Hochwasserbilanz der Versicherer„Schlimmste Naturkatastrophe seit Zweitem Weltkrieg“

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Hochwasser Erftstadt

Hochwasser im Juli in Erftstadt

Köln, Berlin – Zehn Wochen sind inzwischen vergangenen, seit die Hochwasserkatastrophe in West- und Süddeutschland mehr als 180 Menschenleben gefordert und ganze Ortschaften verwüstet hat. Die Aufräumarbeiten sind inzwischen weit vorangeschritten und auch der Wiederaufbau hat vielerorts längst begonnen.

Die deutsche Versicherungswirtschaft hat die Jahrhundertflut vor eine große Herausforderung gestellt. „Das Regentief Bernd und das folgende Hochwasser waren die schlimmste Naturkatastrophe, die wir in Deutschland seit dem Zweiten Weltkrieg gesehen haben“, sagt Jörg Asmussen, geschäftsführendes Präsidiumsmitglied und Hauptgeschäftsführer des Gesamtverbandes der Deutschen Versicherungswirtschaft (GDV), dem RedaktionsNetzwerk Deutschland (RND).

250.000 einzelne Schadensfälle

Insgesamt 16.000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter hat die Versicherungswirtschaft in das Hochwassergebiet entsendet, um der Lage Herr zu werden. 2500 externe Kräfte, zum Beispiel Gutachter, kamen hinzu. 250.000 einzelne Schadensfälle mussten registriert und bearbeitet werden. Allein 50.000 davon waren zerstörte Autos.

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Die Gesamtsumme der Schäden ist gewaltig. Mit versicherten Schäden in einer Größenordnung von 7 Milliarden Euro rechnet der GDV. Mehr als ein Fünftel der Schadensumme ist bereits ausgezahlt, also etwa 1,5 Milliarden Euro. Etwa eine Milliarde ist an private Haushalte gegangen, eine weitere halbe Milliarde an Gewerbetreibende, darunter viele kleine und mittlere Unternehmen.

„Teil des Geschäfts“

Sorge um die finanzielle Solidität der Versicherungen müsse man sich dennoch nicht machen, sagt Asmussen, der in seinem früheren Berufsleben Staatssekretär im Bundesfinanz- sowie im Arbeitsministerium und Mitglied des Direktoriums der Europäischen Zentralbank (EZB) war.

„Die Versicherungen können mit Schadensereignissen wie der Hochwasserkatastrophe umgehen. Sie sind Teil unseres Geschäftes“, so der Experte. Die Versicherer seien rückversichert und verfügten über einen ausreichend großen Kapitalpuffer. „Allein die Schadens- und Unfallversicherungen verfügen über Eigenmittel von rund 120 Milliarden Euro“, betont Asmussen.

Neues Gesamtkonzept statt Pflichtversicherung

Zur Wahrheit gehört allerdings allerdings auch, dass viele Betroffene der Flut gar nicht versichert sind. In Nordrhein-Westfalen liegt die Quote der versicherten Gebäude bei 47 Prozent, in Rheinland-Pfalz bei 37 Prozent. „Da ist Luft nach oben“ räumt Asmussen ein.

Von der nun häufig diskutierten Pflichtversicherung hält er trotzdem wenig. „Die lehnen wir als einziges Instrument ab“, sagt er. „Es wäre ein Fehler, eine Versicherung verpflichtend einzuführen, die dann ganz allein die Kosten der fehlenden Anpassung an die Klimafolgen tragen muss. Viel wichtiger wäre aus unserer Sicht ein Gesamtkonzept, das auch staatliche und private Prävention umfasst.“

Neue Bebauungsregelungen notwendig

Die Versicherer blicken in die Schweiz, wo es in Gebieten mit starkem Hochwasserrisiko Bebauungsverbote oder verpflichtende Präventionsauflagen für private Hauseigentümer gibt. „Prävention beginnt damit, dass in Überschwemmungsgebieten in Kellern nur Fliesen und keine Teppiche verlegt werden und, dass Häuser ohne Keller oder auf einem Sockel gebaut werden müssen“, berichtet Asmussen. „Ich denke, solche Regelungen werden wir auch brauchen.“

Sollte es dennoch eine Pflichtversicherung geben, plädiert der Branchenvertreter für eine Kombination aus staatlicher und privater Absicherung. Vorbild ist auch hier die Schweiz, wo es einen so genannten „Verluststopp-Mechanismus“ gibt. Schadensereignisse bis zu einer Milliarde Schweizer Franken tragen die Versicherer. Alles, was darüber hinausgeht, zahlt der Staat. Über ein solche Modell müsse man auch in Deutschland diskutieren, findet Asmussen und kündigt an, noch im Herbst konkrete Vorschläge dazu vorzulegen.

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Den Vorwurf, dass die Versicherungswirtschaft damit nur die Gewinne einstreichen und das Risiko auf den Staat abwälzen wolle, weist deren Hauptgeschäftsführer energisch zurück. „Ich komme aus Norddeutschland. Sturmfluten kannten wir dort immer“, sagt er. Starkregen aber könne überall auftreten und werde durch den Klimawandel weiter zunehmen. „Sich darauf einzustellen, ist nicht allein Aufgabe der Versicherer, sondern eine Herausforderung für die gesamte Gesellschaft“, so Asmussen.

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