Corona-Talk bei WillKretschmer bringt Senkung der Mehrwertsteuer ins Spiel

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Michael Kretschmer (CDU), Ministerpräsident von Sachsen

Berlin – Es ist der Vorabend der ersten Corona-Lockerungen, und natürlich bestimmt das Thema die Talk-Runde bei Anne Will am Sonntagabend in der ARD. Werden die Einschränkungen zu spät zurückgefahren oder zu früh? Finden die Erleichterungen an den richtigen oder falschen Stellen statt? Wer hat sich durchgesetzt? Wer hat verloren? Und wie geht es nun weiter?

Fragen gibt es genügend, die Talkshow-Redaktion hat sie unter dem Titel: “Mit Vorsicht aus der Corona-Krise - wie hart trifft uns die neue Normalität?” zusammengefasst.

Die Gäste

Drei Politiker und ein Wissenschaftler haben neben der Moderatorin im TV-Studio Platz genommen, ein weiterer Wissenschaftler wird per Livestream zugeschaltet.

Wirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) ist mal wieder da, er darf sich mit fortschreitender Corona-Krise Hoffnungen auf den Titel des Talkshow-Königs 2020 machen. Außerdem ist Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer mit von der Partie, der wie Altmaier in der CDU ist.

Schon durch die beiden Christdemokraten hat die Runde eine gewisse parteiliche Färbung. Dass Ex-Justizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger als die dritte Politikerin im Bunde von der FDP kommt, macht die Sache nicht besser, zumal der aus Köln zugeschaltete Direktor des Instituts der deutschen Wirtschaft, Michael Hüther, auch eher zu den konservativeren Vertretern seiner Zunft zählt.

Grüne, Linke, Sozialdemokraten fehlen in dieser bürgerlichen Runde völlig. Das anti-bürgerlichste Element an diesem Abend wird die schwarze Lederjacke von Michael Meyer-Hermann sein, der als Leiter der Abteilung System-Immunologie am Helmholtz-Zentrum für Infektionsforschung in Braunschweig die Ausbreitung von Krankheiten mit den Mitteln der Mathematik erforscht.

Die Rolle rückwärts

Die Sendung beginnt mit einer kleinen Überraschung. Ausgerechnet Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) singt das Hohelied des deutschen Föderalismus. Er finde es gut, dass unterschiedliche Bundesländer die Lockerung unterschiedlich angingen, sagte Altmaier. “Wir sind ein föderaler Staat und werden dann ganz genau hinschauen, welche Maßnahmen wie wirken."

Das klingt ein ganzes Stück konstruktiver als noch am Sonntagmorgen. Da hatte Altmaier via “Bild am Sonntag” einen wechselseitigen Überbietungswettbewerb bei der Verschärfung und Lockerung der Regeln beklagt und die Bundesländer mit einem “Hühnerhaufen” verglichen, auf dem alle durcheinander laufen.

Was den Sinneswandel bei dem Saarländer bewirkt hat, erfährt der TV-Zuschauer an diesem Abend nicht - Moderatorin Will erspart dem Minister die unbequeme Nachfrage.

Die düstere Prognose

Einigkeit herrscht unter den Diskutanten darüber, dass die Krise noch lange nicht überwunden ist. “Wir sind noch in der Eindämmungsphase, wir treten in eine schrittweise Öffnungsphase, die noch mindestens bis zum Sommer dauern wird. Und wir brauchen danach eine Stabilisierungsphase", sagt Ökonom Michael Hüther. Zahlreiche Existenzen stünden mit fortwährender Dauer der Einschränkungen auf dem Spiel. “Unsere Städte werden nach der Krise anders aussehen", warnt der Ökonom.

Noch düsterer ist das Zukunftsszenario, das Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer an die Wand wirft. “Wir haben es geschafft, die Lawine zu brechen”, sagt der CDU-Mann. Nicht weniger, aber auch nicht mehr. “Das Virus ist immer noch in der Welt, und wir haben immer noch keinen Impfstoff", warnt der sächsische Ministerpräsident.

Die einzige Möglichkeit sei, sich nun Schritt für Schritt vorzutasten, und in drei Wochen zu sehen, ob man vielleicht schon zu weit gegangen sei. “Es ist auf jeden Fall nicht zu wenig”, so Kretschmer. Man sei an die Grenze des Vertretbaren gegangen. “Wir werden auf jeden Fall eine Zunahme an Infektionen erleben und die Frage wird sein, ob sie beherrschbar ist oder nicht." Eine Normalisierung der Situation, so Kretschmer, könne es nicht geben, so lange kein Impfstoff zur Verfügung stehe.

Die steilste These

Die Lockerungen zum jetzigen Zeitpunkt seien ein großer Fehler gewesen, findet Mathematiker Michael Meyer-Hermann. Er hatte dafür plädiert, den Lockdown weitere drei Wochen beinhart durchzuziehen. “Schon durch die angekündigte Lockerung hat sich das Bewusstsein in der Bevölkerung massiv verändert”, glaubt der Professor aus Braunschweig. “Subjektiv haben die Menschen das Gefühl, dass wir das Problem im Griff oder schon gelöst haben - das ist aber nicht der Fall”, sagt Meyer-Hermann.

Im Gegenteil: Der zuletzt gesunkene Reproduktionswert, also die Häufigkeit, mit der ein Infizierter weitere Menschen ansteckt, sei vor allem auf die Osterwoche zurückzuführen, also lediglich ein statistischer Effekt, vermutet der Forscher. “Die Zahl wird wieder hinaufgehen.”

Politik, sagt Meyer-Hermann, müsse eine sehr grundlegende Entscheidung treffen. Entweder, man versuche die Reproduktionszahl annähernd bei eins zu halten, was bedeuten würde, dass es für einen sehr langen Zeitraum Einschränkungen in Deutschland geben werde. Die Alternative sei der Versuch, den Virus “auszutrocknen”. Das allerdings gehe nur mit radikalen Maßnahmen in einem relativ kurzen Zeitfenster. Der Lohn dieser kurzfristig sehr harten Einschränkungen sei es, vergleichsweise schnell wieder zu einer alten Normalität zurückkehren zu können.

Die Forderung des Abends

Sachsens Ministerpräsident Kretschmer fordert wirtschaftliche Impulse und schnelle Hilfen, etwa für Gastronomie-Betriebe. “Wir brauchen jetzt klare Signale”, sagt der CDU-Politiker. Eine Absenkung der Mehrwertsteuer für Gastronomen könne hier helfen, so Kretschmer. “Damit können die Betriebe nach der Krise wieder durchstarten.” Auch die Autoindustrie brauche Impulse, etwa in der Form von Kaufprämien, so Kretschmer.

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Wirtschaftsminister Altmaier kann sich an dieser Stelle ein breites Grinsen nicht verkneifen - und signalisiert Gesprächsbereitschaft. Er sei “sehr dafür”, sich diesen Vorschlag genau anzuschauen, sagt der Wirtschaftsminister. Allerdings müsse zuvor die Frage beantwortet werden, was akut entschieden werden müsse.

Das Fazit

Wer hätte gedacht, wie verheißungsvoll das Wörtchen “Normalität” im Jahr 2020 werden könnte? In dem Ziel, diese zu erreichen, sind sich alle einig. Der Weg dorthin allerdings bleibt umstritten. Und die Wahrscheinlichkeit ist hoch, dass noch viel Zeit bleiben wird, darüber zu diskutieren. Sehr viel Zeit.

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