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Fachkräftemangel100.000 Pflegekräfte zusätzlich benötigt

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Seit langem sind sich die Experten einig, dass es in den Pflegeheimen zu wenig Personal gibt. 

Bremen – In der Altenpflege ist vieles im Argen: Noch immer liegen sich Pflegebedürftige wund, sie trinken und essen zu wenig oder bekommen nicht die richtigen Medikamente. Die Pflegekräfte in den Heimen bemühen sich redlich, doch die Belastung ist so hoch, dass die Arbeit oft gar nicht zu schaffen ist.

Seit langem sind sich die Experten einig, dass es in den Pflegeheimen zu wenig Personal gibt. Deshalb hatte der Bundestag in der vergangenen Wahlperiode beschlossen, dass die Personalbemessung künftig auf eine wissenschaftliche Basis gestellt werden soll, um die hohe Arbeitsbelastung zu senken und eine angemessene Betreuung der Pflegebedürftigen zu gewährleisten.

Das entscheidende Gutachten zur Umsetzung des Vorhabens liegt seit Dienstag vor. Die Wissenschaftler um den renommierten Pflegeexperten Heinz Rothgang von der Universität Bremen haben in monatelangen Untersuchungen in über 60 Pflegeheimen untersucht, welcher Personalbedarf tatsächlich besteht.

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Die Mehrheit des Pflegepersonals ist überlastet

Dabei wurde jede praktische Pflegehandlung dokumentiert und daraus eine Berechnungsmethode für eine ausreichende Personalstärke entwickelt. Das Ergebnis: In Altenheimen müssen über 100.000 Pflegekräfte neu eingestellt werden. Das entspricht einer Erhöhung um 36 Prozent, von jetzt rund 320.000 auf dann knapp 440.000 Pflegekräfte.

In dem Gutachten heißt es, die Mehrheit des Pflegepersonals sei überlastet. Das führe nicht nur zu einem erhöhten Krankenstand, sondern auch zu mehr Teilzeitarbeit und einem frühen Ausstieg aus dem Beruf. Die ungünstigen Arbeitsbedingungen sorgten zudem für eine schlechtere Pflegequalität.

Um angesichts der weiter steigenden Zahl von Pflegebedürftigen den wachsenden Fachkräftebedarf zu decken, müssten die Arbeitsbedingungen in der Heimpflege deutlich verbessert werden. Wichtigstes Instrument dafür sei ein besserer Personalschlüssel. Vorgeschlagen wird, dass eine Pflegekraft künftig rechnerisch im Schnitt 1,8 Pflegebedürftige betreuen soll.

Mehr Personal und bessere Arbeitsbedingungen gefordert

Bisher beträgt die Quote 1 zu 2,5. Bezogen auf ein Heim mit 100 Bewohnern heißt das, dass diese von 55 statt wie bisher von 40 Pflegekräfte betreut werden sollen. Ungeklärt ist allerdings, woher die neuen Pflegekräfte kommen sollen. Schon heute sind 20.000 Stellen in der Altenpflege unbesetzt.

Den größten zusätzlichen Personalbedarf sehen die Forscher zwar bei Assistenzpflegern mit ein- oder zweijähriger Berufsausbildung und nicht bei examinierten Pflegefachkräften. Das ändert an der Situation aber nur wenig: In beiden Berufsgruppen besteht derzeit auf dem Arbeitsmarkt ein Engpass.

SPD und Union begrüßten gleichwohl die Vorschläge. „Wir brauchen mehr Personal und gleichzeitig bessere Arbeitsbedingungen in der Pflege“, sagte SPD-Fraktionsvize Bärbel Bas. Das vorliegende Gutachten liefere dafür eine gute Basis. „Auf dieser Grundlage müssen wir nun einen bedarfsgerechten, bundeseinheitlichen Personalschlüssel für Pflegeheime umsetzen.“

Wie die zusätzlichen Kosten gedeckt werden, ist offen

Die Gesundheitsexpertin der Unions-Bundestagsfraktion, Karin Maag, erklärte, ohne bundeseinheitliche Rahmenbedingungen für die Personalausstattung werde es nicht gelingen, für mehr Pflegekräfte in der stationären Langzeitpflege zu werben.

Das Gutachten wird allerdings die Debatte über die künftige Finanzierung der Pflegeversicherung weiter anheizen. Denn die Kosten für das zusätzliche Personal belaufen sich immerhin auf jährlich rund vier Milliarden Euro. Hinzu kommen höhere Kosten von bis zu fünf Milliarden Euro für höhere Löhne.

Denn die Pflegekommission aus Arbeitgebern und Arbeitnehmern hat gerade beschlossen, die Mindestlöhne in der Pflege deutlich anzuheben. Zudem verfolgt die Bundesregierung weiterhin das Ziel, gegen den Widerstand der privaten Pflegeheimbetreiber einen flächendeckenden Tarifvertrag zu ermöglichen.

Bundesweiter Eigenanteil an Pflegekosten im Schnitt schon bei 2.000 Euro

Unterm Strich könnten auf Pflegeversicherung neue Kosten von rund zehn Milliarden Euro zukommen. Dazu müsste der Beitragssatz um rund 0,7 Punkte auf dann 3,75 Prozent (Kinderlose 4,0 Prozent) angehoben werden. Alternativ könnte der Eigenanteil der Heimbewohner weiter erhöht werden.

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Doch dieser hat mit einem bundesweiten Schnitt von fast 2000 Euro im Monat schon einen Wert erreicht, der immer mehr Betroffene in die Sozialhilfe treibt. Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) hat angekündigt, bis Mitte des Jahres einen Vorschlag für eine Finanzreform vorzulegen.

Bis dahin will er bei öffentlichen Veranstaltungen über die Problematik diskutieren. Im Vorfeld hatte er sich kritisch zu den Forderungen der SPD geäußert, den Eigenanteil gesetzlich zu begrenzen. In Frage käme auch ein Steuerzuschuss aus dem Bundeshaushalt, um die Kosten zu begrenzen.

Das dürfte aber angesichts der sich abzeichnenden schwierigeren Haushaltslage kaum durchsetzbar sein. (rnd)

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