Cum-exWarum der Skandal Olaf Scholz doch noch gefährlich werden kann

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Olaf Scholz nach der Sommerpause 

Hamburg – Seit zweieinhalb Jahren schleppen die Hamburger Sozialdemokraten Olaf Scholz und Peter Tschentscher eine Affäre mit sich herum, die alles enthält, um politische Karrieren zu beenden. Doch zweieinhalb Jahre lang hat ihnen der Cum-Ex-Steuerskandal um die Warburg-Bank nicht wirklich schaden können. Beide haben Wahlen gewonnen, beide sitzen noch fest im Regierungssessel, Scholz als Bundeskanzler, Tschentscher als Hamburger Erster Bürgermeister.

Es gibt zum jetzigen Zeitpunkt keine stichhaltigen Beweise für ein strafbares Fehlverhalten der beiden Regierungschefs. Und dennoch wächst die Nervosität im Kanzleramt und im Hamburger Rathaus. Scholz und Tschentscher wissen: Entweder sie schaffen es beide aus dieser Affäre heraus. Oder sie fallen beide.

Unausgesprochener Deal zwischen Wirtschaft und Politik

Es geht ums große Geld, um die feine Gesellschaft, um Lobbyismus, um fragwürdige Erinnerungslücken, um Steuerbetrug in Multimillionenhöhe - und um das Selbstverständnis der Sozialdemokratie in einer Stadt, in der es seit Jahrzehnten einen unausgesprochenen Deal zwischen Wirtschaft und Politik gibt, einander in guten wie in schlechten Zeiten behilflich zu sein.

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Am Freitag kehrt Scholz zurück an einen Platz, an dem er oft gestanden hat: das Rednerpult im Plenarsaal der Hamburgischen Bürgerschaft. Doch an diesem Tag wird Scholz dort nicht als Redner stehen, sondern als Zeuge. Nicht wenige sehen ihn bereits als den Angeklagten. Der Untersuchungssausschuss zur Cum-Ex-Steuergeldaffäre tagt zum 37. Mal, Scholz hat bereits einmal hier ausgesagt, und er wird es wahrscheinlich auch noch ein drittes Mal tun müssen.

„Keinerlei politische Einflussnahme“

Scholz signalisiert Kooperationsbereitschaft – mit einem genervten Unterton. Er werde „wenn nötig auch viele Stunden“ alle Fragen beantworten, sagte er vergangene Woche. Doch wer Scholz kennt, weiß auch, dass der Bundeskanzler auch viele Stunden in der Lage ist, nicht mehr mitzuteilen als die Verteidigungslinie, hinter die er und die Hamburger SPD sich seit zweieinhalb Jahren immer wieder wortgleich zurückziehen.

Es gab „keinerlei politische Einflussnahme“ auf die Entscheidung der Hamburger Finanzbehörde, Ende 2016 Steuerschulden aus illegalen Aktiengeschäften der Hamburger Privatbank M.M. Warburg in Höhe von 47 Millionen Euro nicht einzutreiben, sondern verjähren zu lassen. 2017 sollten weitere 43 Millionen Euro verjähren, das geschah nur deswegen nicht, weil das Bundesfinanzministerium in letzter Minute eingriff.

Treffen mit Bankier Christian Olearius

Eine Woche vor der Hamburger Bürgerschaftswahl 2020 enthüllte das NDR-Magazin „Panorama“ und die „Zeit“, dass Scholz sich im November 2017 mit dem Warburg-Bankier Christian Olearius getroffen habe. Der heute 80-Jährige hatte das Gespräch penibel in seinem Tagebuch vermerkt. Und dieses Tagebuch beschlagnahmte die Kölner Staatsanwaltschaft im Zuge ihrer Ermittlungen gegen den Bankier. Später wurden zwei weitere Treffen 2016 bekannt.

Finanzsenator war zu diesem Zeitpunkt Peter Tschentscher. Als Scholz 2018 Bundesfinanzminister wurde, stieg Tschentscher zum Ersten Bürgermeister auf. Souverän gewann er die Wiederwahl, nur Tage nach der ersten Enthüllung in Sachen Cum-Ex. Der Fall war zu kompliziert, zu vage, zu abstrakt, als dass er wirklich Schaden anrichten konnte.

Was sollte das überhaupt sein, dieses Cum-Ex?

Ebensowenig schadete Scholz die Affäre ein gutes Jahr später im Bundestagswahlkampf 2021. Bewiesen war noch nichts, außer dass Scholz sich als Bürgermeister mit dem wichtigsten Hamburger Privatbankier getroffen hatte. Das gehört, wie leicht sarkastische Beobachter anmerkten, traditionell zu den Kernaufgaben eines Hamburger Bürgermeisters. Und was sollte das überhaupt sein, dieses Cum-Ex?

Der Begriff bezeichnet ein Steuerschlupfloch für Spekulanten: Rund um den Dividendenstichtag bestimmter Aktien schoben Banken und Käufer Wertpapiere mit („cum“) und ohne („ex“) Dividendenanspruch hin und her. Finanzämter hatten so keinen Durchblick mehr, wer wann Dividende erhalten und darauf Steuern gezahlt hatte. Sie erstatteten Kapitalertragsteuern, die gar nicht gezahlt worden waren.

Gesamtschaden von mehr als 10 Milliarden Euro

Der frühere Grünen-Bundestagsabgeordnete Gerhard Schick, jetzt beim Verein „Bürgerbewegung Finanzwende“, geht von einem geschätzten Gesamtschaden für den Staat von mehr als 10 Milliarden Euro aus, von denen inzwischen 1,8 Milliarden Euro zurückgezahlt wurden. Rund 170 Millionen Euro davon rechnete die Staatsanwaltschaft der Warburg-Bank zu. Sie war damit längst nicht der größte Spieler in diesem Spiel, das nicht Wenige als „organisierte Kriminalität“ bezeichnen. Weitere Banken kommen jetzt mit gehöriger Verspätung ins Visier der politischen Aufklärer, doch dazu später.

Solche Summen haben einen Nachteil: Sie sind als Geldstapel kaum vorstellbar. Das hemmt das Verständnis eines Skandals. Gut vorstellbar sind hingegen Scheine im Wert von 214.800 Euro und 2400 US-Dollar in einem Schließfach der Hamburger Sparkasse. Mit diesem großen Haufen Bargeld, der dem früheren SPD-Bundestagsabgeordneten Johannes Kahrs gehört, begann vor zwei Wochen die aktuelle Runde von Enthüllungen im Hamburger Cum-Ex-Skandal.

Kahrs schweigt, die Spekulationen köcheln weiter

Vielleicht brauchte es solch eine handfeste Handvoll Euro, um die Aufmerksamkeit mit solcher Verzögerung auf Cum-Ex zu lenken. Auf jeden Fall brauchte es rund 600 Seiten neue Dokumente der Staatsanwaltschaft Köln, die zurzeit im Sekretariat des Hamburger Untersuchungsausschusses ausgewertet werden. Die Ironie der Geschichte: Es gibt keinerlei Belege, dass die Euro-Bündel im Kahrs-Schließfach irgendetwas seiner Tätigkeit für die Warburg-Bank zu tun haben. Kahrs schweigt, was sein gutes Recht ist, die Spekulationen aber weiter köcheln lässt.

Bekannt ist durch die Olearius-Tagebücher, dass dieser im Frühjahr 2016 den früheren SPD-Innensenator Alfons Pawelczyk (89) und Kahrs für sich einspannte. Pawelczyk hatte nach seinem Ausscheiden aus der Politik eine zweite Karriere als Berater und Lobbyist begonnen, bei Kahrs liefen diese Tätigkeiten bis zu seinem überraschenden Rückzug aus der Bundespolitik 2020 anscheinend parallel. Kahrs soll laut Tagebüchern immer wieder Olearius getroffen und ihn beraten haben, Pawelczyk stellte schließlich den Kontakt zu Scholz her.

„In anderen Ländern nennen wir so etwas Oligarchie“

Gerhard Schick sagt dazu: „Wir sehen klare Belege, dass es eine erfolgreiche Einflussnahme durch reiche Banker auf die Politik gab. In anderen Ländern nennen wir so etwas Oligarchie.“

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Es folgten laut Olearius-Tagebüchern zwei Treffen im Jahr 2016, dann das bereits bekannte im Jahr 2017. Dazu sagte Scholz bei einer Befragung im Bundestags-Finanzausschuss im September 2020: „Konkrete Erinnerungen an die jeweiligen Treffen habe er nicht“, heißt es im Protokoll der Sitzung des Finanzausschusses vom 9. September. „Aus eigener Erinnerung könne er nicht sagen, welche Treffen es gegeben habe. Er könne nur deshalb hierüber Auskunft geben, weil er seinen Kalender habe auswerten lassen.“

Scholz habe „ein Glaubwürdigkeitsproblem“

Laut „Stern“, NDR und „Manager Magazin“ hatte Scholz bei einer als geheim eingestuften Sitzung im Juli 2020 hingegen über das Treffen 2017 gesagt, „man habe über viele Dinge“ gesprochen“, so stehe es im Protokoll. Er habe sich „lediglich die Sicht der Dinge von Christian Olearius angehört.“

Norbert Hackbusch ist Obmann der Linken im Hamburger Untersuchungsausschuss. Er ist seit drei Jahrzehnten in der Hamburger Landespolitik aktiv, hat Scholz auch schon im Untersuchungsausschuss zu den Kosten der Elbphilharmonie befragt. Dort habe sich der heutige Bundeskanzler an jedes Detail erinnern können, sagt er. Und nun nicht einmal mehr an drei Treffen mit einem der wichtigsten Vertreter der hanseatischen Wirtschaft, der klagt, der Fortbestand seines 1798 gegründeten Instituts sei durch die Steuerforderungen in Gefahr? Scholz habe „ein Glaubwürdigkeitsproblem“, sagt Hackbusch.

„Der Cum-Ex-Skandal stinkt zum Himmel“

Und Hamburgs CDU-Chef Christoph Ploß schäumt geradezu: „Der Cum-Ex-Skandal um Olaf Scholz und Peter Tschentscher stinkt zum Himmel“, sagt er dem RedaktionsNetzwerk Deutschland (RND): „Schon jetzt ist klar, dass Peter Tschentscher in das Hamburger Steuerverfahren involviert war, indem er ein Schreiben der Warburg-Bank von oben in die Verwaltung gegeben hat. Der Hamburger Senat hat gegenüber dem Parlament mehrfach falsche Angaben gemacht und immer nur zugegeben, was Ermittler und Journalisten bereits herausgefunden haben.

Angesichts der Verdachtsmomente, die bis zu handfester Korruption reichen, muss die SPD endlich auf Transparenz und Aufklärung statt Nebelkerzen und Salamitaktik setzen – sonst muss man vom Schlimmsten ausgehen.“ Schlimm genug für Teile der Hamburger SPD und der Finanzbehörde könnte sein, was nächste Woche in Hamburg passieren wird: Zusammen werden die Oppositionsparteien CDU und Linke in der Bürgerschaft eine Ausweitung des Untersuchungsausschusses beschließen - und auch die Cum-Ex-Geschäfte der ehemaligen HSH Nordbank in den Blick nehmen.

Skandalbehaftete Landesbank vor Konkurs bewahrt

Die skandalbehaftete gemeinsame Landesbank von Hamburg und Schleswig-Holstein wurde mit Milliardenaufwand vor dem Konkurs bewahrt. In dieser Zeit beteiligte sie sich auch an Cum-Ex-Geschäften. Steuerrückforderungen wegen dieser Deals seien „mit Milde“ behandelt worden, sagt der frühere Linken-Bundestagsabgeordnete Fabio de Masi - damit die beiden Nord-Bundesländer nicht noch mehr Geld zuschießen mussten.

Und es sei nicht unwahrscheinlich, dass Warburg-Bankier Olearius schlicht argumentierte, dass man als privates Geldhaus nicht schlechter behandelt werden wolle als die Landesbanker.

Die neuen Untersuchungen könnten eine Welle in der ganzen Republik auslösen. Denn auch andere Landesbanken, etwa in Nordrhein-Westfalen und Baden-Württemberg, haben Cum-Ex-Deals gemacht. Für Gerhard Schick ist das besonders verwerflich: „Dass Landesbanken, also Banken im Eigentum des Steuerzahlers, große Spieler beim Ausplündern der öffentlichen Hand waren, zeigt, dass einiges im Argen liegt.“ Für Olaf Scholz, so viel ist sicher, werden die Fragen am Freitag nicht die letzten in dieser Affäre sein. (rnd)

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