Gegen Lauterbach und Co.Die Pandemie befördert eine zweite Seuche, den Hass

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Karl Lauterbach (SPD)

Berlin – Gerald Haug ist Präsident der Leopoldina in Halle, der Nationalen Akademie der Wissenschaften. Er ist kein Politiker. Er ist nicht in den sozialen Netzwerken aktiv, und er war bis vor einigen Monaten dem allergrößten Teil der Öffentlichkeit unbekannt. Das alles schützt ihn nicht vor Hassbotschaften. Es ist, als ob die Pandemie eine zweite Seuche befördert: die der ungehemmten Beschimpfung, Verleugnung und Bedrohung von Menschen, die anderer Meinung sind. Bevorzugt, aber nicht nur, im Netz. Und es trifft längst nicht mehr nur Politiker und Journalisten, Menschen also, die zumeist ein gewisses Maß an Öffentlichkeitserfahrung haben, sondern auch Wissenschaftler wie den Virologen Christian Drosten. Oder eben Gerald Haug.

Angriffe aus Unsicherheit

Vor dem Forschungsausschuss des Bundestags machte Haug kürzlich seiner Verzweiflung Luft: „Politikerinnen und Politiker und jetzt auch Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler sind derzeit vermehrt Anfeindungen und Drohungen ausgesetzt. Dies führe ich auf die verunsichernde und angespannte Corona-Krisensituation zurück, aber dies rechtfertigt natürlich keinesfalls derartige Angriffe. Diese sind eng verknüpft mit Unterstellungen und Falschdarstellungen, die unterdessen ein bedenkliches Maß erreicht haben.“

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Die Leopoldina soll, so ging das Gerücht durch die Querdenker-Foren auf Telegram und die „Bild“-Zeitung, Gefälligkeitsgutachten für die Bundesregierung erstellt haben, um den Lockdown zu begründen. Haug weist das zurück: „Die Leopoldina arbeitet unabhängig und ergebnisoffen. Zu entscheiden ist immer Aufgabe der demokratisch legitimierten Politik.“

Der SPD-Gesundheitspolitiker Karl Lauterbach ist einer von denen, die mitentscheiden. Und im Gegensatz zu Haug ist Lauterbach auch auf allen Kanälen präsent. Dem Trainer des ebenso dauerpräsenten FC Bayern München missfällt das. „So langsam kann man die sogenannten Experten gar nicht mehr hören, auch Herrn Lauterbach“, ätzte Hansi Flick am Wochenende.

Flicks Timing war beängstigend schlecht: Gerade hatte Lauterbach öffentlich über eine neue Welle des Hasses gegen sich gesprochen. „Immer wieder Aufrufe zur Gewalt. Meine Büroschreibtische sind voll von Anzeigen“, twitterte er.

Es sind nicht die mehr oder weniger unbedachten Äußerungen eines Hansi Flick, die Menschen wie Karl Lauterbach oder Gerald Haug in Bedrängnis bringen. Es ist der ungehemmte, ungefilterte Hass in den Gruppen der Corona-Demonstranten – angefeuert von der extremen Rechten. Das „Compact“-Magazin etwa, vom Verfassungsschutz als rechtsextremer Verdachtsfall geführt, hob jüngst ein verzerrtes Lauterbach-Porträt auf den Titel, schwarz-weiß im NS-Stil. „Wollt ihr den totalen Lockdown?“ steht darunter.

Kann ein Mann, eine Frau noch mit Menschen reden, die sie auf diesem Niveau angreifen?

Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer (CDU) hat sich lange zur Devise gemacht, mit jedem und jeder zu reden, seien es Pegida-Anhänger oder Corona-Demonstrierende. Er hat sich noch auf eine Diskussion eingelassen mit einer Gruppe, die ihn vor seinem Privathaus beim Schneeschippen belästigten und die 30 Leute sogar zu einer Online-Debatte bei der Konrad-Adenauer-Stiftung eingeladen. Doch auch bei Kretschmer ist das Ende der Geduld erreicht, weil die Angriffe immer heftiger werden.

Endlos viele Beispiele

„Mir haben Menschen geschrieben, dass in Telegram-Gruppen gesprochen wurde, ob man mein Haus anzündet und ob man mich am Mast davor aufhängt“, sagte der Sachse der „Süddeutschen Zeitung“. Er wisse, dass im Netz und in Chatgruppen viel Hass geschürt werde, „wir leben in einer Zeit, die keine Zwischentöne mehr kennt. Bei allen liegen die Nerven blank.“

Die Beispiele lassen sich endlos aneinanderreihen. Greifbare Botschafter des Hasses waren Handzettel in einer Kölner Straßenbahn: „Haben wir denn wirklich nur ein Corona-Problem? Oder haben wir nicht vor allem ein Juden-Problem?“, stand darauf. Daneben sind die Namen der angeblichen Juden Angela Merkel, Jens Spahn, Heiko Maas und Christian Drosten aufgeführt. Die Jüdische Gemeinde der Domstadt hat Anzeige erstattet.

Aber vor allem der digital geäußerte Hass erreicht in Zeiten der Pandemie ein neues Level. Eins aber bleibt gleich: Der Ton der Botschaften. Beleidigungen, auch antisemitischer Art, Morddrohungen, Vergewaltigungsfantasien, das alles ist in den vergangenen Jahren zu traurigen Normalität geworden, angefacht vor allem in rechtsextremen Chatgruppen, am Brennen gehalten zumindest teilweise auch durch die AfD in den Parlamenten.

In Kürze wird in Frankfurt am Main der Prozess gegen den Bundeswehroffizier Franco A. eröffnet. Teil der Anklage: Er hat 2016 die Tiefgarage der Amadeu-Antonio-Stiftung ausgekundschaftet. Die Organisation ist bekannt für ihren Kampf gegen Rassismus und Rechtsextremismus. Genau aus diesem Grund war sie schon häufig Ziel von Hass und Anfeindungen aus der rechten Szene. Ob A. vorhatte, die Stiftungsvorsitzende Anetta Kahane zu ermorden, wird vor dem Oberlandesgericht verhandelt.

Welle von Hassbotschaften

Erst vergangene Woche forderte AfD-Bundestagsfraktionsvize Beatrix von Storch: „Stasi-Amadeu-Stiftung nach AfD-Bashing endlich den öffentlichen Geldhahn abdrehen“. Die jüdische Stiftungschefin Kahane hat von 1974 bis 1982 als Inoffizielle Mitarbeiterin tatsächlich der DDR-Staatssicherheit zugearbeitet. Öffentlich ist das längst. Aber es passt scheinbar so schön ins Stereotyp der „jüdischen Verräterin“, dass es gerade in Krisenzeiten gerne wieder hervorgeholt wird. Kahane habe „ganz oben auf seiner Abschussliste gestanden“, hatte der Attentäter von Halle im Prozess ausgesagt. Rechtsextremismus, Antisemitismus und Frauenhass verbanden sich bei ihm zu einer mörderischen Mischung.

Am Freitag tauchte auch das Nachrichtenmagazin „Spiegel“ tief in die Abgründe des Frauenhasses ein. „Die düstere Welt enthemmter Männer: Feindbild Frau“ hieß die Titelgeschichte. In der Autorenzeile stehen vier Männer und eine Frau, Ann-Kathrin Müller. Sie wird seit Erscheinen mit einer neuen Welle von Hassbotschaften überschüttet, sagt sie dem RND. „Die lobenden Mails gehen an uns alle, die Hassmails ausschließlich an mich als Frau.“ Eine der harmloseren Reaktionen auf Twitter lautet: „Mir als Macho ist es egal was irgendein Haserl so schreibt“.

„Wer über Frauenhass berichtet, zieht noch mehr Frauenhass auf sich“, konstatiert auch Bundesjustizministerin Christine Lambrecht (SPD). Und „wer mit Fakten dazu beiträgt, dass wir die Pandemie besser bekämpfen können, wird mit Drohungen überzogen. Das muss endlich ein Ende haben. Die Täter müssen konsequent von der Justiz verfolgt werden. Morddrohungen sind keine Meinungsäußerungen, sondern Straftaten.“

Und doch tut sich der Staat schwer mit einer Reaktion. Für Lambrecht machen die aktuellen Fälle klar, wie dringend erforderlich ein Gesetz gegen Rechtsex tremismus und Hasskriminalität ist. Doch es kann nicht in Kraft treten. Wegen verfassungsrechtlicher Bedenken zur Bestandsdatenauskunft musste ein „Reparaturgesetz“ her, es scheiterte am Freitag im Bundesrat. „Wir müssen jetzt schnell im Vermittlungsausschuss zu einer Lösung kommen“, fordert Lambrecht.

Auch der Bundesgeschäftsführer des Deutschen Richterbundes, Sven Rebehn, drängt zur Eile: „Der Rechtsstaat ist gefordert, die Spirale von Hass, Bedrohungen und Gewalt wirksamer als bislang zu stoppen. Die Meinungsfreiheit endet auch im Netz dort, wo strafbarer Hass beginnt. Wer zu Straftaten auffordert, Verbrechen billigt oder andere massiv bedroht und beleidigt, der ist ein Fall für die Strafjustiz.“ Bund und Länder müssten sich schnell bei der Bestandsdatenspeicherung einigen: „Es ist höchste Zeit, diese Hängepartie zu beenden. Hass und Hetze im Netz sind keine Bagatellen, sondern eine Gefahr für unsere Demokratie.“

Eine Flut von Verfahren

Zugleich fordert Rebehn, dass die Länder „um effektiv dagegen vorgehen zu können auch das Personal in der Strafjustiz deutlich aufstocke“. Auf die Staatsanwaltschaften kämen etwa 150 000 neue Verfahren jährlich zu: „Es braucht bundesweit hunderte zusätzliche Strafverfolger und Richter, um diese Fallzahlen einigermaßen bewältigen zu können.“

In Nordrhein-Westfalen gibt es bereits eine Zentralstelle Cybercrime. Staatsanwalt Christoph Hebbecker leitet diese Sondereinheit, die ausschließlich gegen Hassbotschaften im Netz vorgeht. „Verfolgen statt nur löschen“ ist seine Devise. Die allermeisten seiner Fälle haben mit Hass und Drohungen aus dem rechten Spektrum zu tun. „80 Prozent plus x“, also die „ganz weit überwiegende Anzahl der Fälle, die wir täglich bearbeiten“, seien „dem rechten und rechtsextremen Spektrum zuzuordnen“, sagt er, daran habe sich in der Pandemie kaum etwas geändert. Neu sei nur, dass Botschaften gegen die Corona-Politik mit rechtsextremen Symbolen verknüpft werden.

So wurden kürzlich auf verschiedenen Kanälen Bilder einer „corona-konformen Tischordnung in der Wolfsschanze“ gepostet: Die Tische waren in Hakenkreuzform angeordnet. Für Hebbecker ist das Grund genug, einen Anfangsverdacht wegen des Zeigens verfassungsfeindlicher Symbole und ein Ermittlungsverfahren einzuleiten.

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