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„Das haut rein“Reisen, Essen, Job: Wie die hohen Preise das Leben beeinflussen

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Inflation Symbol 321

Geld in einer Kasse (Symbolbild)

Berlin – Die Inflation ist so hoch wie seit Jahrzehnten nicht. Am stärksten trifft sie jene mit niedrigen Einkommen – und verändert längst auch ihren Alltag. Wie stellen sich die Menschen darauf ein – und was würde ihnen helfen?

Das Elend hat eine Vorgeschichte, es beginnt für Oliver Riek nicht mit den neuen Nachrichten von immer höheren Preisen, sondern im April 2020, mit der Pandemie.

Ein erstes Inflationsopfer

Damals ist er Frühstückchef in einem Hotel, guter Posten, aber das Virus beendet da fürs Erste das Übernachtungsgeschäft. Für Riek heißt das: Kurzarbeit. Und bald darauf: Arbeitslosigkeit. Weil sein Vertrag auslief. „Sachgrundlose Befristung“, sagt er erklärend, mit bitterer Stimme, als spräche er über einen verhassten alten Bekannten, ein Grundübel seiner Branche. „Das hat mir das Genick gebrochen.“

Jetzt, zwei Jahre später, hat er wieder einen Job. Im Café eines Krankenhauses. Geregelte Arbeitszeiten, Tarifbezahlung, aber mehr als 1400 Euro netto hat er am Ende des Monats dennoch nicht, trotz fast 20 Jahren im Beruf. Riek ist 41 Jahre alt, er hat einen Sohn, er lebt in Hamburg, einer der teuersten Städte des Landes. Also wird er jetzt Knut verkaufen.

Knut, so nennt er seinen 17 Jahre alten Renault Clio. „War eigentlich immer mein Buddy“, sagt Riek, sein Freund also. „Aber zwei Euro für E10, das geht für mich nicht.“ Seit zwei Monaten habe er ihn nicht mehr gefahren. Und so wird Knut nun Oliver Rieks ganz persönliches erstes Inflationsopfer.

Höchste Inflationsrate seit 40 Jahren

Riek trägt einen dunkelblauen blauen Hoodie unter einer abgeschabten schwarzen Jacke. „Mein Minimalismus“, sagt er, „hat mir schon oft den Arsch gerettet.“ Das muss er jetzt wieder.

Die Inflation also. Steigende Preise. Um 7,3 Prozent sind Waren zuletzt gegenüber dem Vorjahr teurer geworden, das ist der höchste Wert seit 40 Jahren. Aber diese Zahl ist trügerisch, weil sie so konstant und unverrückbar scheint, wie sie es in Wahrheit nicht ist. Denn tatsächlich gibt es verschiedene Inflationsraten, je nachdem, wie viel man verdient und wie viele Kinder man hat.

„Energie- und Nahrungsmittelpreisschocks belasten Haushalte mit geringem Einkommen besonders stark“, schreibt das Institut für Makroökonomie und Konjunkturforschung der Hans-Böckler-Stiftung in seiner neuesten Analyse.

Ärmere Menschen am stärksten betroffen

Das klingt nach einer Selbstverständlichkeit, aber dahinter verbirgt sich der Effekt, dass die Inflation bei Ärmeren höher ist, weil Benzin, Heizöl und Nahrungsmittel, die gerade besonders steigen, einen höheren Anteil ausmachen. So ist die Inflationsrate bei Singles mit mehr als 5000 Euro netto im Monat am niedrigsten: 6,0 Prozent. Am höchsten ist sie für Paare mit zwei Kindern und einem Einkommen von 2000 bis 2600 Euro: 7,9 Prozent.

Es sind also die Menschen, die ohnehin wenig haben, die die steigenden Preise am stärksten treffen. Grundsicherungsempfänger, viele Rentnerinnen, Minijobber. Menschen in Branchen, in denen die Löhne oft niedrig sind. Handel, Logistik zum Beispiel, und besonders: Gastronomie. Inflation ist ein objektiver Wert, einerseits. Und andererseits ein Gefühl. Und was macht sie jetzt mit den Menschen?

„Den ersten Gast vergisst man nie“

Oliver Riek kann sehr begeistert von seiner Branche erzählen. So laut und engagiert, dass andere Gäste im Café im Hamburger Stadtteil St. Georg still zuhören. Von der ersten Bestellung, die er entgegennahm, damals in einem Offizierskasino der Bundeswehr, eine große Cola und eine Currywurst. Aufgeregt sei er gewesen. „Den ersten Gast vergisst man nie.“

Von der Freude des „Upsellings“ erzählt er, wenn ein Gast also vielleicht doch ein Getränk mehr bestellt, als er eigentlich wollte, und von seinen kleinen Tricks („bei Paaren immer die Frau ansprechen“), von Abenden, an denen das Trinkgeld weit höher war als der Lohn. Riek war in seiner Jugend Rechtsextremist, mit Hilfe eines Aussteigerprogramms und der Begeisterung für seinen Beruf habe er da rausgefunden: „Die Gastronomie war meine Rettung“, sagt er.

„In dieser Branche lebst du immer auf Kante“

Nur kann er ebenso ausführlich auch von den dunklen Seiten seiner Branche erzählen. Wenn er durch das Café-, Bar- und Restaurant-reiche St. Georg geht, weiß er zu vielen Läden eine Geschichte. Er hat eine Zeitlang gebloggt, hat zwei Bücher geschrieben, er ist Gewerkschafter und Linken-Politiker; manche Geschichten wurden ihm zugetragen, andere hat er selbst erlebt.

Sie handeln von unbezahlten Überstunden, von Wirten, die ihren Kundinnen großzügig, ihren Mitarbeitern gegenüber aber umso kleinlicher sind, und dem Streit um eine gerechte Trinkgeldverteilung. „In dieser Branche lebst du immer auf Kante“, sagt Riek.

Als die neue Bundesregierung nun ankündigte, den Mindestlohn Ende des Jahres auf zwölf Euro anzuheben, schien ihm das ein Sieg zu sein. Aber jetzt, sagt er, fresse die Inflation das alles gleich wieder auf.

Heizöl macht den größten Preissprung

Riek teilt sich sein Geld jetzt in kleine Portionen ein. Damit er nicht den Überblick verliert. Etwas über 20 Euro bleiben ihm nun pro Tag. So viel darf er ausgeben. Am letzten Wochenende war er mit seinem Sohn auf dem Dom, dem Hamburger Jahrmarkt. „Da waren 50, 60 Euro im Nu weg.“ Das heißt dann also: zwei Tage nichts ausgeben, um das Geld wieder reinzuholen. Auf Trinkgeld braucht er in seinem neuen Job kaum zu hoffen, da steht er meist hinter der Theke, „Systemgastronomie eben“.

Butter, Öl, Eier, da merke er die Preise jetzt sehr. Und als neulich für ein 150-Gramm-Steak zehn Euro zahlen sollte – „da habe ich mich gefragt: War das schon immer so teuer?“ Genommen hat er es dann nicht. Und Reisen? „In den Urlaub“, sagt Riek, „bin ich zum Glück noch nie gerne gefahren.“

Auf der Liste dessen, was teurer geworden ist, steht Heizöl ganz oben: 107 Prozent mehr als vor einem Jahr, laut Statistischem Bundesamt. Diesel: plus 63 Prozent. Super: 42 Prozent. Sonnenblumenöl: 30 Prozent. Es gibt auch Dinge, die günstiger geworden sind. Elektrische Rührgeräte kosten 3,3 Prozent weniger als vor einem Jahr. Oder Damenschuhe: Minus 1,3 Prozent. Nur wird von Damenschuhen nicht die Wohnung warm.

Wann endet der Krieg?

Das ist die Inflation auf dem Papier. Aber es gibt sie auch in den Köpfen. Da ist sie nicht so klar messbar. Aber Auswirkungen hat sie dennoch. Die Ökonomen sind für das nächste Jahr sogar gedämpft zuversichtlich. Von 2,8 Prozent Steigerung gehen sie da aus. Aber es ist eine Prognose mit vielen Unbekannten. Der Frage vor allem, wann der Krieg in der Ukraine endet. Wie die Inflation wirkt ist am Ende auch immer eine Frage der Erwartung.

Und so fragen sich Dominic und seine Freundin nun gerade, ob sie wirklich ein Kind bekommen sollen. Ob sie es wagen sollen. Er frage sich schon, ob er bei den Preisen und dem Lohn in der Lage sein werde, eine Familie zu ernähren. „Und im Moment würde ich sagen: Das wird eng.“

Preise für Auslandsreisen „jenseits von Gut und Böse“

Dominic ist Mitte 30, die Frage steht jetzt für in an. Er arbeitet in einem Logistikzentrum, zuständig für Großkunden, er leitet sogar ein kleines Team. Dennoch verdienen er und seine Kolleginnen und Kollegen lediglich zwischen 1300 und 1800 Euro. Zur Mittelschicht, sagt er, würde er sich damit nicht zählen.

Wer mit ihm über die Inflation redet, hört viele Beispiel. Das Fitnessstudio zum Beispiel, das schon eines der günstigsten ist, aber jetzt gerade von 20 auf 25 Euro geht. Die vegetarischen Lebensmittel, die er und seine Freundin immer häufiger kaufen, aus Gesundheitsgründen, aber die jetzt, sein Eindruck, auch gerade immer teurer wurden. Und als sie neulich den Sommerurlaub planten, haben sie sich von ihrer ursprünglichen Idee bald verabschiedet.

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Laut Verbraucherindex ist der Preis für Reisen im März um 11,5 Prozent gestiegen. Aber was heißt das schon? Eigentlich wollten sie nach Kreta. Aber die Preise seien so gestiegen, „das ist jetzt jenseits von Gut und Böse“. Jetzt fahren sie an die Ostsee statt ans Mittelmeer.

Bundesregierung beschliesst umstrittene Entlastungspakete

Ob sie sparen könnten, irgendwo? Am stärksten, sagt Dominic, schlage das Benzin zu Buche? Früher hat er seinen Ford Ka, ein Kleinstauto, für 50 Euro in der Woche betankt. Jetzt zahlt er 80. Doch was das Auto angeht, fühlt er sich, wie so viele, wie ein Gefangener der Umstände.

Die Frühschicht beginnt um sechs Uhr. Um pünktlich da zu sein, müsste er den ersten Bus um 4.50 Uhr nehmen. Mit dem Auto braucht er 20 Minuten. Aber 30 Euro Unterschied in der Woche? „Das haut schon richtig rein.“ Mal zum Griechen, das haben sie früher häufiger gemacht. Jetzt nur noch ein Mal im Monat. Das spart, ändert aber wenig am Gefühl.

Zwei Entlastungspakete, so hat es die Bundesregierung beschlossen. Es sind unter Ökonomen durchaus umstrittene Maßnahmen, weil es die Inflation womöglich weiter antreibt, wenn sich alle die höheren Preise wie zuvor leisten können. Auf der anderen Seite würden die beiden Entlastungspakete „die Zusatzbelastungen relativ sozial zu einem erheblichen Teil abdecken“, urteilen Sebastian Dullien und Silke Tober vom Institut für Makroökonomie und Konjunkturforschung.

Ökonomen sind sich uneins

Doch die entscheidendere Frage ist wohl, ob sie auch das Gefühl der Menschen verändern können. Ob sie den Eindruck verändern, es würde einfach alles immer teurer. Ob sie so etwas wie Zuversicht zurückbringen können. Logistikkaufmann Dominic ist da skeptisch. Er ahne, sagt er, „dass das nicht viel bringt“.

Wichtiger wäre ihm etwas anderes: deutlich höhere Löhne. Was mitten hinein führt in den Streit der Ökonomen – von denen die einen meinen, dies würde eine Lohn-Preis-Spirale auslösen, und andere glauben, dies sei der sicherste Weg zur Ankurbelung des Konsums.

Riek wünscht sich Abschaffung des Trinkgelds

Oliver Riek würde dafür dagegen auch eine Abschaffung des Trinkgelds befürworten – damit dies nicht mehr als Ausrede für eine schlechte Bezahlung herhalten muss.

Während der Pandemie und seiner Arbeitslosigkeit hat er es auch schon mal mit einem ganz anderen Gegenmittel versucht: Er hat den Job gewechselt – und hat als Busfahrer angefangen. Das allerdings hat er auch bald wieder aufgegeben – und ist bei nächster Gelegenheit trotz bescheidener Bezahlung in seinen alten Job zurückgekehrt. „Acht Stunden herumsitzen“, sagt er, „das war einfach nicht mein Ding.“

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