„Anne Will“-Talkrunde zu FeinstaubDicke Luft auf dem Gesundheitsbasar

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Dieter Köhler, Facharzt für Lungenheilkunde und ehemaliger Präsident der Gesellschaft für Pneumologie und Beatmungsmedizin.

Berlin – Das kommt nicht so oft vor bei Anne Will. Gähnten Zuschauer sonst gerne mal, während der Sachverständige in der Runde Fachbegriffe auseinanderklamüsert, konnten sie diesen Sonntag verfolgen, wie sich statt zweier Politiker mal zwei geladene Experten so richtig fetzen.

Lungenarzt Dieter Köhler ließ sein Credo gleich mehrmals verlauten: „Stickoxid ist ein lebensnotwendiger Stoff, den der Körper selbst herstellt. Es gibt keine Plausibilität, wieso das toxisch sein soll.“ Und: „Die bisherigen Messmethoden sind extrem einseitig.“ Als eine Frechheit empfindet das der Epidemiologe (schwieriges Wort, findet auch Anne Will) Heinz-Erich Wichmann. Schließlich sei er dabei gewesen, als ein Team der Weltgesundheitsorganisation nach jahrelangem Überprüfen von über 600 internationalen Forschungsarbeiten Richtwerte für Stickstoffdioxid entwickelte.

Ehrentitel Abgas-Experte: Wer hat ihn verdient?

„Es ist befremdlich, dass das jetzt Lungenärzte ernsthaft in Frage stellen“, sagt Wichmann. Als Köhler dann im Laufe der Sendung noch eine Gefährdung der Gesundheit durch Feinstaub ausschließt, geht Wichmann an die Decke: „Wir sind doch nicht auf einem Gesundheitsbasar!“ Wenn Köhler sage, das sei nicht schädlich, „dann sind Sie ein Exot.“ Die negativen Effekte für die Gesundheit seien erheblich.

Will Feinstaub

Bei Anne Will stand der Feinstaub und Farbverbote.

Köhler hingegen wird während der Sendung nicht müde, dem Publikum zu verstehen zu geben, dass er es wirklich drauf hat und den Experten-Status verdient. Er warne ja schon lange in der Lungenarzt-Szene vor falschen Messmethoden, habe sogar von den Amerikanern einen Forschungspreis bekommen, verstehe auch was von Physik, habe 2014 etwas veröffentlicht, im Ärzteblatt, in der „Stuttgarter Zeitung“, und einen Vortrag habe er auch schon gehalten, im übrigen stehe alles in seinem Lehrbuch (mit Literaturangaben!). Allein sei er mit seiner Position nicht, schon 113 Lungenärzte seien da ganz bei ihm. „113 von 4000“, betont daraufhin Anne Will.

Verkehrspolitiker: Keine Fahrverbote, weil super Luft

Es ist ja auch eine heikle Situation. Der neutrale Experte, der sonst mit Fakten politische Forderungen einordnet, steht mit seiner Forschung auf einmal selbst zur Diskussion – durch einen anderen Experten, der auch noch Rückenwind aus der Regierung bekommt. Schade, dass Bundesverkehrsminister Andreas Scheuer nicht in ihrer Sendung auftauchen habe wollen, beklagte Anne Will, die sich über dessen Wortwahl wundert. Jüngst beklagte Scheuer die „ständigen Gängelungen“ der Dieselfahrer und eine „masochistische Debatte“ über Feinstaub, Fahrverbote und Tempolimit.

„Was ist das eigentlich für ein Niveau?“, fragt sie statt Scheuer dann Steffen Bilger (CDU), der als parlamentarischer Staatssekretär für den Bundesverkehrsminister spricht. „Die Luft ist in Deutschland so sauber wie seit Jahrzehnten nicht“, betont der. „Wieso sollen wir dann Fahrverbote erlassen?“ Er sorge sich um Bürger, die sich aufgrund der Diesel-Fahrverbote nicht mal eben so ein neues Auto leisten könnten.

Unterstützt wird Bilger von Judith Skudelny von der FDP. Genau zwei Sätze hört man von der umweltpolitischen Sprecherin der Bundestagsfraktion in Wiederholungsschleife: „Die Luft ist so sauber wie nie“ und „Die Menschen werden enteignet aufgrund von Messverfahren, die keiner nachvollziehen kann.“ Skudelny verweist auf eine Messtation am Neckartor in Stuttgart, die völlig falsch aufgestellt sei. Ginge es nach ihr, sollten Dieselwagen wieder unbegrenzt rollen.

Bei weniger Auto und Tempolimit drückt der Schuh

Grünen-Parteivorsitzende Annalena Baerbock grätscht dazwischen: „Was sagen Sie denn den Anwohnern?“ – „Dort sind nur Büros, keine Anwohner“, entgegnet Skudelny, zwar wohlinformiert über den Standort in Stuttgart, aber inhaltlich wenig überzeugend. Nach dem Motto: Ist doch egal, wenn Arbeitnehmer morgens, im Berufsverkehr, auf dem Weg ins Büro einen Stickoxid-Cocktail inhalieren. Vor den Büros läuft bestimmt keine schwangere Frau oder ein chronisch kranker Asthmatiker lang.

„Politik ist dafür da, Lösungen zu finden“, ist der Spruch, den Baerbock an diesem Abend nicht müde wird, zu sagen. Statt auf den gesundheitlichen Schutz der Bürger zu setzen, widerspreche Scheuer lieber geltendem EU-Recht und ziehe die Richtwerte der WHO in Zweifel. In der Tat, Baerbock ist in der Runde die Einzige, die zukunftsweisende und in anderen EU-Ländern bereits breit diskutierte Debatten anstößt – autofreie Städte, besserer Nahverkehr, Hardware-Nachrüstungen durch Konzerne, Tempolimit. Schade nur, dass in der Runde sonst keiner darauf anspringt und sich lieber in einer kleinteiligen Debatte über exakte Messverfahren verliert.

Fazit: Messwert-Debatte lenkt ab von Ideen für die Zukunft

Denn korrekte Verfahren aus der Wissenschaft hin oder her – es zeigt sich: Die Regierung hat Angst vor der Wut stolzer Dieselfahrer und Automobilhersteller. Da kommen die Zweifel eines – wie in der Sendung klar wird - nach Geltungsdrang suchenden Lungenarztes wahrscheinlich ganz gelegen. Bei der Debatte um Abgase beschleicht einen das ungute Gefühl, dass hier leichtfertig mit dem Elementarsten auf unserer Welt gefeilscht wird: der Luft, die wir alle atmen.

Da irritiert es schon, wenn umweltpolitische Sprecher und der Bundesverkehrsminister sich darauf ausruhen, dass die Luft in Deutschland ja so gut wie schon lange nicht mehr sei. Dann können ja alle fröhlich unbegrenzt weiterstänkern? Ein falsches Signal in Zeiten von Klimawandel und stark belasteter Umwelt.

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