„Massive Notsignale“Plötzlich wird in der Pandemie wieder von Triage gesprochen

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Bett Krankenhaus

Die Anzahl der Betten in Krankenhäuser ist begrenzt. 

Plötzlich steht das Horror-Wort der Pandemie wieder im Raum: Triage. Anfang der Woche hatte der Ärztliche Direktor eines Klinikums im sächsischen Zittau öffentlich erzählt, dass seine Ärzte zuletzt schon mehrfach entscheiden mussten, „wer Sauerstoff bekommt und wer nicht“ und hatte dafür den Begriff Triage verwendet – der die Entscheidung über die Reihenfolge der Behandlung nach Überlebenswahrscheinlichkeit meint. Später erklärten Klinik und sächsische Landesregierung, es habe sich eher um einen „Weckruf“ gehandelt. In diesen Weckruf stimmen inzwischen mehr und mehr Kliniken ein.

An der Heidelberger Uniklinik sei wegen der stark steigenden Zahl an Covid-19-Patienten eine Triage nicht mehr auszuschließen, sagt etwa deren Ärztlicher Direktor Ingo Autenrieth.

Die Baden-Württembergische Krankenhausgesellschaft ruft den Bund deshalb auf, die sogenannte Freihaltepauschale, die für Einnahmeausfälle durch Covid-19-Behandlung statt regulärer Operationen aufkommt, wieder aufs Niveau der ersten Pandemie-Welle zu erhöhen.

„Massive Notsignale“

Alarm schlägt auch Brandenburg: „Es gibt inzwischen massive Notsignale aus den Krankenhäusern im Süden“, sagt Gesundheitsministerin Ursula Nonnemacher (Grüne) – und bat das Land Berlin um Hilfe. Triage sei jedoch „im Moment hier in Brandenburg kein Thema“. Allerdings müssten 50 Covid-19-Patienten aus Brandenburg nach Berlin verlegt werden.

Hinzu kommt Personalmangel – auch wegen erhöhter Ausfälle wegen Corona-Infektionen. Der Medizinchef am Uniklinikum Leipzig, Christoph Josten, sprach gegenüber der DPA von Ausfällen von 15 bis 30 Prozent.

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Verschärft sich die Lage weiter, könnten die Mediziner vor ethischen wie vor juristischen Problemen stehen. Zur ethischen Frage erklärte die Katholische Kirche in Deutschland, bei weiter steigender Zahl von Corona-Patienten sei die Triage als letztes Mittel und bei wirklicher Überlastung des Gesundheitssystem gerechtfertigt. „Die Triage muss ethisch unter dem Aspekt der Ultima Ratio betrachtet werden“, sagte der Vorsitzende der deutschen Bischofskonferenz (DBK), Limburgs Bischof Georg Bätzing, dem Redaktions-Netzwerk Deutschland (RND).

Es sei jedoch aus ethischer Sicht von höchster Bedeutung, dass bei Unvermeidbarkeit einer Triage, „sie in streng limitiertem Rahmen nach den etablierten Regeln der ärztlichen Heilkunst und den Grundsätzen der Medizinethik und des ärztlichen Berufsethos“ durchzuführen sei, so Bätzing. „Als Entscheidungskriterien kommen ausschließlich medizinische Aspekte in Betracht“, so der DBK-Chef. „Unethisch und abzulehnen sind äußere Kriterien wie etwa das Lebensalter, Behinderungen oder das Geschlecht, insbesondere jedoch soziale Kriterien wie Stellung, Bekanntheitsgrad, ökonomische Aspekte oder auch „Systemrelevanz“.“

Jedes Menschenleben gleich viel wert

Auch die Evangelische Kirche betont, dass jedes Menschenleben gleich viel wert sei. „Dass wir überhaupt über Triage diskutieren müssen, zeigt, wie wichtig es ist, alles dafür zu tun, dass solche Situationen vermieden werden können. Durch Einhaltung der Corona-Regeln können wir alle dabei mithelfen“, sagte der Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Heinrich Bedford-Strohm, dem RND. Jede Entscheidung müsse individuell getroffen werden. Zur juristischen Frage werden inzwischen Rufe danach laut, dass der Bundestag die Kriterien für eine Triage gesetzlich regeln müsse. Das wiesen sowohl Justizministerin Christine Lambrecht (SPD), als auch SPD-Gesundheitsexperte Karl Lauterbach zurück. Wie und mit welchen Maßnahmen Patienten behandelt werden, sei eine ärztliche Entscheidung im Einzelfall, die allein nach medizinischen Kriterien getroffen werden könne, sagte Lambrecht der Rheinischen Post. Die medizinischen Fachgesellschaften und der Deutsche Ethikrat hätten dazu Empfehlungen ausgesprochen. Lauterbach sagte: „Alle deutschen Krankenhäuser haben funktionierende Triage-Pläne und können das für sich am besten organisieren.“ Die Überlastung einzelner Intensivstationen werde vermeiden, indem man Patienten in andere Häuser verlegt. Die Deutschen Krankenhausgesellschaft bestätigte dies: Bis alle Kapazitäten aufgebraucht seien, müsste sich die Zahl der aktiven Infektionen verdoppeln.

Auch der Präsident des Bundesamtes für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe, Armin Schuster, warnte gegenüber dem RND vor Hysterie: „Wir schaffen es aktuell immer noch, jedem Corona-Patienten die bestmögliche Versorgung zu bieten, auch durch regionale Verlegungen. Bund und Länder sind über ein Kleeblatt-Verfahren auch auf weitere überregionale Verlegungen vorbereitet, die bisher noch nicht abgerufen wurden“, so Schuster.

Hauptziel bleibe jedoch, die sehr hohen Infektionszahlen zu senken und damit eine Überlastung des Gesundheitssystems zu vermeiden, betonte er. Wenn sich alle an die Bestimmungen des Lockdowns und die erweiterten AHA-Regeln halten, „wird auch zukünftig eine Priorisierung der Behandlung lebensbedrohlich erkrankter Corona-Patienten nicht notwendig sein.“

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