„Überlebensfrage für die Menschheit”Halten unsere Körper den Klimawandel aus?

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Klimakrise

Schon jetzt gibt es Regionen, die im Sommer nicht mehr bewohnbar sind, so der Experte.

Viele Menschen überschätzen, wie anpassungsfähig ihr Körper ist. Tatsächlich ist der Spielraum für Menschen sehr gering – und wird durch die Folgen des Klimawandels immer enger. Hanns-Christian Gunga erforscht, wie sich die extreme Situation auf die Gesundheit von Menschen auswirkt. Er warnt: „Wenn die Erde immer unbewohnbarer wird, finden die Menschen keinen Platz, wohin sie flüchten könnten.“

Herr Gunga, wissen wir zu wenig über die Anpassungsfähigkeit unseres Körpers? Woher kommt das?

Hanns-Christian Gunga Ich denke, das hat was mit Selbstbestätigung zu tun. Wir sind eine Massengesellschaft geworden, in der fast alles gleichgeschaltet ist. Viele haben das Gefühl, man müsse etwas Einzigartiges vollbringen, um sich hervorzuheben, und um eine persönliche Befriedigung zu empfinden. Mitunter sind das Herausforderungen, die lebensgefährlich sind.

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Weil man die äußeren Bedingungen falsch einschätzt?

Ja, das beginnt mit der Temperatur: Ohne eine konstante Körpertemperatur kann ein Mensch nicht überleben. Die Spanne ist eng – wir sprechen von 36,5 bis 37,5 Grad. Bereits eine längere Abweichung von zwei oder drei Grad kann tödliche Folgen haben. Und in diese Situation kann man recht schnell kommen.

Zum Beispiel?

Zum Beispiel, wenn man die Gefahren in den Bergen unterschätzt. So kam eine Schulklasse, die 1954 in den Alpen unterwegs war, ums Leben. Die Kinder wollten mit ihrem Lehrer im April zum Gipfel des Krippensteins auf 2100 Meter aufsteigen. Ein Kälteeinbruch überraschte die Gruppe. Sie verlor die Orientierung und konnte am nächsten Tag nur noch tot geborgen werden.

Was passiert bei Kälte?

Unsere menschliche Haut ist mit Rezeptoren besetzt, die auf Kälte reagieren. Die Folge: Der Körper fängt an zu zittern, um so Wärme zu erzeugen. Bei einem unbekleideten Körper beginnt das große Zittern bei fünf bis sechs Grad Außentemperatur, fällt das Thermometer unter null Grad, nimmt die Intensität natürlich deutlich zu. Irgendwann aber sind die Energievorräte in der Muskulatur aufgebraucht, der Körper kann sich also nicht ewig warm zittern. Die Folge: Der Mensch wird bewusstlos und stirbt letztendlich an Herzrhythmusstörungen.

Und bei Hitze?

Generell kann man sagen, dass wir uns bei 27 bis 31 Grad wohlfühlen, wenn wir uns unbekleidet im Freien aufhalten. Steigt die Hauttemperatur über 32 Grad Celsius, fangen wir an zu schwitzen. Ein untrainierter Mensch kann ein bis zwei Liter pro Stunde ausschwitzen. Wer also fünf Stunden solchen Temperaturen ausgesetzt ist, verliert bis zu zehn Liter Flüssigkeit. Und das kann gefährlich werden. Denn ein zu großer Flüssigkeitsverlust führt ins Delirium und anschließend zur Bewusstlosigkeit.

Warum ist das so?

Die eigenen Mechanismen, um die Wärme auszugleichen, fallen dann aus – wir kennen das unter dem Namen Hitzeschlag – eine Störung der zentralen Temperaturregulation im Gehirn. Es reicht also schon eine geringe Temperaturabweichung aus, um in Lebensgefahr zu kommen. Da gibt es nur einen sehr kleinen Spielraum, den der Klimawandel zunehmend enger macht.

Der Klimawandel, dessen Relevanz von einigen immer wieder infrage gestellt wird …

… wir leben hier in einer Blase, genießen klimatisierte Räume, sprechen von Rekordsommer. Da scheint der Klimawandel mitunter weit weg zu sein. Aber schon das Wort „Rekord“ ist hier falsch am Platz, es ist viel zu positiv besetzt – es müsste Alarm auslösen. Denn durch den CO₂-Ausstoß erhöht sich die globale Temperatur in einem so rasanten Tempo wie noch nie zuvor in der Erdgeschichte, die wir erforschen konnten. Die heißen Sommer sind die Naturkatastrophen der Neuzeit. Die gesundheitlichen Folgen reichen vom Sonnenstich über den Hitzekollaps bis hin zum Hitzeschlag. Allein 2018 sind in Deutschland etwa 20.200 Rentnerinnen und Rentner an Hitzestress gestorben.

Der Mensch kann sich also nicht so schnell an die klimatischen Veränderungen anpassen.

Genau, und das wird zur Überlebensfrage für die Menschheit. Es gibt bereits jetzt schon bestimmte Regionen, die im Sommer nicht mehr bewohnbar sind. Denken Sie an Pakistan, an die arabische Halbinsel und an viele Teile von Afrika. Zum Beispiel in Kenia und Burkina Faso, wo sich Millionen Menschen mithilfe ihrer Landwirtschaft selbst versorgen, zeigen sich die Zusammenhänge deutlich: Der Hitzestress macht die Menschen weniger arbeitsfähig. Weniger Arbeit bedeutet wiederum mehr Armut, wirtschaftliche Unsicherheit und soziale Not für eine Gesellschaft als Ganzes. Die Migration ist dann die erste Strategie, um auf die veränderten Umweltbedingungen zu reagieren. Die Migrationsbewegung wiederum kann andere politische Systeme ins Wanken bringen.

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Das Zeitfenster ist klein, wir müssen dringend auf erneuerbare Energiequellen setzen – um den CO₂-Ausstoß so klein wie möglich zu halten. Es kann nicht sein, dass riesige Gebäude und ganze Einkaufsmalls runtergekühlt werden – mithilfe von Erdöl, dass wiederum CO₂ freisetzt. Ein sich selbst verstärkender Kreislauf.

Was sagen Sie den Skeptikern?

Die Erderwärmung ist kein politisch getriebenes Thema, sondern eine Gefahr, der wir alle ins Auge sehen müssen, um gemeinsam den Auswirkungen des Klimawandels entgegenzuwirken. Dazu gibt es keine Alternative! Denn wenn die Erde immer unbewohnbarer wird, finden die Menschen keinen Platz, wohin sie flüchten könnten. Da hilft auch kein Geld, um ins All auszuweichen: Denn als Weltraummediziner ist mir kein Planet im Umkreis von mehreren zig Billionen Kilometern bekannt, der als zweite Erde das Überleben der Menschen sichern könnte.

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