Rechtsextreme ChatsErmittlungen wegen Gewalt im Amt gegen Essener Polizisten

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Die Polizeidienststelle in Mülheim im Fokus der Ermittler

Die Polizeidienststelle in Mülheim im Fokus der Ermittler

  • 30 Polizisten aus Mülheim sollen sich rechtsextreme Inhalte geschickt haben.
  • Gegen einen von ihnen wird auch wegen Körperverletzung im Amt ermittelt.
  • Er soll einen Mann verletzt haben, nachdem dieser bereits gefesselt am Boden lag.

Essen – Der Hinweis auf häusliche Gewalt löste Anfang 2019 den Einsatz aus: Als Polizisten vor Ort eintrafen, eskalierte das Geschehen. Ein deutscher Staatsangehöriger mit albanischen Wurzeln begegnete den Beamten aggressiv. Dann ging es offenbar ganz schnell: Der Ruhestörer wurde überwältigt und gefesselt. Eigentlich schien sich die Lage zu beruhigen, doch dann soll der Polizeibeamte Peter M. (Name geändert), 39, dem wehrlosen Mann noch mindestens einmal einen Schlag versetzt haben.

Nach Recherchen des „Kölner Stadt-Anzeiger“ handelt es sich bei dem mutmaßlichen Schläger um einen jener 30 Polizisten, die in WhatsApp-Chats rechtsextreme Posts einstellten. Die Staatsanwaltschaft Duisburg bestätigte den Vorgang auf Anfrage. „Derzeit wird gegen den Polizisten wegen Körperverletzung und Strafvereitelung im Amt ermittelt“, sagte Behördensprecherin Jennifer König. Sollte sich der Verdacht erhärten, würde der Skandal um rechtsextreme Chatzirkel bei der Polizei in Essen und Mülheim/Ruhr eine neue Dimension erreichen. Zum ersten Mal steht dann im Raum, dass die rechten Sprüche sich auch im realen Polizeialltag in Gewalt gegen Menschen mit Migrationshintergrund niederschlagen.

Ermittlungsverfahren nach Prozess erneut aufgenommen

Nachdem das mutmaßliche Opfer ausgesagt hatte, der Polizist habe ihn auch noch geschlagen, als er schon gefesselt war, stritt der Beschuldigte zunächst alles ab. Er behauptete, der Randalierer habe sich äußerst aggressiv verhalten. Deshalb habe er ihm einen erlaubten Blendschlag verpasst, um die Situation unter Kontrolle zu bekommen. Eine Kollegin bestätigte seine Aussage. Im Gerichtsprozess wegen des Verdachts falscher Verdächtigung entstanden aber dann erhebliche Zweifel an den Aussagen des Polizisten.

Alles zum Thema Herbert Reul

Eine Beamtin gab im Prozess zu Protokoll, dass es mehrere Schläge gegeben habe, „als der Mann schon gefesselt war“. Nochmals befragt rückte auch die Kollegin von Peter M. ab und räumte ein, es könne zumindest einen solchen Schlag gegeben haben. Der Angeklagte wurde freigesprochen. „Das Ermittlungsverfahren gegen den Polizeibeamten ist wieder aufgenommen worden“, erläuterte Staatsanwältin König. Ergebnis offen.

Hitler-Bilder per WhatsApp

Peter M. gehörte dem Chat „Alphateam“ an. Der Zirkel gilt als Kern-Truppe, in dem das Gros der Hakenkreuz- oder Hitler-Bilder per WhatsApp kursierten. Der Chatzirkel bestand aus 15 Polizisten die in der Inspektion 4 in Mülheim zeitweilig ihren Dienst verrichteten. Ein Polizeikommissar soll mindestens 50 Bilder oder Dateien verfassungswidriger Organisationen in die Runde gegeben haben. Gegen ihn und weitere zehn Kollegen ermittelt die Staatsanwaltschaft Duisburg wegen des Verbreitens verfassungswidriger Symbole sowie des Verdachts der Volksverhetzung.

Insgesamt wurden 30 Beamte suspendiert. Die Hälfte soll das anstößige Material gepostet, die andere Hälfte die Dateien empfangen haben. Aus falsch verstandenem Korpsgeist soll nichts nach außen gedrungen sein. Eine junge Beamtin soll aus diesem Grunde erfolgreich um ihre Versetzung ersucht haben.

Verdächtiger soll vier Posts eingestellt haben

Allein in diesem Forum wurden seit Ende Juli 2015 bis Mai 2020 insgesamt 126 strafrechtlich relevante Inhalte verbreitet – ein Großteil der 160 Dateien neonazistischer und rassistischer Hetze, die in fünf rechtsextremistischen Chatkreisen der Polizei an der Ruhr entdeckt wurden. Darunter war auch eine Aufnahme, die einen Flüchtling in einer Gaskammer zeigen soll.

Wie der „Kölner Stadt-Anzeiger“ erfuhr, soll ein Chatteilnehmer die Protestwelle gegen Polizeigewalt in den USA nach dem Tod des Afroamerikaners George Floyd verhöhnt haben: „Die besten Polizeischarfschützen haben die Amerikaner, die treffen immer voll die Schwarzen.“ In einem anderen Fall zeigt ein Original-Foto Adolf Hitler bei der Begrüßung einer Schar Jungen. Zeile: „Onkel Adolf – Angela schafft es nicht mehr.“ In einem anderen Post wird ein Hakenkreuz untertitelt mit „Ohne Dich ist alles doof“. Signiert mit A.H..

Der Polizist Peter M. soll nur vier Posts eingestellt haben. „Mein Mandant ist kein Rechtsextremist“, sagt sein Anwalt Volker Schröder. Er bezweifelt, dass es sich bei den internen Chats überhaupt um strafbare Äußerungen handelte, da nichts für die Öffentlichkeit bestimmt war. Disziplinarrechtlich können auch private Nachrichten dieser Art zu Entlassungen führen. Wenn das juristisch auch nicht ganz einfach ist. In Gelsenkirchen sucht man noch immer einen Weg, um einen AfD-Politiker wegen eines Merkel/Hitler-Vergleiches aus dem Polizeidienst zu entlassen.

Vorwürfe gegen Herbert Reul

Anwalt Schröder wirft dem NRW-Innenminister Reul bei der Bewältigung des Chatskandals Fehler vor. „Reul agiert wie der Elefant im Porzellanladen und trägt Dinge in die Öffentlichkeit, die noch gar nicht ausermittelt sind.“ Als Beispiel nennt Schröder etwa die Mitteilungen der Strafverfolger zu den Durchsuchungen bei der Freundin seines Mandanten: Die Frau, ebenfalls Polizeibeamtin, soll Amphetamine gehortet haben, zudem fand sich ein Gewehr mit Munition. „Das war eine Deko-Waffe, nichts weiter“, berichtet der Verteidiger.

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Zuletzt wurde bekannt, dass drei Mitglieder einer Observationsgruppe des NRW-Inlandsgeheimdienstes ebenfalls fremdenfeindliche Chats ausgetauscht haben sollen. Allerdings, so Reul zuletzt, hätten diese bei weitem nicht die Qualität wie jene aus Essen und Mülheim. Da sieht man etwa hellhäutige Schüler an einem Gebetsteppich. Unterzeile: „Umerziehung hat begonnen.“ Das reiche nicht für strafrechtliche Ermittlungen. Die Observierer wurden versetzt, das disziplinarrechtliche Verfahren läuft.

Mehr Sorge bereitet den Behörden der Umstand, dass ein Mitarbeiter aus der Polizeiabteilung des Ministeriums via Facebook Kontakte zur Bruderschaft Deutschland unterhielt. Die Düsseldorfer Neonazigruppe agitiert derzeit auch auf Corona-Kundgebungen. Die Mitglieder, die gerne in einheitlichen schwarzen T-Shirts mit einer geballten Faust in der Mitte marschieren, gerieren sich vor allem im Raum Düsseldorf als Bürgerwehr.

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