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„Charisma eines Buchhalters“Wie das Ausland auf Deutschlands Kanzlerkandidaten blickt

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Kanzler-Triell

Olaf Scholz (SPD, l-r), Annalena Baerbock (Bündnis90/Die Grünen) und Armin Laschet (CDU)

Berlin – Wie geht es nach 16 Jahren Angela Merkel in Deutschland politisch weiter? Kurz vor der Bundestagswahl richten immer mehr internationale Medien ihren Blick auf den Wahlkampf und speziell auf die drei Kanzlerkandidaten Annalena Baerbock, Armin Laschet und Olaf Scholz. Und die werden in der Berichterstattung hart attackiert. „Nie in der Geschichte der Bundesrepublik hatten die Bürger die Wahl zwischen unattraktiveren Alternativen“, ist die „Neue Züricher Zeitung“ (NZZ) überzeugt.

„Deutschland ist heute so umständlich und träge wie die Union, die das Land seit 16 Jahren regiert. Aber die Alternativen sind beängstigend“, schreibt die NZZ in einem weiteren Kommentar.

„Die Kanzlerkandidaten von CDU/CSU und SPD ähneln Angela Merkel, sie sind die Politiker der Mitte, bereit, weiterzumachen. Auch ein Sieg der Grünen, sehr wahrscheinlich vor wenigen Monaten, jetzt unrealistisch, müsste keine Revolution bedeuten“, schreibt die polnische Rzeczpospolita.

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„Vielleicht der langweiligste Typ im ganzen Land“

Dem SPD-Kandidaten Scholz wird wahlweise das Charisma eines Bankangestellten oder Buchhalters im mittleren Management attestiert. „Der Typ, den alle am liebsten mögen, ist der langweiligste Typ bei der Wahl – vielleicht sogar im ganzen Land“, lästerte John Kornblum, ehemaliger amerikanischer Botschafter in Deutschland, in der „New York Times“. Im Vergleich zu Olaf Scholz sei es spannender, einem Topf Wasser beim Kochen zuzuschauen.

CDU-Mann Laschet – ebenfalls wenig charismatisch – sei ein Möchtegernnachfolger von Merkel und sehe aus wie ein regionaler Bankmanager, findet der „Daily Express“. In den Niederlanden hat der Mann aus Aachen eher das Ansehen eines Provinzpolitikers. Und die „Financial Times“ konstatiert: Die Deutschen scheinen von Laschets Langweiligkeit abgestoßen zu sein.

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„Nach 15 Jahren „Merkelismus“ bedeutet der neutrale, konsensbildende Ansatz der Bundeskanzlerin, dass viele Europäer ihr Land als EU-Führer akzeptieren – aber Berlin nach Angela Merkel muss radikal umsteuern, schreibt „The Guardian“ unter Bezugnahme auf eine Studie.

Beinfreiheit für Scholz

Der Zürcher „Tages-Anzeiger“ macht auf Differenzen zwischen dem SPD-Kanzlerkandidaten Olaf Scholz und der linken Führung seiner Partei aufmerksam: „Am sensationellen Aufstieg der Partei an die Spitze der Umfragen hatte die linke Führung in den letzten Wochen dann durchaus ihren Anteil – nämlich, indem sie hinter dem Kandidaten Scholz vollkommen verschwand. Von Esken oder Kühnert war so gut wie nichts zu hören, und schon gar nie ein kritisches oder böses Wort. Kein linker Zwischenruf sollte die Mitte-Botschaft des möglichen nächsten Kanzlers stören.“

Gewinnt die SPD die Wahl, wissen auch die Linken, dass sie dies nicht ihrem Programm, sondern vor allem dem überzeugenden Kandidaten verdanken. Das dürfte Scholz fürs Erste etwas Beinfreiheit verschaffen.

Über die Dritte im Bunde, die Grünen-Kanzlerkandidatin Annalena Baerbock, wird in den ausländischen Medien dagegen vergleichsweise wenig diskutiert. Fast könnte sie darüber beleidigt sein. Denn auch, wenn über ihre beiden Konkurrenten zumeist nicht gerade Positives geschrieben wird – immerhin wird über sie geschrieben. Die „NZZ“ sieht sie durch ihre Fettnäpfchen mit den nachgemeldeten Sonderzahlungen und Plagiatsvorwürfen zumindest als „Schummlerin vom Dienst“, die sich mit ihrem kreativen Verhältnis zur Wahrheit unmöglich gemacht habe.

„Lehrlinge“ und „Scheinriesen“

Sollte das Züricher Blatt den „Kanzlerkandidatenlehrlingen“ Baerbock und Laschet ein Arbeitszeugnis ausstellen, würde darin wohl stehen, sie waren stets bemüht. Das Freundlichste, was man über sie sagen könne, sei, dass sie jeden Tag dazulernten. Und der momentane Umfragengewinner Olaf Scholz? Der sei ein „Scheinriese“, der lediglich von der Schwäche seiner Konkurrenz profitiere und deshalb so souverän wirke.

Obwohl das Rennen um die Kanzlerschaft so spannend ist wie lange nicht, finden viele internationale Medien den Wahlkampf unerträglich langweilig. Doch warum ist das eigentlich so? „Scholz und Laschet sind keine großen Redner oder sogar Menschenfänger“, sagt die amerikanische Korrespondentin Melissa Eddy, die den Berliner Politikbetrieb seit fast zehn Jahren eng begleitet. Zudem seien in den USA Wahlkampfauftritte vor Tausenden Menschen auch während Corona keine Seltenheit, was die kleineren Auftritte hierzulande natürlich öde wirken lasse.

Losen statt wählen

Ähnliches hört man auch aus Polen. „Für polnische Verhältnisse sind die deutschen Parteien relativ ähnlich“, erklärt Berlin-Korrespondent Lukasz Grajewski. Der polnische Wahlkampf und die Politik seien da anders. Da würde sich auch mal beschimpft und gegenseitig angeschrien. Solche Umgangsweisen muss man nicht gut finden, für die „NZZ“ gleicht der diesjährige Wahlkampf deshalb aber auch eher einem „Wattebäuschchenwerfen“. Kein Mensch brauche TV-Trielle, wenn sie sich wie Versammlungen eines Abstinenzlervereins anfühlen, schreibt die Zeitung angesichts der fehlenden Angriffslust. Baerbock, Laschet und Scholz hätten sich aufgeführt, als sollten sie nicht Kanzler einer europäischen Großmacht, sondern Elternsprecher in der Kita werden.

Die „Zürcher Zeitung“ bringt letztlich noch einen revolutionären Vorschlag ins Spiel: Man könne dieses Mal ja auch einfach losen, wer das Kanzleramt bekomme. „Besser würde es damit zugegebenermaßen nicht, vermutlich aber auch nicht schlechter.“

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