Corona-Talk bei IllnerScholz verliert die Fassung und rechtfertigt Ausgangssperre

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Scholz dpa

Olaf Scholz

Berlin – Bund und Länder ringen seit Monaten um den richtigen Kurs in der Corona-Pandemie. Nun haben sie sich auf eine Änderung des Infektionsschutzgesetzes geeinigt, mit dem sie eine bundeseinheitliche Notbremse festzurren wollen.

Wenn die Sieben-Tage-Inzidenz in einem Landkreis oder einer kreisfreien Stadt den Wert von 100 an drei Tagen hintereinander überschreitet, stehen die bundesweiten Beschränkungen an. So zumindest der Plan der Bundesregierung. Am Freitag beschäftigen sich die Parlamentarier im Bundestag mit dem Vorschlag.

Das Thema

Am Abend vor der Bundestagsdebatte wird in der ZDF-Sendung „Maybrit Illner“ schon mal vorab über die bundesweite Notbremse diskutiert. „Vom Dauer-Streit zum Dauer-Lockdown – kommt Merkels Notbremse zu spät?“, fragt die Moderatorin ihre Gäste. Die Kanzlerin selbst hatte bereits am Dienstag gesagt: „Die bundeseinheitlich geltende Notbremse ist überfällig.“

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Die Gäste

Vizekanzler und SPD-Kanzlerkandidat Olaf Scholz sitz am richtigen Ort: Hinter ihm wird im Studio die große rote Notbremse eingeblendet, mit der Passagiere normalerweise einen Zug stoppen können. Scholz zeigt sich zuversichtlich. „Die Gesetzgebung wird glaube ich nächste Woche erfolgreich abgeschlossen“, sagt der Bundesfinanzminister.

Auch Kritik von SPD-Ministerpräsidenten scheint ihn kalt zu lassen. Stattdessen beruhigt er: „Es ist ja so, dass alle eigene Regeln gemacht haben, die sich an der Notbremse orientieren, die wir schon haben“, sagt er. Jeder habe aber gut verstanden, dass bundeseinheitliche Regeln nun sinnvoll seien.

Beispiel: Die geplanten Ausgangsbeschränkungen. Für die Bürgerinnen und Bürger sei es gut, dass durch die einheitlichen Regeln Klarheit entstehe. Scholz ist überzeugt, dass Ausgangsbeschränkungen wirksam sind. Es wäre „ein Verbrechen, diese Möglichkeit jetzt nicht zu nutzen angesichts der Gefahren, die mit den Infektionen verbunden sind“, sagt der Vizekanzler.

Ein weiterer SPD-Politiker in der Runde ist Karl Lauterbach. Der Epidemiologe und Gesundheitsökonom ist pessimistischer. Die geplante Notbremse werde die dritte Welle nicht bremsen, sagt er abermals. „Wir werden in der laufenden Woche über die Inzidenz von 200 weggehen, die Intensivstationen sind schon voll“, sagt er.

Doch er sei dankbar für die Initiative von Scholz und Merkel. „Ich glaube schon, dass es eine gewisse Wirkung hat“, sagt der Bundestagsabgeordnete über den Vorschlag. Denn durch die geplante Notbremse würden die Lockerungen in Form von Modellversuchen aufhören. Die nennt Lauterbach „Gift in der jetzigen Situation.“ Modellversuche seien „Alibi-Veranstaltungen“.

Auch FDP-Chef Christian Lindner findet, dass gehandelt werden muss. „Dass wir ein bundeseinheitliches Regelwerk bekommen, das ist richtig, ich glaube überfällig“, sagt er. Doch Lindner plädiert dafür, dass alles verfassungsrechtlich sauber läuft. Ansonsten drohe der Vertrauensverlust in die Politik, wenn beispielsweise ein Gesetz vom Verfassungsgericht wieder verworfen werde.

Deshalb schlägt Lindner vor, Tests auszubauen, in Hochrisiko-Gebieten die Kontakte zu beschränken und das Impftempo zu erhöhen. „Ausgerechnet wieder mit heißer Nadel gestrickt, kommt die Regierung mit einem Gesetz, was die offensichtlich pauschal nicht wirksame Ausgangsperre zum Gegenstand hat“, kritisiert er. Auch eine fehlende Möglichkeit eines testbasierten Öffnens und die alleinige Orientierung auf die 100er Inzidenz bemängelt Lindner.

Anna Leisner-Egensperger ist Professorin für Öffentliches Recht an der Universität Jena und die Expertin in der Runde für verfassungsrechtliche Fragen. Auf der einen Seite habe der Bund die Gesetzgebungskompetenz für das Infektionsschutzgesetz. Das beträfe auch Maßnahmen an Schulen. Auf der anderen Seite habe man im vergangenen Jahr mit guten Gründen im Infektionsschutzgesetz nur einen sehr weiten Rahmen vorgesehen und den Ländern Spielräume zugestanden. Dadurch könne man auf die regionalen Sonderheiten eingehen.

„Was jetzt gemacht werden soll ab einer Inzidenz von 100, ist den Grundsatz anzuwenden: Bundesrecht bricht Landesrecht“, sagt die Professorin. „Es wird das Signal ausgesendet an die Länder: Ihr könnt es nicht.“ Kein gutes Signal, findet die Staatsrechtlerin. Es sei nicht im Sinne des Föderalismusprinzips und damit auch nicht im Sinne des Grundgesetzes. Außerdem hält sie Ausgangsbeschränkungen für einen sehr starken Eingriff in die Grundrechte. „Die Ausgangssperre ist so pauschal, wie sie jetzt vorgesehen ist, nicht verfassungsmäßig“, sagt Leisner-Egensperger.

Claudia Kade, Ressortleiterin Politik der „Welt“ und der „Welt am Sonntag“, bringt ebenfalls juristische Bedenken vor. „Ich wundere mich über die Perspektiv-Verschiebung, die hier in den letzten Monaten offenbar stattgefunden hat“, sagt die Journalistin. Verfassungszweifel würden nicht richtig ernst genommen.

„Es ist die Rede davon, dass Freiheiten zurückgegeben werden“, sagt sie. Doch die Freiheiten würden einem per se gehören. „Da hat sich so ein autoritärer Ton finde ich etabliert, der eigentlich der Sache auch nicht angemessen ist.“ Trotzdem spricht sie sich dafür aus, dass schnell gehandelt werden müsse. Kade erwartet, dass die geplante Notbremse in der Koalition noch sehr hart diskutiert werde.

Der stellvertretende Ministerpräsident von Niedersachsen, Bernd Althusmann (CDU), findet die verfassungsrechtliche Diskussion wichtig. Viel wichtiger sei allerdings: „Dass wir vielleicht jetzt irgendwann mal versuchen nach zwölf Monaten Pandemie einen Weg zu finden mit dem wir uns nicht von Lockdown zu Lockdown, von Notbremsung zu Notbremsung bewegen“, sagt der Vorsitzende der CDU-Niedersachsen.

Dazu gehöre eine klare Definition der Verhältnisse zwischen Bund und Ländern. Außerdem sieht Althusmann den Inzidenz-Wert von Testungen beeinflusst. „Ich plädiere persönlich sehr, dass wir bei dem anstehenden Gesetz auch Öffnungsklauseln vorsehen“, sagt das CDU-Präsidiumsmitglied. Auch die wirtschaftliche Seite müsse betrachtet werden.

Die Durchhalte-Metapher

„Wir sind jetzt bei einem Endspurt und bei dem ist es immer so wie bei einem Langlauf, da braucht man noch mal richtig viel Luft und ganz, ganz viel Kraft“, versucht es Vizekanzler Olaf Scholz (SPD) am Ende der Sendung und nach über einem Jahr Pandemie mit einer Durchhalte-Metapher.

Der Aufreger

Illner konfrontiert Scholz mit der Kritik an den geplanten Ausgangsbeschränkungen. „Droht ihnen da einfach eine Blamage? Kann es sein, dass es irgendwie vom Bundesverfassungsgericht kassiert wird?“, fragt sie den Vizekanzler. „Ängstlichkeit ist kein guter Ratgeber für Handeln in einer Krisensituation“, entgegnet Scholz. Er gibt sich ruhig, wiegelt ab und verweist auf die juristische Prüfung in den Ministerien.

Doch „Welt“-Journalistin Kade bringt noch mal die Zweifel an der juristischen Expertise bei Pandemie-Beschränkungen auf und nennt die gescheiterte Oster-Ruhe als Beispiel. Da verliert der Vizekanzler kurz die Fassung und fällt ihr ins Wort. „Am Ende ist alles nicht zulässig, und wir dürfen gar nichts machen“, beschwert er sich. Das sei der typische Sophismus in der Situation: „Man redet so lange, bis man gar nichts mehr macht.“

Fazit

Irgendwas muss getan werden, da ist sich die Runde einig. Schließlich gehen die Infektionszahlen weiter nach oben. Auch wenn Scholz zwischenzeitlich den Eindruck erweckt: Ganz ohne Kritik aus Koalition und Ländern wird die Änderung des Infektionsschutzgesetzes wohl nicht durchkommen.

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Moderatorin Illner schließt die Sendung mit einen Satz, der die Lage vieler Zuschauer sicher gut widerspiegelt: „Kommen Sie gut durch die Woche“, sagt sie und fügt hinzu: „Irgendwie.“

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