InterviewArbeitsminister Heil rudert beim Homeoffice zurück

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Hubertus Heil

Hubertus Heil

  • In der Corona-Pandemie haben Millionen Menschen und zahllose Unternehmen gezeigt, dass Homeoffice auch ganz ohne den Staat funktioniert.
  • Arbeitsminister Hubertus Heil will trotzdem ein Gesetz zu dem Thema machen.
  • Statt Recht auf Heimarbeit soll es für Beschäftigte einen Erörterungsanspruch geben.
  • Doch auch weitere Fragen seien dringend zu regeln. Ein Interview.

Herr Heil, Sie mussten selbst zwei Mal in Quarantäne – zuletzt, weil die Corona-App Alarm geschlagen hatte. Lässt sich ein Ministerium gut aus dem Homeoffice leiten?

Hubertus Heil: Ja, eine Zeit lang lässt sich das gut hinbekommen, selbst ein Ministerium aus dem Homeoffice zu leiten. Dazu gibt es Telefon und Videokonferenzen.

In der Corona-Pandemie haben Millionen Menschen und zahllose Unternehmen gezeigt, dass Homeoffice auch ganz ohne den Staat funktioniert. Warum wollen Sie trotzdem ein Gesetz zu dem Thema machen?

Corona ist ein ungeplanter Großversuch im Homeoffice. Wir erleben, was technisch möglich ist. Das wollen Menschen auch zukünftig stärker nutzen, zum Beispiel, um die Vereinbarkeit von Beruf und Familie zu erhöhen. Für einen modernen Arbeitsmarkt wollen wir einen modernen Ordnungsrahmen setzen. Nicht mehr und nicht weniger.

Bei der Grundrente sind sie deutlich über den Koalitionsvertrag hinausgegangen und haben sich durchgesetzt. Beim Recht auf Homeoffice hat die Kanzlerin Sie ausgebremst. Ist Ihr Erfolgsrezept, forsch über das Vereinbarte hinauszugehen am Ende?

Mir geht es um die Sache. Am Ende haben wir eine Grundrente bekommen, die diesen Namen auch verdient. Beim Thema Homeoffice und mobiles Arbeiten gibt es einen gesetzgeberischen Handlungsbedarf. Laut einer aktuellen Studie der Uni Konstanz wünschen sich 45 Prozent der Deutschen ein oder zwei Tage die Woche im Homeoffice arbeiten zu können. Das muss ich und das will ich ernst nehmen.

Sie haben einen Gesetzentwurf vorgelegt, der einen Rechtsanspruch auf Homeoffice von 24 Tagen im Jahr vorsieht. Die Union sagt nein. Was nun?

Ich habe einen maßvollen Rechtsanspruch für Beschäftigte vorgeschlagen, bei denen das möglich ist. Da die Union bei dieser Frage offensichtlich noch nicht im Jahre 2020 angekommen ist, bin ich bereit, den Anspruch auf 24 Tage Homeoffice im Jahr zurückzustellen. Mein Vorschlag ist: Lasst uns jetzt zumindest gemeinsam einen modernen Rahmen für mobile Arbeit beschließen. Es geht mir darum, dass wir weiterkommen.

Was bleibt also im Kern übrig?

Ich will weiter den Beschäftigten rechtlich den Rücken stärken, die mobil arbeiten wollen. Konkret heißt das, dass Beschäftigte einen Erörterungsanspruch bekommen: Sie sollen das Recht haben, mit ihrem Arbeitgeber über ihren Homeoffice-Wunsch zu verhandeln. Der Arbeitgeber darf den Wunsch dann nicht einfach so vom Tisch wischen, sondern muss gut begründen, warum es mit dem mobilen Arbeiten aus betrieblichen Gründen nicht geht. Und es gibt noch ein paar Fragen mehr, die wir dringend regeln müssen.

Nämlich?

Wir haben Lücken im Unfallversicherungsschutz. Auf dem Arbeitsweg sind Menschen unfallversichert. Aber wer im Homeoffice ist und sein Kind zur Kita bringt, ist das nicht. Diese Lücke beispielsweise müssen wir schließen. Auch beim Thema Arbeitszeit müssen wir die Beschäftigten schützen.

Wie soll das funktionieren? Die Entgrenzung von Arbeit und Privatem findet doch automatisch statt, wenn man von zu Hause arbeitet.

Ich setze auf digitale Lösungen. Es geht nicht um eine Stechkarte zu Hause, aber wir brauchen eine Dokumentation der Arbeitszeit, zum Beispiel durch eine App. Notfalls geht natürlich auch eine schriftliche Dokumentation. Eines muss klar sein: Irgendwann ist Feierabend, auch im Homeoffice soll niemand rund um die Uhr zur Verfügung stehen.

Unternehmen haben Angst, dass Sie künftig noch Büromöbel fürs Homeoffice der Mitarbeiter kaufen müssen. Und Beschäftigte fürchten, der Arbeitgeber müsse dann bei ihnen zu Hause den Arbeitsschutz kontrollieren.

Nein, darum geht es wirklich nicht. Es geht um praktische Hinweise, was beim Arbeitsschutz im Homeoffice zu beachten ist. Auch mobile Arbeit darf nicht krank machen. Deshalb sollte der Arbeitgeber mit den Beschäftigten beispielsweise über ergonomische Fragen oder Pausen sprechen und auch auf psychische Belastungen im Homeoffice - Stichwort Entgrenzung - hinweisen.

Bis wann wollen Sie sich mit der Union einigen?

Ich komme der Union jetzt weit entgegen. Wenn sie guten Willens ist, können wir rasch ein Gesetz machen. Ich will, dass das noch in diesem Jahr gelingt. Denn das schafft endlich Rechtssicherheit für Arbeitgeber und Arbeitnehmer.

Auch bei den neuen Regeln für die Fleischindustrie liegen Sie mit der Union über Kreuz. Sind Sie über das Ziel hinaus geschossen?

Nein. Das moralisch verwerfliche System der Ausbeutung in der Fleischindustrie, das in der Pandemie auch noch zu einem Gesundheitsrisiko für viele Menschen geworden ist, muss beendet werden. Dazu hat sich die Koalition auf Eckpunkte geeinigt, und einen Gesetzentwurf im Kabinett beschlossen. Nun sollte dieses Gesetz auch von Bundestag und Bundesrat verabschiedet werden. Ich will das durchsetzen, alles andere wäre nicht akzeptabel.

Die Union will Änderungen beim Thema Leiharbeit und argumentiert, es gehe darum, dass die Unternehmen Auftragsspitzen in der Grillsaison bewältigen können. Hat die SPD kein Herz mehr für Grillfreunde?

Jedem schmeckt die Grillwurst ohne Ausbeutung besser. Ich halte das Argument der Fleischlobby für völlig aus der Luft gegriffen und vorgeschoben. Auftragsspitzen kann man auch durch Arbeitszeitkonten oder Befristung mit Sachgrund abfedern. Wegen meines Gesetzes muss niemand in Deutschland auf seine Bratwurst verzichten. Wenn Kollegen aus der Union das behaupten, folgen sie den Sirenenklängen der Lobbyisten und nicht den Fakten.

Sehen Sie Spielraum für einen Kompromiss?

Im Interesse des sozialen Fortschritts kann man immer mit mir reden, aber in der Sache sehe ich keine großen Spielräume. Kaum eine Branche umgeht so kreativ Gesetze wie die Fleischindustrie. Wenn wir jetzt Werkverträge verbieten, Leiharbeit aber nicht, dann werden die Sub-Unternehmen der Schlachtkonzerne eben zu Leiharbeitsfirmen umdeklariert und das ganze menschenverachtende Geschäftsmodell geht weiter. Deshalb ist es so wichtig, dass wir das lückenlos regeln. Wir müssen konsequent handeln.

Das Gesetz soll am 1. Januar in Kraft treten. Schaffen Sie das überhaupt noch?

Das ist noch möglich und dafür muss die Union mitziehen. Ich sehe keinen Grund dafür, warum wir jetzt noch warten sollten. Und ich glaube, die Menschen werden das auch nicht mehr akzeptieren. Die Empörung über die massenhaften Corona-Infektionen und die ausbeuterischen Zustände in der Fleischindustrie war groß, sie ist groß, und sie wird groß bleiben. Empörung allein ändert aber nichts. Man muss auch bereit sein, zu handeln.

Auch beim Lieferkettengesetz hakt es gewaltig. Bekommen Sie das mit der Union noch hin?

Beim Lieferkettengesetz geht es um die Einhaltung der Menschenrechte. Produkte dürfen nicht durch Kinder- oder Sklavenarbeit hergestellt werden. Wir wollen, dass die Unternehmen eine Sorgfaltspflicht beachten. Dabei wird kein Unternehmen überfordert, sondern je nach Größe unterschiedliche Anforderungen gestellt. Klar bleibt: Wir brauchen ein Lieferkettengesetz, das wirkt. Viele Unternehmen haben Angst, dass Sie Ihnen in der größten Wirtschaftskrise seit Jahrzehnten zusätzliche Haftungsrisiken aufbürden.

Und viele andere Unternehmen fordern ein Lieferkettengesetz – weil sie bereits heute auf Menschenrechte achten und dadurch keinen Wettbewerbsnachteil wollen. Ohne klare Rechtsfolgen kann das Gesetz nicht wirken. Ausbeutung darf in einer sozialen Marktwirtschaft kein Geschäftsmodell sein. Der Koalitionspartner sollte sich endlich einen Ruck geben. Das Thema ist zu wichtig, um unerledigt zu bleiben.

Blicken wir zum Schluss einmal auf das Wahljahr 2021: Die Grünen haben gesagt, sie kämpfen um Platz eins. Worum kämpfen Sie: Platz zwei?

Wir kämpfen dafür, dass die Sozialdemokratie stark genug wird, um die nächste Regierung anzuführen. Die Karten werden im nächsten Jahr ganz neu gemischt. Olaf Scholz soll Kanzler werden. Aber Sie trauen sich, anders als die Grünen, nicht, zu sagen: Wir kämpfen um Platz eins unter den Parteien. Ich weiß nicht, ob wir Platz eins erreichen werden. Aber ich weiß, dass die SPD – wenn wir deutlich stärker werden – eine Regierungskoalition anführen kann. Wir stehen in Zeiten des rasanten Wandels für wirtschaftliche Erneuerung, für faire Arbeit und soziale Sicherheit. Wir wollen keine wirtschaftliche und soziale Spaltung, wie sie in den Vereinigten Staaten in den vergangenen Jahren zu beobachten war.

Hat es Auswirkungen auf unseren Arbeitsmarkt, dass die Vereinigten Staaten jetzt einen neuen Präsidenten bekommen?

Ich freue mich, dass Joe Biden die Wahl gewonnen hat. Ich hoffe, dass er, anders als Trump, auf internationale Zusammenarbeit und nicht nationalistisch auf das Recht des Stärkeren setzt. Die Wahl von Joe Biden hat auch kurzfristig einen Effekt. Sie erhöht die Chance auf einen geregelten Brexit, weil Boris Johnson keine Rückendeckung mehr eines Präsidenten Trump hat. Das sorgt für wirtschaftliche Stabilität. Ein ungeregelter Brexit brächte für alle nur Risiken mit sich.

Als Minister sind Sie auch für die Bundesagentur für Arbeit zuständig. Was glauben Sie, in welchen Job ließe sich Donald Trump jetzt noch vermitteln?

Wirtschaftliche Not wird Donald Trump nicht leiden und noch dazu hat er das Renteneintrittsalter überschritten. Ich wünsche ihm also einen friedlichen Ruhestand.

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