Coronakrise in den USAWut der Trump-Anhänger wächst weiter

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Union Station Washington

Blick in die leere Bahnhofsvorhalle Union Square in Washington. 

Washington – Draußen vor dem Union Station kündigt sich der Frühling an. Es sind die Tage der Kirschblüte – eigentlich die schönste Zeit in Washington. Doch nicht nur die Touristen, die hier normalerweise in die Sightseeing-Busse drängen, fehlen. Der Kontrast des farbenprächtigen Naturschauspiels zur gespenstischen Leere im Inneren des Bahnhofsgebäudes könnte nicht größer sein. Alle Läden sind geschlossen. Nur ein paar Obdachlose kauern mit ihren wenigen Habseligkeiten in einer Ecke der monumentalen Halle.

Seit zehn Tagen ist die Hauptstadt ausgestorben. Die großen Avenues sind leer gefegt, Geschäfte, Schulen, Museen geschlossen. Die Metro rauscht an jeder vierten Station ohne Halt durch. „Wir haben die Stadt lahmgelegt, um die Ausbreitung des Virus zu stoppen“, sagt Bürgermeisterin Muriel Bowser. Die Gouverneure der wichtigsten Bundesstaaten haben ähnliche Restriktionen erlassen.

Mehr als 1000 Virus-Tote in den USA

Mit gutem Grund: Anderthalb Monate, nachdem Präsident Donald Trump erklärte, der lebensgefährliche Erreger werde sich mit dem April-Wetter auf wundersame Weise verziehen, drohen die USA nach Einschätzung der Weltgesundheitsorganisation (WHO) zum Epizentrum der Pandemie zu werden: Mindestens 70.000 Menschen hatten sich bis Donnerstag infiziert, und mehr als 1000 sind an Covid-19 gestorben. Die Dunkelziffer dürfte deutlich höher sein.

„Amerika erzielt immer weitere Geländegewinne im Krieg gegen das Virus“, brüstet sich Präsident Trump im Weißen Haus. Vier Autostunden nordöstlich, in New York, spielen sich im wirklichen Leben derweil apokalyptische Szenen ab. Alleine in einem einzigen Krankenhaus im Stadtteil Queens sind am Dienstag 14 Menschen dem Coronavirus erlegen.

Suche nach freien Betten

Einige starben nach Recherchen der „New York Times“ in der Notaufnahme, während nach einem freien Bett für sie gesucht wurde. Die Leichen mussten in einem Gefrierwagen auf der Straße gelagert werden. Das erinnert an düsterste Bilder aus Italien, obwohl Gouverneur Andrew Cuomo mit Ausgehsperren, Hilferufen und Behelfsspitälern alles tut, um den drohenden medizinischen Kollaps abzuwenden.

Mit mehr als 30.000 Infizierten ist sein Bundesstaat der Brandherd der Corona-Pandemie in Amerika. In der Millionenmetropole New York, wo oftmals hunderte Menschen in einem Hochhaus leben, dieselben Aufzugsknöpfe drücken und sich in der U-Bahn kaum aus dem Weg gehen können, verbreitet sich das Virus mit teuflischer Geschwindigkeit. Erst in 21 Tagen erwarten die Experten hier den Höhepunkt. Dann werden voraussichtlich 140.000 Krankenhausbetten gebraucht. Bislang gibt es nur 53.000.

Mangel bei Beatmungsgeräten ist noch schlimmer

Noch schlimmer ist der Mangel bei Beatmungsgeräten, von denen in New York wohl 30.000 benötigt werden – dreimal soviel wie derzeit vorhanden sind. Auch die Schutzkleidung für das medizinische Personal droht auszugehen. Und Tests sind – wie im ganzen Land – selbst für klare Verdachtsfälle nicht ausreichend verfügbar.

Dass Trump sein Krisenmanagement gleichwohl mit der Bestnote „Zehn“ benotet, lässt sich nur mit einer narzisstischen Wahrnehmungsstörung erklären. Der Ankündigung des Präsidenten, schon Ostern könne das Land weitgehend zur Normalität zurückkehren, widersprechen selbst republikanische Landesväter. „Wir glauben nicht, dass der Höhepunkt vor dem 1. Mai erreicht wird“, twitterte etwa Mike DeWine, der Gouverneur von Ohio. Wie viele Kollegen denkt er nicht daran, die Restriktionen aufzuheben: „Der einzige Weg, das zu verlangsamen, ist das social distancing.“

Times Square Corona

Kaum Menschen auf dem Times Square in New York.

Wut der Trump-Anhänger

An der rechten Trump-Basis auf dem flachen Land aber möchten viele nur allzugerne den Verheißungen des Präsidenten glauben, der die Pandemie zu einer normalen Grippewelle herunterspielt und eine baldige Wunder-Therapie verspricht. Entsprechend wütend fallen die Kommentare unter der Erklärung von DeWine bei Twitter aus. „Ich hoffe, Sie sind für eine Revolte der Massen bereit“, droht ein Leser. „Wenn das Land weitere sechs Wochen dichtgemacht wird, besorge ich mir ein Gewehr“, kündigt ein anderer an. Doch nicht nur politisch driften die USA derzeit noch weiter auseinander.

Die Corona-Krise vertieft auf brutale Weise auch den sozialen Graben der amerikanischen Gesellschaft: Längst sind die Millionäre von der Upper East Side in Manhattan in ihre Ferienhäuser auf den exquisiten Hamptons geflohen. Im Küstenörtchen Wildwood in New Jersey ist der Andrang der Zweitwohnungsbesitzer so groß, dass der Bürgermeister zur Abschreckung die Sperrung der Uferpromenade erwägt.

Wer es sich irgendwie leisten kann in der Hauptstadt Washington, der arbeitet in diesen Tagen aus dem Homeoffice im Vorstadthäuschen. Das geht natürlich nicht für die Whole-Foods-Kassiererin, den Kurier von UPS oder den Busfahrer. Und zufälligerweise sind sie alle schwarz und alle können ihren Job von heute auf morgen ohne soziale Absicherung los sein.

Viel Betrieb beim Öko-Supermarkt Whole Foods

Beim Öko-Supermarkt Whole Foods herrscht in diesen Tagen viel Betrieb. Allerdings hat sich die Zusammensetzung des Publikums geändert. Statt gesundheitsbewusster Mütter und Väter im Feierabendstress drängeln nun viele junge Schwarze durch die Gänge und beladen nach einem Blick in ihr Smartphone eine Reihe brauner Tüten in ihrem Einkaufswagen.

Darin werden die Bestellungen der Amazon-Prime-Kunden für den Lieferservice zusammengestellt. Wegen der Ansteckungsgefahr meiden viele Mittelschicht-Kunden inzwischen die Supermärkte. Das Personal aber hat weder Mundschutz noch Handschuhe, und den empfohlenen Mindestabstand kann es auch oft nicht einhalten.

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Doch es gehört eben auch zur USA, dass in der Coronakrise jene Hilfsbereitschaft gestärkt wird, die zum Kern dieser Gesellschaft gehört. „Hallo! Meine beiden Mitbewohner und ich würden sehr gerne für Sie Erledigungen machen, Lebensmittel abholen oder was sonst gebraucht wird“, bieten Freiwillige auf dem Nachbarschaftsportal Nextdoor schon wenige Tage nach dem Lockdown ihre kostenlose Hilfe an: „Wir stehen das alle gemeinsam durch!“

Kostenlose Hotels für Ärzte

Ein anderer Nachbar verschenkt vier N95-Masken, die er unbenutzt von seinem Haus-Umbau übrig hat (und die natürlich kurz darauf vergriffen sind). Ein Arzt ein paar Straßen weiter bietet kostenlose telefonische Beratung an.

In New York haben sich 6000 Psychotherapeuten und Pfleger zusammengeschlossen und betreiben nun eine Hotline für Menschen in seelischer Not. Die Luxus-Hotelkette Four Seasons stellt kostenlos Zimmer für Ärzte und Krankenschwestern zur Verfügung, die von anderswo anreisen, um beim Kampf gegen die Pandemie zu helfen.

Der New Yorker Gouverneur Cuomo erklärt nüchtern die Lage: „Das kann für ein paar Monate so weitergehen. Viele werden den Virus bekommen. Aber nur wenige werden in Gefahr sein.“

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