr 2015 auf mehr als 1000 erhöht. 2021 investiert die Bahn in NRW erstmals mehr als zwei Milliarden Euro.

Wo viel gebaut wird, fallen viele Züge aus und es kommt zu vielen Verspätungen. Im Bahnknoten Köln konnte eine Regionalbahn ein Jahr lang nur von Bedburg bis Horrem und nicht wie vereinbart zum Kölner Hauptbahnhof fahren. Jedes Mal war eine Strafe fällig. Für Baustellen können die Verkehrsunternehmen nichts, heißt es jetzt im Verkehrsministerium.

Warum schließt man solche kuriosen Verträge ab?

Die Privaten wollten mit Kampfpreisen in den Markt einsteigen und der DB Regio als ehemaligem Monopolisten Marktanteile abjagen. Das ist auch geglückt. Doch dabei haben sich einige schwer verkalkuliert. Experten haben diesen Prozess der Marktbereinigung wie bei den Fernbussen schon lange erwartet.

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Die Eigentümer von Abellio und Keolis, das sind die Staatsbahnen der Niederlande und Frankreichs, geraten unter Druck. Warum, fragt dort die Politik, sollen wir den Regionalverkehr in NRW und ganz Deutschland auf Kosten unserer Steuerzahler subventionieren?

Müssen Pendler damit rechnen, dass ihr Zug bald nicht mehr fährt?

Die Verkehrsverbünde versuchen das mit aller Macht zu verhindern, wollen sich Zeit für weitere Verhandlungen erkaufen. Im Fall von Abellio soll eine Vereinbarung dafür sorgen, dass alle Linien zumindest bis Ende Januar 2022 fahren. Dafür werden acht Millionen Euro bereitgestellt. So gewinnt man mehr Zeit für eine mögliche Notvergabe. Diese Zeit soll auch genutzt werden, um einen geordneten Rückzug zu ermöglichen.

Ein Szenario sieht vor, dass Abellio aus zweien der fünf Verkehrsverträge in NRW vorzeitig Ende 2023 aussteigt. Das sind der Rhein-Ruhr-Express und das Ruhr-S-Bahn-Netz, die 65 Prozent des Umsatzes, aber auch 85 Prozent der Verluste ausmachen. Das gesamte Paket muss bis zum 31. Oktober stehen. Sicher ist das aber nicht.

Zuletzt hatte das Abellio-Management kompromisslos verhandelt und ein neues Darlehen von 80 Millionen Euro der niederländischen Muttergesellschaft mit Forderungen verknüpft, die für die Verkehrsverbünde in Deutschland völlig inakzeptabel waren.

Wird Abellio den Verkehrsvertrag 2.0 am Ende akzeptieren?

Danach sieht es nicht aus, weil die niederländische Muttergesellschaft dann immer noch zwei Drittel der jetzigen Verluste dauerhaft übernehmen müsste.

Aus dem 70 Millionen-Paket des Verkehrsvertrags werden nämlich nur 20 Prozent für höhere Personalkosten bereitgestellt. Das entspricht einer Erhöhung von 1,7 Prozent. Der Rest soll für eine bessere Baustellenkommunikation, für mehr Sicherheitspersonal und zusätzliche Züge ausgegeben werden.

Und was ist mit Keolis?

Die Franzosen müssen eine Insolvenz in Deutschland mit allen Mitteln verhindern, weil sie sonst Probleme bei Neuausschreibungen auf ihren wichtigsten Verkehrsmärkten in Kanada und Südostasien bekommen. Dem Vernehmen nach dürfen sie sich dort nur um neue Verträge bewerben, wenn keine der Tochtergesellschaften weltweit schon einmal pleite gegangen ist.

Deshalb plant Keolis, den deutschen Ableger aus dem Konzern herauszulösen und mit so viel Geld auszustatten, dass er alle Verkehrsverträge bis zum Ende der Laufzeit erfüllen kann. Das dürfte Keolis rund 140 Millionen Euro kosten. Der letzte Vertrag endet 2032. Diese Verhandlungen mit den Verkehrsverbünden stehen kurz vor einem erfolgreichen Abschluss.

Warum mischt sich das Land überhaupt ein?

Weil es zu riskant ist, den Markt dem freien Spiel der Kräfte zu überlassen. Schon jetzt hat beispielsweise Abellio ein Personalproblem. Etliche Lokführer suchen in der Branche wegen der unsicheren Lage nach anderen Jobs und werden dabei schnell fündig. Vergleichbares gilt für Keolis.

Was ist mit den anderen Bahnunternehmen?

National Express, die Nordwestbahn und Transregio warten das Ergebnis des Verkehrsvertrags 2.0 ab. Sollte Abellio zum Teil aus dem Markt verschwinden, könnten sie bei Neuausschreibungen mit höheren Preisen einsteigen. Das gilt auch für die DB Regio. Der Ex-Monopolist würde seine Marktstellung wieder deutlich verbessern. Das ist ziemlich sicher.

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