Bei IllnerLauterbach versöhnt sich mit Liefers

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Lauterbach dpa

Karl Lauterbach

Berlin – SPD-Gesundheitsexperte Karl Lauterbach hält ab einer Impfquote von mindestens 90 Prozent bei den über 65-Jährigen einen Freedom Day in Deutschland für denkbar. „Da es keine Herdenimmunität gibt, müssen wir darauf achten, dass wir bei den über 65-Jährigen auf jeden Fall über 90 Prozent - idealerweise 95 Prozent - kommen“, sagte er am Donnerstagabend bei Maybrit Illner im ZDF auf die Frage, welche Impfquote für ein Ende der Corona-Maßnahmen seiner Meinung nach nötig wäre. Einen Freedom Day für Kinder, wie ihn etwa der Virologe Klaus Stöhr forderte, lehnt er hingegen strikt ab. Das liefe auf eine Durchseuchung hinaus, sagte er.

Neben dem SPD-Politiker waren am Donnerstagabend auch ebenjener Klaus Stöhr, Schauspieler Jan Josef Liefers und Ute Teichert, Vorsitzende des Bundesverbandes der Ärztinnen und Ärzte des Öffentlichen Gesundheitsdienstes (BVÖGD), zu Gast bei Maybrit Illner. Thema war diesmal „Geimpft, getestet, genervt – mehr Freiheit wagen?“.

Jan Josef Liefers fordert Perspektive

Schauspieler Liefers forderte mit Blick auf einen möglichen Freedom Day eine Perspektive: „Wir können ja nicht zugucken, wie um uns rum immer mehr geöffnet wird und wir sagen nur: Nein, nein, nein.“ Die Diskussion wurde vor dem Hintergrund geführt, dass in Staaten wie Großbritannien, Dänemark oder Norwegen das Ende der Corona-Maßnahmen bereits beschlossen worden ist. Zudem mit Blick auf die Diskrepanz bei der Impfquote der Erwachsenen, die das Robert-Koch-Institut zuletzt eingeräumt hatte. Demnach sind inzwischen rund 85 Prozent der über 18-Jährigen mindestens einmal geimpft worden, etwa 80 Prozent sogar vollständig.

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Dänemark habe den Freedom Day gefeiert, als 75 Prozent der Erwachsenen geimpft worden sind, sagte Liefers. Dann sei man doch in Deutschland in den nächsten Wochen soweit. „Ich sehe, dass 85 Prozent der deutschen Erwachsenen sich einen Impfstoff haben verabreichen lassen, von dem sie gar nicht viel wissen. Das finde ich toll“, so Liefers weiter.

Lauterbach kritisiert Kommunikation bei Impfquoten-Diskrepanz

Lauterbach verwies in dem Zusammenhang auf den Unterschied zwischen Dänemark und Deutschland. „Man muss sich anschauen, wo wir die Defizite haben und wo nicht“, sagte er. Diejenigen in Deutschland, die über 65 sind, seien nur zu 85 Prozent geimpft. „Das sind aber die, die das größte Risiko haben.“ In Dänemark sei diese Quote höher. Dort gebe es in dieser Altersklasse vielleicht noch 4 Prozent Ungeimpfte, so Lauterbach.

Dennoch bemängelte er, dass die sich abzeichnende Diskrepanz bei den offiziellen Impfzahlen des RKI und der tatsächlichen Impfquote unter den Erwachsenen nicht früher kommuniziert worden ist. „Wir haben in den Impfzentren zu viel dokumentiert und bei den niedergelassenen Ärzten viel zu wenig.“ Man habe seit langem gewusst, dass die Zahlen nicht präzise sein können. Einige niedergelassene Ärzte hätten sich etwa den Dokumentationsaufwand gespart und einfach nur geimpft, sagte er. Es habe keine klaren Regeln gegeben. „Seit zwei Monaten wussten wir, dass die offiziellen RKI-Zahlen nicht stimmen.“ Und weiter: „Ich halte es für einen Fehler, weil es Verschwörungstheorien nährt. Daher hätte man es früher kommunizieren müssen.“

Auch Virologe Stöhr kritisierte Deutschlands Monitoring bei der Impfquote. „In Deutschland existiert eine Datenwüste.“ Als positive Beispiele nannte er hingegen Dänemark, Schweden und Norwegen, wo besser dokumentiert werde. „Man hätte die Leute ganz spezifisch anschreiben können.“ Gerade jene mit Vorerkrankungen.

Er glaubt allerdings nicht, dass die Diskrepanz einen großen Unterschied macht. „Ich glaube, die fünf Prozent machen keinen großen Unterschied. Jetzt muss man sich entscheiden, aber welcher Quote man den Freedom Day machen will.“

Karl Lauterbachs Scharmützel mit Jan Josef Liefers

Liefers kritisierte die Kommunikation der Bundesregierung während der Corona-Pandemie im Allgemeinen. „Ich glaube, dass die Angst, die über viele Monate so unglaublich gesät wurde - diese Angst ist nichts Gutes. Angst lähmt uns.“ Sie mache anfällig für Aberglauben und Verschwörungstheorien.

Liefers war Teil der Initiative #allesdichtmachen“, mit der Schauspieler im Frühjahr in Form von ironisch-satirisch aufbereiteten Videos die Corona-Maßnahmen kritisiert hatten. Die Empörung daraufhin war groß. Liefers nahm schließlich ein Angebot an, eine Schicht auf einer Intensivstation mitzumachen. Seinen Einsatz schilderte er zunächst in drastischen Worten. In einem Talk beim Fernsehsender Bild kritisierte er dann allerdings, der Staat würde zu viel Druck auf Ungeimpfte machen.

Lauterbach, der Liefers zunächst ein Lob geschrieben hatte, nahm dieses daraufhin zurück. „Unglaublich. Ich hatte Jan Josef Liefers noch gelobt, weil er Intensiv­station besucht hatte. Das nehme ich zurück. Jetzt nutzt er den Besuch, um dem Staat Erpressung von Ungeimpften zu unterstellen. Er hat gar nichts dazugelernt“, schrieb er auf Twitter.

Jan Josef Liefers hat auf Intensivstation vor allem eines gelernt

Bei Illner gab sich Lauterbach nun versöhnlich. Von Erpressung zu reden „war vielleicht ein bisschen hart“, sagte er. Liefers antwortete auf die Frage, was ihn sein Besuch auf der Intensivstation gelehrt habe: „Was es mich vor allem gelehrt hat, dass das Pflegepersonal auf so einer Station absolut Aufwertung und Wertschätzung verdient - nicht nur mit Applaus, sondern auch mit Geld“. Es sei ein unglaublicher Einsatz, den sie leisteten. „Die Krankheit richtet für manche Menschen verheerende Schäden an. Das war mir aber auch vorher klar. Ich glaube aber nicht an diese Art von Druck -Pressing - die wir auf Ungeimpfte ausüben“, wiederholte er erneut.

Und: „Mediziner und Personal haben gesagt, die meisten würden hier nicht liegen, wenn sie geimpft gewesen wären“, sagte er mit Blick auf den Besuch auf der Intensivstation Er wolle keine Impfempfehlung abgeben. Er sei kein Mediziner. Jeder müsse das selbst für sich entscheiden. „Es ist freiwillig. Wenn wir das entscheiden, können wir nicht durch die Hintertür derart großes Pressing ausüben“, sagte er.

Lauterbach: „Ich finde es gut, dass die Corona-Politik keine Wahlkampfpolitik war“

Liefers hat sich nach eigenen Angaben zudem darüber gewundert, dass die Corona-Politik im Wahlkampf kaum Thema war. „Ich spüre einen Riss in unserem Land oder sogar mehrere. Ein Stress für alle, für die Befürworter der Maßnahmen genauso wie die Kritiker. Deshalb hat es mich gewundert, dass das im Wahlkampf gar kein Thema war.“

Lauterbach sagte hingegen: „Ich finde es gut, dass die Corona-Politik keine Wahlkampfpolitik war. Dass wir in Deutschland diesen Sonderweg gegangen sind, keine Corona-Parteipolitik zu machen, ist uns gut bekommen.“ Es sei gut, dass man nicht auf eine billige Art und Weise Wahlkampf gemacht habe nach dem Motto „Wer bietet mehr beim Freedom Day“.

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Lauterbach bekräftigte zudem. gegen eine Impfpflicht zu sein. „Das wäre epidemiologisch nicht zu rechtfertigen und politisch nicht durchzusetzen“, sagte er. Vor allem, weil es Menschen gebe, die sich nicht impfen lassen wollen. Gruppen wie die AfD würden zudem dagegen mobil machen. „Wir wollen doch nicht mit der Impfpflicht diesen Kräften noch zuarbeiten“ sagte er mit Blick auf rechte Kräfte im Allgemeinen. (RND/cz)

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