„Maybrit Illner“ zum TempolimitScheuer und Habeck geben Gas und verfahren sich

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scheuer und habeck

Grünen-Parteivorsitzender Robert Habeck (l.) und Bundesverkehrsminister Andreas Scheuer bei „Maybrit Illner“.

Berlin – Fahrverbote, Schadstoff-Grenzwerte und Tempolimits sind der Stoff, aus dem bislang noch jeder TV-Talk ein bisschen Honig saugen durfte. Auch Maybrit Illner legt sich Donnerstagabend den Ball mal wieder auf den Punkt. „Muss Deutschland runter vom Gas?“, fragt sie.

Das Spiel hat bei der Besetzung der beiden Teams fast schon Derby-Charakter. Auf der einen Seite Bundesverkehrsminister Andreas Scheuer (CSU) und Bernhard Mattes, Präsident des Verbandes der Automobilindustrie (VDA). Gegenüber stehen Grünen-Chef Robert Habeck und die Münchner Journalistin Cerstin Gammelin (Süddeutsche Zeitung).

Zum Aufwärmen des Publikums befragt die Moderatorin Ioannis Sakkaros. Der Stuttgarter organisiert Demonstrationen gegen Diesel-Fahrverbote in der Schwabenmetropole. Er schimpft: „Die Bürger müssen nun ausbaden, was die Politiker verschlafen haben.“ Vor allem regen ihn die propagierten Umtauschprämien der Hersteller auf, die auch noch mit ihrem Betrug ein zweites Mal abkassieren wollten. „Die Frage ist doch“, so Sakkaros, „ob sich Familien ein neues Auto leisten können.“

Scheuer lässt sich nur ungern als Schlafmütze hinstellen. Er stellt klar, dass alle strafrechtlichen Maßnahmen gestartet seien. Die Fahrverbote würden auch mit veralteten Luftreinheitspläne zusammenhängen, die Kommunen zu verantworten hätten. Und die Umtauschprämien seien attraktiv, wirbt der Minister. „Da muss Herr Sakkaros mal zu seinem Händler.“

Verunsicherte Kunden sind Versagen der Politik

Allerdings: Seit dem vergangenen Herbst haben gerade mal 27.000 Kunden ihren alten Wagen gegen einen neuen getauscht. Bis zum Sommer sollen es 1,5 Millionen sein, so die Regierungspläne. Wie er das schaffen wolle, fragt Journalistin Cerstin Gammelin den Verkehrsminister. „Die Kunden wissen doch gar nicht, was sie kaufen oder ob sie Grenzwerten noch glauben sollen. Das ist das Versagen der Politik.“

Scheuer reagiert genervt. „Wir bauen keine Autos bei uns im Keller des Ministeriums.“ Außerdem seien Messstationen und Grenzwerte sowie der Betrug der Hersteller unterschiedliche Paar Schuhe. Grünen-Chef Robert Habeck, der Scheuers Aussagen prinzipiell mit finsterer Miene verfolgt, mischt sich an dieser Stelle ins Gespräch. Es gebe durchaus Zusammenhänge zwischen Luftverschmutzung und dem Betrug der Industrie. „Würden die Herstellerangaben stimmen, hätte Kiel kein Problem mit der Luft.“

Habeck wirft Bundesregierung und Automobilindustrie vor, sich zu verbünden, um Hardware-Nachrüstungen zu verhindern und mehr neue Autos zu verkaufen. „Warum“, fragt er, „blockiert zum Beispiel VW, die Daten der Motoren an die Nachrüster zu geben?“

„Wir stehen überhaupt nicht auf der Bremse“, wehrt sich Bernhard Mattes, der die Hersteller vertritt. „Wir haben sofort alles gefixt.“ Habeck: „Warum verweigern die Hersteller die Herausgabe der Daten?“ Mattes: „Die Gespräche laufen.“ Habeck: „Ich weiß nicht, was es da noch zu sprechen gibt. Angaben raus und fertig!“ Gas-Bremse, Gas-Bremse. Die Dispute zwischen Habeck und Mattes haben die Qualität der ersten Stunden eines Fahrschülers.

Da wir hier nicht weiterkommen, befragt Illner die renommierte Umweltmedizinerin Claudia Traidl-Hoffmann vom Universitätsklinikum Augsburg zu der Auffassung von gut 100 Lungenfachärzten, die die Schadstoff-Grenzwerte für willkürlich halten und deren Basis für unwissenschaftlich. „Das ist so, als ob Ihnen jemand sagt, er hätte nun doch herausgefunden, dass die Erde eine Scheibe ist. Die Empfehlungen der Wissenschaftler sind datenbasiert. So arbeitet man wissenschaftlich“, stellt Traidl-Hoffmann klar. Und apropos gesunder Menschenverstand: „Schadstoffe haben nun einmal Gesundheitseffekte, bis hin zu Genveränderungen.“

„Grenzwerte politisch und ideologisch festgelegt“

Minister Scheuer, der das Positionspapier der Lungenärzte seit einer Woche wie einen Schild vor sich herträgt, beharrt. „Wir nehmen diese Rückmeldung ernst. Die Grenzwerte sind politisch und ideologisch festgelegt. Wir wollen drüber reden und dann mal sehen.“ Die Bundeskanzlerin hätte die Leopoldina mit der Prüfung der Werte beauftragt. Das sei der richtige Schritt.

Habeck ist langsam aber sicher auf Betriebstemperatur. Er erinnert Scheuer daran, dass die Grenzwerte „kein grüner Firlefanz“, sondern immer von den Unionsparteien in bürgerlichen Koalitionen beschlossen worden seien. „Jetzt, wo sich die Politik verrannt hat, müssen die paar Mediziner als Alibi herhalten.“ Sein Lieblingsgegner in der Runde, Automobil-Boss Mattes, meldet sich zu Wort. „Also, bei den Messstellen und Grenzwerten brauchen wir Klarheit. Wir halten uns an Recht und Gesetz.“ Habeck bekommt kurz Schnappatmung: „Das sagen ausgerechnet Sie. Das ist ja ein dicker Hund.“

„Alles andere ist Humbug“

Dann liest Habeck Scheuer wieder die Leviten. Eigentlich, sagt er, gibt es keinen Debattenpunkt. Es ginge nicht, dass der Verkehrsminister kampagnenmäßig zu Veränderungen von Grenzwerten aufrufe, die europaweit Konsens seien und gesetzlich verankert. „Wenn man im Amt steht, muss man sich an Recht und Gesetz halten. Alles andere ist Humbug.“ Habeck: „Sie scheinen nicht sehr fachkundig zu sein, Herr Scheuer.“

Scheuer winkt ab. Die Deutschen neigten dazu, den letzten Millimeter des Messens auszunutzen. „In Wien steht die Messstation Stephansdom an der Fußgängerzone.“ Er fordert von Habeck und seinen Anhängern nicht allein an die Klientel in den Großstädten zu denken. „Was ist mit den Leuten im ländlichen Raum oder den Pendlern, die auf den Diesel angewiesen sind?“

Umstieg von Diesel auf Benzin ist auch keine Lösung

Habeck kontert, der Umstieg von Diesel auf Benzin sei auch keine Lösung. Eine Verkehrswende müsse her, um Mobilität und Klimaschutz zu gewährleisten. Aber wie? Cerstin Gammelin wirft das heikle Thema Spritpreise ein. Den Liter für 2,10 Euro halten Fachleute 2030 für möglich. Scheuer umschifft das Thema, Habeck redet über die Kohlendioxid-Steuer und Illner fasst nicht nach.

So franst das Ganze am Ende aus, an dem noch stichpunktartig und pflichtgemäß die Themen Schiene oder Elektroauto aufgerufen werden. Da fehlt dann die Kraft. Illner fragt ausgerechnet die Kollegin Gammelin, was denn die Verkehrswende kosten werde. Tja, was soll die Journalistin darauf antworten? Lieber nichts. (RND)

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