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Corona-Impfstoffe gegen BA.5Wirken die Omikron-Booster schlechter als gedacht?

Lesezeit 6 Minuten
Corona Impfung neue Variante omikron

Viele Menschen haben für den Corona-Booster auf den an die Omikron-Varianten angepassten Impfstoff gewartet.

  • Die Corona-Impfstoffe gegen die Omikron-Varianten BA.4/BA.5 werden in Deutschland bereits verimpft.
  • Dabei ist jedoch nicht ganz klar, wie wirksam sie sind. Zwei neue Studien aus den USA liefern nun erste Hinweise. Was sie zeigen – und was nicht.

Von „ernüchternden“ Ergebnisse ist die Rede, von „nicht allzu guten Nachrichten“: Es geht um die neuen angepassten Corona-Impfstoffe gegen die Omikron-Subtypen BA.4/BA.5. Gleich zwei Preprint-Studien aus den USA deuten darauf hin, dass sich ihre Wirksamkeit nicht wesentlich von den bisherigen Vakzinen unterscheidet. Sind die Omikron-Booster am Ende also eigentlich überflüssig? Hätten die Impfstoffe, die auf der ursprünglichen Viruslinie aus Wuhan basieren, für weitere Impfungen ausgereicht?

Omikron-Impfstoff ohne klinische Tests zugelassen

Wie gut die BA.4/BA.5-Impfstoffe wirken, war von Anfang an unklar. Die Europäische Arzneimittel-Agentur EMA hatte eine Zulassung für sie empfohlen, ohne vorher klinische Wirksamkeitsdaten gesehen zu haben. Zum damaligen Zeitpunkt gab es nur Daten aus Tierexperimenten.

Warum die EMA die Omikron-Impfstoffe dennoch empfohlen hat, ist schnell erklärt: Weil sie den an BA.1 angepassten Vakzinen ähneln. Diese waren an Hunderten Freiwilligen getestet worden – mit dem Ergebnis, dass sie gut verträglich und wirksam sind. Dementsprechend hatte die Behörde auch von den BA.4/BA.5‑Vakzinen eine gute Wirksamkeit erwartet, was sich zumindest in den Tierexperimente bestätigte.

Dass die Omikron-Impfstoffe das Coronavirus, einschließlich der Virusvarianten BA.4/BA.5, wirksam neutralisieren können, konnten jetzt die beiden Studien aus den USA bekräftigen. Berücksichtigt werden muss: Beide Untersuchungen sind bisher nur als Preprint erschienen. Das heißt, die Ergebnisse wurden noch nicht von unabhängigen Fachleuten überprüft. Dennoch liefern sie wichtige Hinweise zur Wirksamkeit der Omikron-Impfstoffe.

„Kein signifikanter Vorteil“ des BA.4/BA.5-Vakzins

Die erste Studie stammt von Forschenden der Columbia University. Sie hatten die Menge neutralisierender Antikörper in Blutproben von drei verschiedenen Gruppen miteinander verglichen. Diese Antikörper sind für Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler besonders interessant. Denn sie verhindern, dass das Virus in die Zellen eindringen und sich dort vermehren kann. Wie der Name schon sagt neutralisieren sie den Erreger. Sie sind somit eine wichtige Waffe des Immunsystems.

Die drei Gruppen der Untersuchung waren: Erstens Personen, die drei oder vier Dosen der monovalenten Impfstoffe erhalten hatten, die auf der Viruslinie aus Wuhan basieren. Zweitens Personen, deren vierte Impfung mit einem BA.4/BA.5-Vakzin stattgefunden hatte. Und drittens Personen, die mit einem mRNA-Impfstoff geimpft waren und sich dann mit den Omikron-Subtypen BA.4/BA.5 infiziert hatten.

Die Forschenden testeten, wie gut die Blutproben in der Lage sind, bestimmte Virusvarianten – darunter BA.4/BA.5 – zu neutralisieren. Die Ergebnisse waren eindeutig: „Deutlich verbesserte Neutralisation aller Varianten nach 4. Impfung, aber kein signifikanter Vorteil des BA.5-adaptierten Boosters vs. monovalent WT (Wildtyp-Impfstoff, Anm. d. Red.)“, resümierte Leif Erik Sander, Leiter der Forschungsgruppe Infektionsimmunologie und Impfstoffforschung an der Berliner Charité, auf Twitter. Die Ergebnisse müssten allerdings mit Vorsicht interpretiert werden.

Welche Einschränkungen die Studie hat

Denn die Studie weist zwei große Schwachstellen auf. Zum einen waren die Vergleichsgruppen zu klein und nicht ideal gewählt. Die Personen, die vier Dosen eines bisher genutzten mRNA-Vakzins erhalten hatten, waren im Schnitt deutlich älter als diejenigen, die mit den BA.4/BA.5-Impfstoffen geboostert worden waren. Die Altersspanne betrug knapp 19 Jahre.

Zum anderen sind die Neutralisationstests drei bis fünf Wochen nach der Auffrischungsimpfung durchgeführt worden. „Man muss bei der Interpretation der Daten beachten, dass die Bildung und Ausreifung von Antikörpern gegen neue Virusepitope länger als vier Wochen dauert und sich so noch in den kommenden Wochen und Monaten verbessern könnte“, sagte Sander gegenüber dem RND. „Somit bleibt weiter abzuwarten, wie der immunologische Effekt und letztendlich auch die Schutzwirkung der adaptierten Impfstoffe ausfällt.“

Auch die Studienautorinnen und Studienautoren räumen ein, dass Folgestudien erforderlich seien, „um festzustellen, ob die Antikörperreaktionen im Laufe der Zeit abweichen“. Für Impfstoffforscher Sander kommen die Ergebnisse nicht überraschend: „Wir haben ohnehin keine enormen Steigerungen erwartet.“ Schon beim Omikron-Booster gegen BA.1 sei der Unterschied zu den zuvor genutzten Vakzinen „nicht überragend“ gewesen, erläuterte er ferner auf Twitter.

Keine höheren T-Zellreaktionen gemessen

Die zweite US-amerikanische Studie liefert ähnliche Ergebnisse, mit ähnlichen Einschränkungen. Durchgeführt hatte sie ein Forscherteam des Beth Israel Deaconess Medical Centers in Boston. Untersucht wurden die Immunantworten von 15 Personen, die einen bisher genutzten mRNA-Impfstoff als Auffrischungsimpfung erhalten hatten, und 18 Personen, die mit einem BA.4/BA.5-Impfstoff geboostert worden waren.

Auch hier gab es nur kleine Vergleichsgruppen, die zudem mehrheitlich Frauen und nur vereinzelt Vorerkrankte umfassten, aber zumindest ein vergleichbares Durchschnittsalter hatten. Die Altersspanne betrug bei dieser Untersuchung nur acht Jahre.

„Unsere Daten zeigen, dass sowohl monovalente als auch bivalente mRNA-Booster die Antikörperreaktionen deutlich erhöhten“, heißt es in der Studie. Allerdings konnten beide die T-Zell-Reaktionen nicht wesentlich steigern. T-Zellen sind wichtige Bestandteile der Immunabwehr. Sie können erstens die vom Virus befallenen Zellen direkt zerstören und ermöglichen zweitens die Bildung neutralisierender Antikörper.

Die gute und schlechte Nachricht der Studien

Doch was bedeutet die Studienlage jetzt genau? Zunächst einmal zeigen die Studien deutlich: Die Corona-Auffrischungsimpfungen – egal, ob gegen den Wildtypen des Coronavirus oder gegen die Omikron-Subtypen BA.4/BA.5 – wirken und steigern den Schutz. Die ausgelösten Antikörper sind zumindest teilweise in der Lage, BA.4/BA.5 wirksam zu neutralisieren und damit schwere Krankheitsverläufe zu verhindern. Das ist die gute Nachricht.

Die schlechte beziehungsweise enttäuschende Nachricht ist: Die BA.4/BA.5-Vakzine können offenbar die Immunantworten nicht kurzfristig verbessern.

„Die BA.5-neutralisierenden Antikörper im Serum sind vier Wochen nach einer Impfung mit dem BA.5 angepassten bivalenten Impfstoff in der Tendenz leicht höher als nach einer herkömmlichen Impfung, dieser Effekt ist aber gering und erfüllt nicht die Kriterien einer statistischen Signifikanz und könnte deshalb auch zufällig sein“, sagte Impfstoffforscher Sander gegenüber dem „Kölner Stadt-Anzeiger” (RND).

Es braucht wohl weitere Forschungsarbeiten zu den Omikron-Impfstoffen. Sander bleibt weiter optimistisch. Er erwartet, dass sich die Immunantwort durch die Auseinandersetzung mit den BA.4/BA.5-Impfstoffen weiter verbreitert. Daher rät der Impfstoffforscher weiterhin dazu, für Auffrischimpfungen primär die an BA.5 angepassten Corona-Impfstoffe zu verwenden.

Vierte Impfung gerade für Risikopersonen sinnvoll

Für Christine Falk sind die Studienergebnisse weder ungewöhnlich noch entmutigend: „Beide Arbeiten zeigen das, was wir aus der Immunologie auch schon länger argumentieren: dass es nämlich individuell unterschiedlich ist, wie stark sich der Effekt einer Booster-Impfung mit angepassten Impfstoffen auf die Neutralisierung durch Antikörper beziehungsweise die Bindung an das Spike-Protein und die T-Zell-Antworten auswirkt“, sagte die Immunologin von der Medizinischen Hochschule Hannover und Präsidentin der Deutschen Gesellschaft für Immunologie gegenüber dem RND.

Die Ergebnisse bedeuteten nicht, dass die vierten Impfungen mit den Omikron-Impfstoffen keinen Nutzen haben. Im Gegenteil: „Gerade für Risikogruppen wie Ältere,

Immunsupprimierte, Familien von Hochrisikopatientinnen und Hochrisikopatienten oder medizinisches Personal sind sie sinnvoll“, machte Falk deutlich. Denn die Auffrischungsimpfungen würden auch die Immunität im Bereich der Antikörper und T-Zellen gegen die nicht-veränderten Spike-Regionen wieder auffrischen. „Aber das wurde in diesen beiden Arbeiten nicht ausreichend berücksichtigt.“

In beiden Studien spielen Risikopersonen nur eine untergeordnete Rolle. „Aber genau bei den Älteren über 60 Jahren und Immunsupprimierten ist der Boostereffekt am größten zu erwarten“, erklärte die Immunologin, „weil sie entweder generell schwache Immunantworten durch die vorherigen Impfungen ausgebildet haben oder diese nach der dritten Impfung schneller wieder abfallen.“ Wenngleich das nicht bedeute, dass der Impfschutz vollkommen schwindet.

Größere Gruppen, größere Effekte

„Ich würde beide Studien im Moment noch nicht überbewerten“, sagte auch Carsten Watzl, Leiter des Forschungsbereichs Immunologie an der TU Dortmund, dem RND. Bei einer größeren Zahl an Studienteilnehmenden könnte sich durchaus ein statistisch signifikanter Unterschied zeigen. „Daher würde ich noch nicht so weit gehen und sagen, dass die angepassten Impfstoffe nichts bringen“, machte er deutlich. „Die wirklich interessanten Daten werden die zum tatsächlichen Schutz gegenüber Infektion, Krankenhausaufenthalt etc. mit BA.5 sein.“

Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) hofft derweil ebenfalls auf bessere langfristige Daten zur Wirksamkeit der BA.4/BA.5-Vakzine. „Jetzt kann man nur abwarten, ob BA5 bivalenter Booster länger wirkt als monovalenter Booster“, kommentierte er die Studienlage auf Twitter. „Wenn sich Ergebnisse aber bestätigen, sind den Varianten-angepassten Impfstoffen Grenzen gesetzt. Zumindest in Bezug auf Infektionsschutz.“

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