Delta-Welle in Großbritannien?20.000 Menschen aus Indien reisten unkontrolliert ein

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Boris Johnson Maske 230621

Boris Johnson besucht ein Impfzentrum.

Dem Rest Europas einige Wochen voraus, findet sich Großbritannien dieser Tage mitten im Kampf gegen Delta – die zuerst in Indien identifizierte und bislang bedrohlichste Covid-19-Variante (B.1.617.2). Die Infektionszahlen steigen stetig. Mit Sorge schaut alles darauf, in welchem Maß sich auch die Zahl der Covid-Patienten erhöht.

Die Experten sind in ihren Prognosen derzeit uneinig. Skeptiker fürchten, dass die Lage unter ungünstigen Umständen so schlimm werden könnte wie im Januar dieses Jahres, als fast 40.000 Patienten in den Kliniken lagen. Optimisten machen dagegen bereits eine Abflachung der Kurve aus. Sie finden, dass man nicht mal von einer „dritten Welle“ reden könne, und dass die neue Zahl der Fälle jedenfalls nicht zu einer neuen Katastrophe führen wird.

Davon geht auch Gesundheitsminister Matt Hancock aus: „Was wir sehen, ist bereits ein langsameres Wachstum der Infektionsrate. Und die Zahl der Patienten steigt zwar, aber glücklicherweise nicht sehr schnell.“ Zu verdanken sei diese Situation natürlich dem Impferfolg des letzten halben Jahres. Tatsächlich sieht sich sein Land, in dem 82 Prozent aller Erwachsenen mit einer ersten Dosis und 60 Prozent vollständig geimpft sind, bei der Abwehr von Delta in einer wesentlich stärkeren Position als zuvor.

Von „gloriosem Sommer“ jetzt zu mehr „Geduld“ in Großbritannien

Einen „gloriosen“ Sommer hatte die Regierung der Bevölkerung bereits versprochen, mit Urlaubsreisen und weniger Restriktionen. Mittlerweile wird von den verunsicherten Bürgern aber wieder „Geduld“ verlangt. Denn die Zahl der gemeldeten täglichen Neuansteckungen ist auf über 11.000 gestiegen. Man geht davon aus, dass sie sich weiter erhöhen wird. Auch die Zahl der Infizierten und der Toten zieht wieder an.

Jeremy Brown, Professor am University College London, sieht vor allem Gefahr für Stadtteile und Kreise in ärmeren und in ethnisch gemischten Gebieten, in denen weniger Menschen sich haben impfen lassen. An solchen Orten bestehe „zweifellos das Risiko einer beträchtlichen Welle“, die an das herankommen könnte, was das Land im Januar erlebt habe. Dass die noch immer enge Verbindung Großbritanniens zur Ex-Kolonie Indien bei der frühen Verbreitung der Delta-Variante im Vereinigten Königreich eine Rolle spielte, bestreitet kaum jemand auf der Insel.

Kritiker werfen Johnson den G-7-Gipfel vor

Insbesondere wird Premierminister Boris Johnson vorgeworfen, nicht rechtzeitig Maßnahmen ergriffen zu haben. Noch als Johnson Anfang April dieses Jahres scharfe Quarantäneregeln für Reisende aus Pakistan und Bangladesch verhängte, sparte er Indien aus – obwohl es an Warnungen nicht fehlte und in Indien beängstigende Zustände herrschten. Erpicht auf einen Post-Brexit-Handelsvertrag mit Indien, hielt der Premier eisern fest an Plänen für einen persönlichen Besuch in Neu-Delhi. Erst am 23. April gab er diese Pläne auf.

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Wenige Stunden nach Bekanntgabe der Reisestornierung verkündete Minister Hancock, dass nun auch Indien in die „rote Zone“ eingestuft werde und Reisende aus Indien sich nach ihrer Ankunft in Großbritannien zur Quarantäne in staatlich kontrollierten Hotels einquartieren müssten. In den drei fraglichen Wochen zuvor, kritisierten Medien, seien 20.000 Menschen aus Indien praktisch unkontrolliert eingereist.

Leichtfertigkeit wird der Regierung von Kritikern auch nach dem jüngsten G-7-Gipfel in Cornwall vorgeworfen, den Johnson unbedingt „in Person“ abhalten wollte.

Und viel Unmut hat Johnsons gestrige Entscheidung ausgelöst, auf Drängen der Uefa die erlaubte Zuschauerzahl bei den letzten drei Euro-2020-Spielen im Wembley-Stadion auf 60 000 hochzuschrauben, und 2500 „offiziellen“ Gästen aus Europa zusätzlichen Zugang zu verschaffen. Dies geschehe unter strikten Auflagen, betont man in der Downing Street. Aber besorgte Briten sprechen schon jetzt von einem „Superspreader Event“.

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