Analyse zur ParlamentswahlPutins nützliche Idioten in Frankreich

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Jean-Luc Mélenchon 

  • Die zweite Runde der Parlamentswahl wurde zu einem neuem Paukenschlag des Popu­lismus in Europa.
  • Radikale von links und rechts sind jetzt in Frankreich so stark wie noch nie.
  • Die Linksradikalen unter Jean-Luc Mélenchon zeigen Sympathie für Wladimir Putin.

Der gleißende Pomp in der Nacht des ersten Wahlsiegs von Emmanuel Macron bleibt unver­gesslich. Mit feierlichem Gesichtsausdruck, von wandernden Lichtkegeln verfolgt, schritt der neue französische Präsident zu einer bunt strahlenden Bühne vor dem Louvre und versprach seinen Franzosen den Anbruch neuer, besserer Zeiten.

„Ich werde in den nächsten fünf Jahren alles dafür tun, dass die Menschen keine extremistischen Parteien mehr wählen“, sagte Macron. Zehntausende, die auf dem Platz zusammengeströmt waren, jubelten. Man schrieb den 7. Mai 2017. Marine Le Pen, Macrons rechtsradikale Gegenkandidatin, war soeben in der Stichwahl auf 33,9 Prozent der Stimmen gekommen.

In diesem Jahr, nach seiner mühsamen Wiederwahl am 24. April, verzichtete Macron auf Siegesfeiern ebenso wie auf steile Ansagen aller Art. Diesmal war ihm Le Pen noch deutlich näher gekommen, mit 41,45 Prozent. Doch damit nicht genug. Auf die Präsidentschaftswahl, die Macron mit wackligen Knien überstand, folgte soeben eine Parlamentswahl, bei der Macrons Bündnis „Ensemble“ keine absolute Mehrheit mehr bekam.

Macron muss sich neue Partner suchen – und findet sich in einem Zangengriff wieder: hier die Linksradikalen unter Jean-Luc Mélenchon, dort die Rechtsradikalen unter Marine Le Pen. Beide sind wirtschaftspolitisch unseriös, beide sind feindselig gegenüber der EU, beide dämpfen die Kritik an Putin.

Die Extreme berühren sich in Frankreich

Ein alter französischer Lehrsatz bewahrheitet sich jetzt neu: Les extrêmes se touchent. Das heißt: Die Extreme berühren sich.

Linke wie rechte Radikale in Frankreich gefallen sich in einer antielitären Pose. Dabei geht es nicht nur gegen den Präsidenten und gegen Paris, sondern immer auch gegen die EU. Alles könne viel besser sein, sagen Mélenchon und Le Pen, wenn Frankreich sich nicht all diesen lästigen Regeln aus Europa beugen müsste, etwa jenen, die der Staatsverschuldung Grenzen setzen.

Le Pen hantierte schon im Präsidentschaftswahlkampf mit sozialpolitischen Verheißungen, die sie aus der staatlichen Schatulle finanzieren wollte, ohne genau zu sagen, woher das Geld kommen soll. Thema Nummer eins war in ihrer Kampagne die inflationsbedingt sinkende Kaufkraft der Franzosen. Dies half ihr, landesweit in die Wählerschaft der bisherigen Mitte einzubrechen. „Innerhalb von 20 Jahren verdoppelte die Radikalrechte ihr Ergebnis der ersten Wahlrunde“, warnt eine Studie der Böll-Stiftung.

Vier Punkte zeigen die gewachsene Nähe von linken und rechten Radikalen

Ebenso wie Le Pen verzichtete Mélenchon auf seriöse Berechnungen der praktische Folgen seiner politischen Vorschläge. Stattdessen formulierte er seine Wirtschafts- und Sozialpolitik nach dem Motto „Im Himmel ist Jahrmarkt“. Der Staat soll Mieten und Lebensmittelpreise deckeln, jeder soll eine Mindestrente von 1500 Euro bekommen, und das Rentenalter soll von derzeit 62 (!) auf 60 (!!) sinken. Dass dies alles den ohnehin hoch verschuldeten französischen Staat mal eben 300 Milliarden Euro zusätzlich kosten würde und das Defizit heillos über die EU-Schuldengrenzen hinauskatapultieren würde, ist Mélenchon völlig egal.

Das Aufbegehren gegen europäische Regeln ist für Mélenchon sogar der Zweck der Übung. Ebenso wie Le Pen und die deutsche AfD arbeitet er mit der Vision eines befreienden „Ungehorsams“: eines besseren Lebens, das leicht erreichbar sei, wenn man nur erst die Fesseln der EU abstreife. Auch von den „deutschen Eliten“ werde er kein „Diktat“ akzeptieren. Seinen Anhängern rief Mélenchon dieser Tage zu: „Ich sage euch nicht, dass wir von einem Tag auf den anderen das Paradies erschaffen werden. Aber wir werden die Hölle beenden.“

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Mélenchons Blick auf Deutschland entspricht dem der deutschen Linkspartei aus den Zeiten, als sie noch PDS hieß. Die deutsche Einheit bezeichnete Mélenchon als „Annexion“ der DDR, den Ostdeutschen sei „unerhörte soziale Gewalt“ angetan worden. Ebenso wie Le Pen will er die bisherige deutsch-französische Führung der EU aufgeben.

Wie alle linken und rechten Radikalen in Europa zeigt Mélenchon Sympathie für Wladimir Putin, begleitet von einer tiefen Aversion gegen die USA. Aus der Nato will Mélenchon „schrittweise“ austreten. Im Europaparlament enthielt sich Mélenchons Partei der Stimme, wenn es um Kritik an Russland ging. Vor dem 24. Februar nahm er den Aufmarsch von 190.000 russischen Soldaten zum Anlass, nicht etwa Moskau, sondern Kiew zu kritisieren: „Die Russen mobilisieren ihre Truppen an der Grenze? Wer würde nicht dasselbe tun angesichts eines solchen Nachbarn, eines Landes, das an eine fremde Macht gebunden ist und Russland permanent bedroht?“

Passt Macron sich den Putin-Freunden an?

In außenpolitischen Fragen vertritt Le Pen, deren Partei Rassemblement National jahrelang durch russische Bankkredite gefördert wurde, exakt die gleichen Auffassungen. Für Putin sind Mélenchon und Le Pen der Musterfall sogenannter nützlicher Idioten im Westen. Schon Lenin soll mit diesem Begriff westliche Intellektuelle beschrieben haben, die sich vor den Karren der Sowjetunion spannen ließen.

Der größte Nutzen von Mélenchon und Le Pen für den Kreml liegt darin, dass sie in Frankreich ungeachtet des Krieges eine erstaunlich russlandfreundliche Stimmung schaffen. Die Stimmung wiederum hat auch Auswirkungen auf die Politik Macrons.

Beispiele dafür häufen sich. Weltweit ließ seine Mahnung aufhorchen, man solle Russland „nicht demütigen“. Außerdem ist Macron europaweit hervorgetreten mit dem Hinweis, ein EU-Beitritt der Ukraine könne noch „Jahrzehnte“ dauern. Obwohl er bis Ende Juni turnus­gemäß EU-Ratspräsident ist, fand Macron erst Zeit für eine Reise nach Kiew, nachdem EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen schon zweimal dort hin gereist war.

Dies alles löste im Westen Augenrollen aus, im Baltikum und in Polen sogar offene Verärgerung. Es könnte aber auch mit französischem innenpolitischen Kalkül zu tun haben: Dem anschwellenden rot-braunen Block in Frankreich redet Macron auf diese Art nach dem Mund.

Banger neuer Blick auf einen alten Partner

Wie aber verträgt sich ein solcher Kurs mit dem Anspruch Macrons, eine Führungsrolle in der EU zu übernehmen? Ja, Macron will jetzt auch mehr schwere Waffen liefern. Und ja, Macron hat dieser Tage erstmals auch erklärt, die Ukraine müsse gewinnen. Doch zu all dem musste er erst geschubst werden. Eine proaktive Politik für ein Europa, das seine Bürger und deren Freiheit schützt, geht anders.

Die deutsche politische Szene ist durch diese neuen Entwicklungen verwirrt. Einerseits will man festhalten am traditionsreichen Bündnis mit Frankreich. Andererseits will Deutschland im Rest Europas nicht wahrgenommen werden als Teil einer französisch-deutschen Bremse – die das traurige historische Gegenteil wäre vom legendären deutsch-französischen Motor der Ära Helmut Schmidt und Helmut Kohl.

Dringend zu empfehlen ist den Deutschen jetzt ein Blick auf den eigenen Kompass, eine selbstbewusste Sortierung ihrer europäischen und atlantischen Interessen. Niemand kann und wird das der größten Wirtschaftsmacht der EU übel nehmen.

Frankreich ist nicht teil der Lösung aktueller Probleme

Frankreich, das so gern ganz Europa führen würde, hat zunehmend Probleme mit dem eigenen Kompass. Um ein Beispiel zu nennen: Dieser Tage erst kam aus Frankreich, vom Dassault-Konzern, der Hinweis, die Realisierung von FCAS, des ehrgeizigsten und teuersten Rüstungsprojekts Europas, werde sich wohl „leider bis 2050″ hinziehen. Hintergrund ist ein schon ewig laufendes Gerangel um Geld und Einfluss.

Verzicktheiten dieser Art passen nicht in die durch Putins Krieg markierte neue Ära. Wer sagt das den Beteiligten in Paris? Und wer zieht jetzt beherzt den Stecker und leitet das Geld für die High-Tech-Rüstung auf intelligente Art um in transatlantische Projekte, idealerweise unter Beteiligung von Japan, Australien und Südkorea?

Zur Zeitenwende gehört ein unromantischer neuer Blick auf die Welt, auch auf alte Partner und auf lieb gewonnene Rituale. Seien wir ehrlich. Weniger denn je erscheint derzeit Frankreich als Teil der Lösung der aktuellen Probleme. Stattdessen rückt das Land auf neue, ganz ungewohnte Art in den Blick: als Problem für Europa.

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