AnalyseMacrons fünf entscheidende Fehler im Umgang mit Putin

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Macron Putin 2020

Wladimir Putin und Emmanuel Macron bei einem Treffen im Januar 2020

Paris/Moskau – Geht es noch schräger? Während Russland die Ukraine demütigt, warnt Paris vor einer Demütigung Russlands. Auch bisherige Fans des französischen Präsidenten fassen sich an den Kopf: Was sollen solche Extratouren? Eine Analyse der Russland-Politik von Emmanuel Macron zeigt eine bedrückend lange Liste von Fehlern. Einer zumindest hat jetzt Grund zur Freude: Olaf Scholz.

Unter den Staats- und Regierungschefs der EU steht der deutsche Kanzler nicht mehr als der Hartherzigste da. Den Pokal hat sich jetzt Emmanuel Macron geschnappt.

Zu Beginn des Pfingstwochenendes, nach rund 100 Tagen Krieg, unterstrich der französische Präsident ein politisches Ziel, das eine Mehrheit der Europäerinnen und Europäer längst abgeschrieben hat: Gesichtswahrung für Wladimir Putin.

„Wir dürfen Russland nicht demütigen, damit wir an dem Tag, an dem die Kämpfe aufhören, mit diplomatischen Mitteln einen Ausweg finden können“, sagte Macron in einem Interview mit der Zeitungsgruppe Ouest France. „Ich bin davon überzeugt, dass es die Rolle Frankreichs ist, eine vermittelnde Macht zu sein.“

Ein alter französischer Traum

Macrons Analysen wurzeln, darin liegt sein grundlegender erster Fehler, in altem Denken. Ungeachtet der von Putin geschaffenen völlig neuen Realitäten träumt Macron einfach einen alten französischen Traum weiter: Rettung der Welt durch französische Diplomatie.

Liefe alles à la Macron, würden kluge Köpfe am Quai d’Orsay, im französischen Außenministerium, an einer neuen Formel tüfteln, an Minsk III oder IV oder V. Alles würde gewiss noch trefflich ergänzt durch Eingebungen des Hausherrn im Élysée-Palast. Und am Ende, voilà, wäre wundersam der Weg zum Frieden gebahnt – und der Rest der Welt würde sich fragen: Warum nicht gleich so?

Natürlich liegt in jeder Suche nach einer diplomatischen Lösung etwas Sympathisches, grundsätzlich jedenfalls. „Doch die Verhältnisse, sie sind nicht so“, muss man mit Bertolt Brecht entgegnen.

Denn leider hat sich Putin in monströser Weise über alle alten Kategorien von Formeln, Kompromissfindung und Gesichtswahrung erhoben. Wieso sollte man sich zusammensetzen mit einem Mann, der stolz darauf ist, gerade den Tisch umgeworfen zu haben? Bis zum 23. Februar 2022 bezeichnete Putin einen Einmarsch in die Ukraine als böswillige Unterstellung des Westens. Am 24. Februar 2022 nannte er dann den Einmarsch unvermeidlich. Wieso sollte man diesem Mann jemals wieder vertrauen?

Die Welt weiß es besser

Macrons zweiter Fehler: Indem er noch immer eine Gesichtswahrung für Putin fordert, wirft er sich hinter einen längst abgefahrenen Zug.

Europa und die ganze Welt wissen es längst besser. Putin selbst will doch jetzt endlich als derjenige wahrgenommen werden, der er wirklich ist: ein unfassbar aggressiver russischer Kriegsherr, der seinen Machtanspruch tatsächlich auf nichts anderes als seine Grausamkeit gründet, ganz wie seine Vorbilder, die Zaren Alexander III. und Iwan der Schreckliche.

Dass Macron in seinem Interview das Verhalten Putins nur als „Fehler“ bezeichnet, ist übrigens Macrons Fehler Nummer drei. Ebenso schnoddrig sprach Gerhard Schröder über den Krieg. Warum findet der sonst so gern und so fein nuancierende Präsident der französischen Republik, ein Mann, der seine Bemerkungen stets von beamteten Geschichtsschreibern festhalten lässt, keine angemessenen Worte für diese größte europäische Tragödie seit 1945?

Am verstörendsten aber ist Macrons Fehler Nummer vier: der Gedanke, man könne und müsse Russland eine Demütigung ersparen. Dies wird nicht funktionieren, jedenfalls nicht dann, wenn die Gerechtigkeit siegt.

Putin gehört vor Gericht

Wo ist Frankreichs Orientierung an den Menschenrechten geblieben? Ein Land, dem Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit ein Anliegen sind, kann doch nicht im Ernst empfehlen, über die aktuellen Verbrechen Russlands und seines Präsidenten aus Gründen einer vermeintlichen diplomatischen Finesse hinwegzusehen.

Putin ist die mächtigste freiheitsfeindliche Kraft in Europa. Er will möglichst vielen Menschen Angst machen, nicht mehr nur in seinem eigenen Land. Deshalb hat es ihm gefallen, die größte Landschlacht in Europa seit dem Zweiten Weltkrieg in Gang zu setzen, ein Morden, von dem viele sagen, dass es nur der Auftakt sei für noch Größeres und Schlimmeres. Woche für Woche schickt Putin derzeit bereits Zehntausende ins Grab. Den Schlächtern von Butscha hat er Medaillen verliehen. Derzeit lässt er Weizensilos in der Ukraine bombardieren. Er hofft auf maximales Leid für Millionen: Teuerung, Hungersnöte, Flüchtlingsströme. Seit 1945 hat in Europa niemand so viele Verbrechen in so kurzer Zeit begangen wie Putin.

Dieser Mann muss vor Gericht, je eher desto besser. Die in der nachfolgenden Haft liegende Demütigung wird man ihm weder ersparen können noch ersparen wollen. Gleiches gilt für die Vielzahl bereits identifizierter Mörder, Folterer und Vergewaltiger in der russischen Armee. Die russische Zivilbevölkerung muss sich darauf gefasst machen, über Jahrzehnte Schadensersatz an die Ukraine zu leisten.

Es mag taktisch bedingte Zwischenschritte geben. Doch wenn man mit einem Verbrecher wie Putin redet, dann nur in der Weise, wie die Polizei etwa während einer Geiselkrise mit einem Gangster redet: am besten per Megafon und zum Mithören für alle.

Macron spaltet Europa

Eigentlich müsste Russlands Krieg in der Ukraine die Stunde eines uneitlen Zusammenrückens aller Demokratien sein. Macron aber, das ist sein Fehler Nummer fünf, setzt auf eine ominöse Sonderrolle seines Landes. Er sieht Frankreich als „vermittelnde Macht“ – als sei Frankreich irgendwie anders als die anderen Länder, in besonderer Weise beseelt oder begnadet. Kann Paris sich einen solchen Exzeptionalismus, der die Franzosen ja auch bei Briten und Amerikanern in anderen Zusammenhängen nervt, nicht einfach mal verkneifen?

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Macron scheint, Krieg hin oder her, fasziniert zu sein von dem Gedanken, eine Sonderbeziehung zwischen Paris und Moskau unterhalten zu können. Hat Putin, der alte KGB-Fuchs, in Macron den Ehrgeiz geweckt, sich nach dem Abgang Angela Merkels aufzuschwingen zum neuen Führer Westeuropas? Vieles spricht dafür, unter anderem die ausufernd langen Telefonate zwischen Putin und Macron. Zwar bindet Macron auch den deutschen Kanzler ein. Und er informiert sogar die Ukraine. Doch er lässt niemanden im Zweifel, dass er es ist, der im Verhältnis zu Moskau den Ton angibt.

Mit alldem treibt Macron eine neue Spaltung Europas voran. Liegt es am Ende auch daran, dass Frankreich ein Stück weiter weg ist vom Geschehen als die osteuropäischen Staaten, die erleben mussten, dass russische Raketen 25 Kilometer vor ihrer Staatsgrenze einschlugen?

Macron jedenfalls setzt gegenüber Moskau die Akzente deutlich anders als etwa die baltischen Staaten und Polen. Damit fällt die von ihm stolz vorgestellte „vermittelnde Macht“ Frankreich als integrierende Kraft innerhalb der EU aus, ein Armutszeugnis. Zu besichtigen ist unterm Strich das Gegenteil einer erfolgreichen europäischen Diplomatie: Ein Riss zieht sich durch die EU – und Putin darf sich die Hände reiben.

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