Rechtsextremismus bei der PolizeiNRW-Innenminister Reul räumt Fehler ein

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Reul Landtag 170920

Herbert Reul hält bei seiner Rede im Plenum des Landtags ein kleines Buch mit dem Grundgesetz hoch.

  • Nach der Aufdeckung von fünf Chatgruppen mit rechtsextremen Inhalten bei der NRW-Polizei räumt Innenminister Herbert Reul (CDU) ein, das Ausmaß unterschätzt zu haben.
  • „Offenbar haben wir nicht alles erkannt“, sagte Reul am Donnerstag im Landtag in Düsseldorf.
  • Die Opposition erhebt keine Rücktrittsforderungen, wirft ihm aber „ideologische Scheuklappen“ vor.

Düsseldorf – Als Herbert Reul ans Rednerpult tritt, lässt er es – wie so oft – erstmal menscheln. Er habe am Morgen von einem Polizisten im Radio gehört, der ihm sehr imponiert habe, erzählt der NRW-Innenminister. Der habe eine knallharte Aufklärung des Skandals um rechtsextreme Chats gefordert, eben weil der Großteil der Kollegen absolut integer sei. Dem Beamten könne er nur zustimmen, ruft Reul ins Mikrofon. „Wer extremistisch handelt, verwirkt das Recht, die Uniform der Polizei zu tragen.“

Die Unterrichtung des Parlaments über den Polizeiskandal in Mülheim an der Ruhr war kurzfristig als Tagesordnungspunkt fünf auf die Agenda der Plenarsitzung im Düsseldorfer Landtag gesetzt worden. Der CDU-Politiker berichtet, dass nunmehr nicht mehr gegen 29, sondern gegen 30 Verdächtige ermittelt werde. Auch bei der Lebensgefährtin eines Beamten, die ebenfalls bei der Polizei arbeitet, waren einschlägige Fotos auf dem Handy entdeckt worden.

Reul berichtet, dass bislang 43 Telefone, 19 SIM-Karten, 21 USB-Sticks, 20 Festplatten, neun Tablets und neun PCs beschlagnahmt worden seien. Die Fotos, die bislang ans Licht gekommen sind, zeigten „übelste, widerwärtigste neonazistische Hetze“, sagt der Innenminister. Die Dimension der Abscheulichkeiten habe er nicht für möglich gehalten. „Wir werden das aufarbeiten, radikal und bis ins kleinste Detail“, kündigt Reul an. Der Innenminister räumt auch Fehler ein: „Offenbar haben wir nicht alles erkannt, vielleicht sogar auch die Dimension unterschätzt.“

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Die Opposition fährt zumindest diesmal noch keine schweren Geschütze auf. Von einer persönlichen Verantwortung des Innenministers ist nicht die Rede. Rücktrittsforderungen werden nicht erhoben. Dennoch muss sich Reul anhören, viel zu spät gehandelt zu haben. Seine „ideologische Scheuklappen“ hätten den Aufbau einer konstruktiven Fehlerkultur verhindert, sagt Verena Schäffer von den Grünen. Man könne schließlich schon lange nicht mehr von Einzelfällen sprechen. Mindestens 21 Verdachtsfälle seien bei der NRW-Polizei bekannt geworden, betont die Grüne. So war bei der Polizei in Hamm ein Verwaltungsmitarbeiter aufgeflogen, der einer rechtsterroristischen Gruppe zugerechnet wird. In Aachen wurde gegen zwei Beamte ermittelt, nachdem „Heil-Hitler“-Rufe im Polizeifunk zu hören waren. Reuls ideologische Scheuklappen hätten die Aufbau einer konstruktiven Fehlerkultur verhindert.

Auch der SPD-Abgeordnete Sven Wolf wirft dem Innenminister vor, das Problem des Rechtsextremismus bislang fahrlässig bei Seite gewischt zu haben. Der Innenexperte verwies auf einen Flyer der Identitären Bewegung, der 2019 in einem Polizeibus in Duisburg gefunden worden sei.

Reul bringt nichts schnell aus der Ruhe

Herbert Reul ist ein alter Hase in der Politik. Er war zwölf Jahre lang Generalsekretär der NRW-CDU, bevor er ins Europaparlament ging, wo er zuletzt Chef der Unionsfraktion war. Jetzt ist er 68 Jahre alt. Reul hat das Privileg, Krisen mit der Gelassenheit desjenigen anzugehen, der nichts mehr erreichen muss. „Sie können mich morgens bis abends beschimpfen“, ruft er der Opposition in der Debatte zu. Er sei „wirklich kampferprobt“. Notfalls mache er die Aufklärung eben alleine: „So wie in Lügde – damit das klar ist.“

Reuls Berufung im Jahr 2017 war eine Überraschung. NRW-Ministerpräsident Armin Laschet entschied sich für den alten Fahrensmann, weil er Reul zutraute, ein guter Krisenmanager zu sein. Dabei hatte er wohl vor Augen, dass Pannen in der Innenpolitik maßgeblich zur Abwahl der rot-grünen Vorgängerregierung beigetragen hatten.

In den ersten Monaten fiel es Reul nicht immer leicht, sich mit der Rückkehr in die Landespolitik anzufreunden. Die Weggefährten von einst waren nicht mehr da, die Ansprechpartner auf dem Düsseldorfer Parkett musste er erst noch kennenlernen. Mittlerweile fühlt er sich offensichtlich wohl in seiner Rolle. Im Landtag wird der Vater von drei Töchtern wegen seines emotional-persönlichen Auftritts von vielen scherzhaft „Onkel Herbert“ genannt. In der Polizei genießt seine „Null-Toleranz-Strategie“ ungewöhnlich starken Rückhalt.  

Reul hat bei der NRW-Polizei einen guten Ruf

Michael Maatz ist der stellvertretende Landesvorsitzende der Gewerkschaft der Polizei in NRW. „Es wäre viel zu einfach und grundfalsch, Innenminister Reul den Skandal ans Bein zu binden“, sagt der Kriminalbeamte. Reul habe bei der Polizei einen guten Ruf, weil er deren Ausstattung und Arbeitsbedingungen verbessert habe: „Das wissen die Kollegen zu schätzen.“

Reuls Vorgehen sei auch in Mülheim/ Ruhr der richtige Ansatz, sagte Maatz. „Wir haben kein strukturelles Problem bei der NRW-Polizei. Jetzt gilt es aufzuklären und Ursachenforschung zu betreiben. Zum Beispiel darüber, ob Anfeindungen im Dienst und respektloses Verhalten gegen Beamten die Radikalisierung der Verdächtige verstärkt haben“, so der Vize-Landeschef der GdP.

Auch der Bund Deutscher Kriminalbeamter (BDK) hält sich diesmal mit Kritik zurück. „Die Maßnahmen, die Reul jetzt ergriffen hat, kann ich aus fachlicher Sicht nur unterschreiben“, sagt BDK-Chef Sebastian Fiedler. Anlass zu Kritik gebe aber die Tatsache, dass der Innenminister nicht früher gehandelt habe. „Rechtsextreme oder rassistische Einstellungen in der Polizei hätten schon seit einem Jahr wissenschaftlich aufgearbeitet werden können“, sagt Fiedler. Anlässe habe es genug gegeben: „Ich verstehe nicht, warum Reul und die Regierungsfraktionen den Wert solcher Studien auch angesichts der aktuellen Erkenntnisse aus Mülheim immer noch anzweifeln.“

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