ReportageEntwicklungshilfe funktioniert in Kamerun außergewöhnlich gut

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Seit er eine künstliche Hand trägt, hat sich Jean Zibis Leben verändert. Janet Fofang hat sie dem Jungen angepasst.

Seit er eine künstliche Hand trägt, hat sich Jean Zibis Leben verändert. Janet Fofang hat sie dem Jungen angepasst.

Das Leben hat es nicht gut gemeint mit Jean Zibi. Seit ihm als Säugling eine verunreinigte Injektion gegeben wurde, ist der 17-Jährige behindert. Seine Mutter kramt ein Foto aus ihrer Handtasche. Es zeigt ihren Sohn als Kleinkind, vor Schmerzen schreiend, die rechte Hand ein unförmiger Klumpen. Heute transportiert Jean für Cent-Beträge mit einer Schubkarre Einkäufe von einem Markt in Kameruns Hauptstadt Yaounde. Wegen seiner verkrüppelten Hand geht das mehr schlecht als recht. Und doch hilft es seiner Mutter, die ihre Familie mit dem Verkauf von Wurzeln und Gemüse über Wasser halten muss.

Seit er eine künstliche Hand trägt, wie Roboter sie haben, hat sich Jean Zibis Leben verändert. Die Finger bestehen aus Plastikgliedern und krümmen sich um den Griff seiner Schubkarre, sobald er Druck ausübt. Er kann besser arbeiten und die Prothese wird auf dem Markt bestaunt. Wenn Janet Fofang in seiner Nähe ist, legt der Teenager gerne den Kopf an ihre Schulter. Ihr „NexGen Technology Center“, das von der Botschaft Israels unterstützt wird, hat ihm die neue Hand angepasst. Manchmal nennt Jean die resolute Frau im Überschwang „Mutter“.

„Hightech können wir am besten, und hier können wir am effektivsten helfen“

Entwicklungshilfe ist in Israel – anders als in Deutschland, das ein eigenes Ministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit (BMZ) hat – direkt dem Außenministerium unterstellt. So kommt es, dass Ran Gidor, Israels Botschafter in Kamerun, viel bewegen kann, indem er zum Beispiel Janet Fofangs Technologie-Zentrum unterstützt. Doch ist Gidor auch ein Verwalter des Mangels. Israel ist heute mit den Ausgaben für Entwicklungszusammenarbeit das Schlusslicht unter den OECD-Staaten. Der Botschafter schichtet daher schon mal beherzt seinen Etat um und streicht Cocktailpartys für nationale Feiertage zugunsten des guten Zwecks. Der Botschafter ist in Personalunion auch noch Wirtschafts-, Kultur- oder Presse-Attaché seiner Vertretung.

Dazu kommen zahlreiche kamerunische Mitarbeiter. Im Grunde funktioniert die israelische Entwicklungshilfe wie die Tröpfchen-Bewässerung: zur rechten Zeit eine kleine, aber ausreichende Menge von Wasser an die richtige Stelle einer wachsenden Pflanze befördern. Mit dieser Methode haben die Israelis in Wüstengebieten Rekordernten eingefahren, und auch auf dem Feld der Entwicklungszusammenarbeit bewährt sich der Ansatz. „Hightech können wir am besten, und hier können wir am effektivsten helfen“ erläutert Ran Gidor den Journalisten aus Deutschland.

Früher war Israel anerkannt für seine Entwicklungshelfer, die in die entlegensten Dörfer gingen. Sie gehörten zu den Ersten, die die ehemaligen Kolonien anerkannten. 1961 besuchte die damalige Außenministerin und spätere Regierungschefin Golda Meir das gerade unabhängig gewordene Kamerun. Israel wollte die Unterstützung junger afrikanischer Staaten gewinnen, um ein Gegengewicht zur Arabischen Liga aufzubauen und sich Unterstützung in internationalen Gremien zu sichern. Fast 60 Jahre später ist eine Sorge hinzugekommen: Islamistische Extremisten gewinnen an Einfluss in Afrika. Ferner dringe die Hisbollah vor, berichtet Botschafter Gidor. Ihren bewaffneten Kampf gegen Israel finanziere die libanesische Miliz mit Drogenhandel und Kriminalität in Afrika.

Israelis genießen hervorragenden Ruf in Kamerun

Das moderne Israel lädt Experten wie Janet Fofang ein und bildet sie in Hightech-Zentren im eigenen Land fort. Mit ihren Jungen und Mädchen, die Orientierungshilfen für Blinde bauen, Roboter-Hände programmieren oder unbemannte Bergungsgeräte bauen, hat sie einen großen Erfolg errungen. In einer Roboter-Olympiade in den USA war das junge Team aus Kamerun unter den ersten 32 von insgesamt 163 Teilnehmern.

Seit 2012 arbeiten Israel und Deutschland in der Entwicklungspolitik zusammen. Auf Betreiben des Kanzleramtes wurde eine Afrika-Initiative beider Länder aus der Taufe gehoben. 2014 unterzeichneten Minister beider Länder eine Übereinkunft zu einer ausgedehnten Kooperation. Konkretes Ergebnis ist in Kamerun ein Projekt zur Ausdehnung der Ernte-Saison für Mangos. Eine Neuzüchtung des Mango-Baums mit israelischen Setzlingen, die kamerunischen Stöcken aufgepfropft werden, soll die Ernteperiode auf sechs Monate verdoppeln. 6000 Bauern sollen hier fortgebildet werden. Bis zu 8000 Bäume soll die Ausbildungsplantage im Umland der Hauptstadt umfassen. Beim Aufbau helfen Experten der deutschen Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) Auch Botschafter Gidor hat seinen Teil beigetragen und etliche Mango-Setzlinge über längere Zeit in den Kühltruhen seiner Residenz verwahrt.

Die Israelis genießen einen hervorragenden Ruf in Kameruns Hauptstadt. Wo immer der Botschafter unterwegs ist, richten sich Kameras und Mikrofone auf ihn – so etwa bei der Übergabe von 150 Rollstühlen aus Israel, die in ihrer simplen Machart speziell für die Dritte Welt konstruiert sind. Und immer wieder betont der Botschafter die Freundschaft zu Deutschland sowie den Wunsch, gemeinsam in Kamerun zu arbeiten.

Englischsprachige Kameruner fühlen sich gegenüber der französischsprachigen Mehrheit benachteiligt

Israel unterstützt in Kamerun auch die Roger-Milla-Stiftung. Der Fußballer, der Kamerun 1990 ins WM-Viertelfinale schoss und wegen seiner Tänze an der Eckfahne auch in Europa bekannt ist, ist etwa an einer Ausbildungswerkstatt für körperbehinderte Frauen beteiligt. Dort lernen sie, ihren Lebensunterhalt mit einer Schneiderei, einem Frisiersalon oder einem kleinen Café zu verdienen. Auch hier folgt Israel einem Weg, den ein Partner vorgegeben hat.

Mit viel Interesse verfolgen Milla und sein Team ein Projekt, das Teamgeist mit den Mitteln des Fußballtrainings wecken soll. Die in Israel von der Organisation „Mifalot“ entwickelte Methode wird inzwischen auch international praktiziert. Im Zentralstadion von Yaounde führen Fußballer die Übungen vor. Rasch stellen die Freude am Spiel und der Wunsch, im Team zu gewinnen, Nähe und Gemeinschaft her. „Wir lösen kleine Probleme“, sagt Botschafter Gidor.

Die großen Probleme Kameruns sind auf dem Fußballplatz nicht zu lösen. Etwa fünf Millionen der 24 Millionen Kameruner sind englischsprachig und leben im Nordwesten des Landes, entlang der Grenze zu Nigeria. Sie fühlen sich gegenüber der französischsprachigen Mehrheit benachteiligt. Den Ruf nach mehr Unabhängigkeit und Selbstverwaltung des anglophonen Landesteils beantwortete Präsident Paul Biya mit dem Einsatz von Polizei und Armee, fachte damit aber den Konflikt erst richtig an.

Bildung gilt etwas

Der 84 Jahre alte Biya ist seit 1982 an der Macht. Viereinhalb Jahre seiner Amtszeit habe er im Ausland verbracht, die meiste Zeit davon in einem Luxushotel in Genf, haben Menschenrechtsorganisationen ausgerechnet. Geschätzte Kosten: umgerechnet fast 53 Millionen Euro. Biyas Kabinett – Kamerun hat 66 Minister, im Vergleich: Deutschland nur 15 – tage nur unregelmäßig. Minister und Staatsangestellte erführen von ihrer Ernennung oder Absetzung häufig nur aus den Medien, schreibt Volker Seitz, bis 2008 deutscher Botschafter in Kamerun. Auf der anderen Seite nehme Kamerun in seinen nördlichen Landesteilen großherzig Flüchtlinge aus Nigeria auf, wo die islamistische Boko Haram die Menschen terrorisiert, und ebenso aus der Zentralafrikanischen Republik, die immer wieder von Unruhen erschüttert ist, führt Botschafter Gidor an. Generell gilt Kamerun als Stabilitätsanker in West-Afrika.

Bis 1916, als der letzte Soldat der deutschen „Schutztruppe“ die Waffen niederlegte, war das Kaiserreich Kolonialmacht in Kamerun. Heute genießt Deutschland ein mitunter unwirklich anmutend hohes Ansehen. Bei manchen, besonders Älteren, ist das Lob kalkuliert, um Frankreich zu treffen, das Kamerun als neuer Kolonialherr bis zur Unabhängigkeit dominierte und dessen Einfluss immer noch prägend ist.

Doch bei jungen Kamerunern ist von solcher Berechnung nichts zu spüren. Fabian Mühlthaler, Chef des Goethe-Instituts, wird ihrer Begeisterung kaum Herr. Die Deutsch-Kurse sind überbucht, 13000 Prüfungen wurden in einem Jahr abgenommen – ein internationaler Spitzenwert. Im Innenhof seines eher bescheidenen Instituts türmen sich Container, um Ausweichräume zu bieten, und auch im Geschäftshaus gegenüber hat Mühlthaler eine Etage angemietet. An den Schulen des Landes lernen 300000 Jugendliche Deutsch als Fremdsprache. „Bildung gilt etwas in Kamerun“, sagt Mühlthaler.

Janet Fofang kann das nur bestätigen. In ihren Kursen versucht sie, besonders Mädchen zu fördern, die in den afrikanischen Macho-Gesellschaften häufig zu kurz kommen. Und sie hat einen Blick für Menschen, die auf der Schattenseite stehen. Als sie vor Monaten auf dem Markt Lebensmittel einkaufte, stand Jean Zibi vor ihr mit seiner Schubkarre. „Ja, ich will eine Hand“, rief er, als sie fragte, ob sie ihm mit einer Prothese helfen könne. Lange schon ist sie für Jean zu einem kostbaren Teil seines Körpers geworden. Er sträubt sich, sie abzunehmen, selbst wenn sie in die Werkstatt muss. „Meine Hand“, sagt er dann, „gebe ich nie wieder her.“

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