BundestagswahlGemischte Gefühle bei den Grünen

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Baerbock Habeck

Annalena Baerbock und Robert Habeck bei der Wahlparty von Bündnis 90/Die Grünen in Berlin auf der Bühne

Berlin – Der Jubel bei der Wahlparty der Grünen in der Berliner Columbiahalle ist groß, als um 18 Uhr die erste Prognose auf den Leinwänden erscheint. Und doch sind es gemischte Gefühle, die die Stimmung dominieren. So gut hat die Partei bei einer Bundestagswahl nie zuvor abgeschnitten. Im Vergleich zu 2017 konnte sie ihr Ergebnis fast verdoppeln. An einer Regierungsbeteiligung der Grünen führt kaum ein Weg vorbei.

Und doch bleibt dieses eigentlich gute Ergebnis hinter den selbst gesteckten Zielen der Grünen zurück. Vor allem bedeutet es das vorläufige Ende grüner Ambitionen auf die Kanzlerschaft. Annalena Baerbock, soviel ist nun sicher, wird Angela Merkel nicht im Amt beerben.

Turbulente Achterbahnfahrt

Eigentlich war das bereits seit einigen Wochen klar. Doch die Parteiführung der Grünen gab bis zum Schluss die Losung aus, alles sei offen, der Griff nach der Kanzlerschaft noch eine realistische Option. Zum ersten Mal in ihrer 41-jährigen Geschichte hat die Partei in diesem Jahr eine Kandidatin in das Rennen um das höchste Regierungsamt im Staat geschickt. Zum zweiten Mal nach Angela Merkel bewarb sich überhaupt eine Frau um dieses Amt. Die Kandidatur und damit auch der Wahlkampf der Grünen gerieten zur turbulenten Achterbahnfahrt. Anders als die Unionsparteien schafften die Grünen-Vorsitzenden Annalena Baerbock und Robert Habeck es, sich hinter verschlossenen Türen und ohne Schlammschlacht auf die Kanzlerinnenkandidatur zu einigen.

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Schnell stiegen die Grünen in der Folge in ihnen zuvor völlig unbekannte Sphären in den Wahlumfragen auf. Für wenige Wochen im Mai sahen Demoskopen sie sogar als potenziell stärkste Partei vor CDU/CSU und SPD.

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Auf die Erkenntnis, dass die Grünen eine Kanzlerin stellen könnten, folgten schnell Fragen nach der Eignung Baerbocks für das Amt. Unstimmigkeiten und Korrekturen in ihrem Lebenslauf, verspätet gemeldete Nebeneinkünfte und Plagiatsvorwürfe – es schien, als ließ die Kanzlerkandidatin kaum eine öffentlichkeitswirksame Panne aus. Ihrer Partei bereitete das zunehmend Probleme. Bald wurde vor allem außerhalb der Partei die Frage gestellt, ob Robert Habeck doch der bessere Kandidat gewesen wäre. Habeck schloss einen Kandidaten-Wechsel jedoch energisch aus.

In den nächsten Wochen könnte sich das Machtverhältnis an der Grünen-Spitze aber verändern. Mit dem Ende der Ambitionen auf die Kanzlerschaft ist auch die natürliche Hierarchie zwischen den beiden sonst gleichberechtigten Parteivorsitzenden passé. Köpfe dürften aber nicht rollen – vor allem nicht der der gescheiterten Kanzlerkandidatin.

Jetzt gehe es erstmal nicht um Manöverkritik, sondern um ein starkes Auftreten in Sondierungsgesprächen und Koalitionsverhandlungen, ist aus der Partei zu hören. Schon in den nächsten Tagen sei mit ersten informellen Gesprächen zwischen jenen Parteien zu rechnen, die eine Koalition bilden könnten. Diese Gespräche würden beide Vorsitzenden gleichberechtigt anführen, heißt es.

Robert Habecks Stunde könnte schlagen

Sollte es angesichts des engen Wahlergebnisses zu Koalitionsverhandlungen mit Union und FDP kommen, könnte die Stunde Robert Habecks schlagen. Er hat 2017 bereits erfolgreich eine schwarz-grün-gelbe Koalition in Schleswig-Holstein verhandelt. Eine Jamaika-Koalition unter einem Kanzler Armin Laschet dürfte den Grünen jedoch mehrheitlich schlecht schmecken. Allerdings könnte die Partei sich dabei wohl teurer verkaufen als in einer Ampel. Die Folge könnten weitreichende Zugeständnisse der Koalitionspartner etwa beim Kohleausstieg sein. Auch mit attraktiven Ministerposten könnten die Verhandlungspartner die Grünen umwerben. Bereits vor der Wahl waren zudem erste Spekulationen angestellt worden, die Grünen könnten im Falle einer Jamaika-Koalition mit Katrin Göring-Eckardt die erste weibliche Bundespräsidentin stellen.

Ampel-Koalition populärer

Eine Ampel-Koalition bleibt für weite Teile der Partei jedoch die populärere der realistischen Optionen. In der Steuer- und Sozialpolitik sind die Übereinstimmungen von Grünen und SPD am größten. Und auch in der Klimapolitik dürften die Grünen sich mit einem sozialdemokratisch geführten Kanzleramt größere Schritte in ihrem Sinne erhoffen als unter einem Kanzler Armin Laschet.

Bevor es in die Gespräche und Verhandlungen geht, steht bei den Grünen jedoch die Feier der Wahlergebnisse an – gemischte Gefühle hin, Enttäuschung her. Versüßt wird ihnen der Abend vor allem durch das gute Abschneiden der Grünen bei den Wahlen zum Berliner Abgeordnetenhaus. Hier hatte die Partei nach den ersten Prognosen die Nase vor. Und so ist es auch die Hauptstadt-Spitzenkandidatin Bettina Jarasch, die bei der Wahlparty der Bundes-Grünen als erstes auf die Bühne tritt, nicht Baerbock und Habeck. Die versammelten Grünen im Saal feiern sie mit tosendem Applaus.

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