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Ist Corona nach der Omikron-Welle vorbei?Vier Szenarien für den Herbst und Winter

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Das Ende der Pandemie wünschen sich viele herbei. Experten diskutieren verschiedene Szenarien.

  • Die Corona-Regeln sollen in Deutschland bis Mitte März deutlich gelockert werden.
  • Wie realistisch ist es, dass die Pandemie damit endgültig vorbei ist? Forschende haben vier Szenarien ausgemacht, die in Zukunft eintreten könnten – und in allen kommen spätestens im Herbst und Winter weitere Infektionswellen.

Ist es in wenigen Wochen wirklich so weit, dass wir in die alte Normalität von vor zwei Jahren zurückkehren? Zumindest die Beschlussvorlage von Bund und Ländern sieht vor, in einem stufenweisen Vorgehen bis zum 20. März vorerst alle „tiefgreifenden Maßnahmen“ zurückzunehmen. Auch der Expertenrat der Bundesregierung spricht sich erstmals für bald mögliche Lockerungen aus.

Damit ist aber nicht plötzlich alles wieder wie vor Corona. Man könne nicht an einem „Zurück zur Normalität“ festhalten, betonte etwa die britische Corona-Forscherin Prof. Christina Pagel vom University College London vor wenigen Tagen auf ihrem Twitter-Account: „Wir haben in unserer Bevölkerung eine neue Krankheit, die ansteckender und schwerer ist als die Grippe. Die Welt vor 2020 existiert nicht mehr – wir wollen es vielleicht, aber sie tut es einfach nicht.“

So sieht das auch Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach. „Wir haben ein zusätzliches Virus, das nicht mehr weggehen wird, ansteckender und gefährlicher als die Grippe ist“, sagte er am Sonntag in der ARD-Talkshow „Anne Will“. Die Idee, dass es nach Omikron immer harmloser wird, demnächst eine Erkältungskrankheit – das sei „eine ganz gefährliche Legende“. „Das mag in 30, 40 Jahren so sein – aber nicht für die nächsten zehn Jahre“, betonte Lauterbach.

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Er verwies dabei auf neuere Forschungsergebnisse britischer Wissenschaftler. Die „Scientific Advisory Group for Emergencies“ (SAGE) hatte Mitte Februar mögliche Szenarien für die nähere Zukunft mit dem Coronavirus ausgemacht. Bei allen tauchen in den kommenden zwölf bis 18 Monaten neue Varianten auf. Auch der Immunschutz in der Bevölkerung ist entscheidend.

„Keines dieses Szenarien ist gut“, sagte Lauterbach. „Wir müssen uns einfach mit der Wahrheit konfrontiert sehen. Die Welt ist durch das Coronavirus etwas schlechter geworden.“ Konkret sind es vier Szenarien, welche die Forschenden in ihrem Bericht für realistisch befunden haben – bezogen auf Großbritannien:

1) Das Best-Case-Szenario

Es gibt im kommenden Herbst und Winter eine schwache Corona-Welle mit weniger Schwerkranken als noch bei Delta und Omikron. Eine oder mehrere neue Varianten tauchen in den kommenden Monaten auf. Sie bringen aber keine problematischeren neuen Eigenschaften mit. Sie sind weder übertragbarer noch tödlicher. Der Immunschutz nach Impfung und/oder Infektion wird nur minimal umgangen. Es gibt nur noch wenig Ausbrüche, verursacht durch eine mit der Zeit abnehmende Immunität in der Bevölkerung und die neuen Varianten. Impfstoff-Booster bleiben aber wirksam und werden jährlich den besonders Gefährdeten für schweres Covid-19 angeboten, um ihren Immunschutz zu verbessern. Auch Medikamente bleiben wirksam.

2) Der optimistische Verlauf

Im Herbst und Winter entwickeln sich Infektionswellen, die mal eher Omikron, mal eher Delta ähneln. Weltweit nimmt die Immunität unter den Menschen zu, was generell zu weniger schweren Covid-19-Verläufen führt. Infektionswellen gibt es aber weiterhin wegen einer mit der Zeit stark sinkenden Immunität und/oder des Auftauchens neuer Varianten. Es gibt gute Jahre, wenn die Variante Omikron ähnelt. Es gibt aber auch schlechte Jahre, wenn die zirkulierende Variante eher Delta ähnelt. So oder so gibt es saisonale Infektionswellen im Herbst und Winter mit vielen Ansteckungen.

Von Tod und schweren Verläufen sind dann vor allem Ältere, Menschen mit Vorerkrankungen und Menschen ohne vorherigen Immunschutz durch Impfung/Infektion getroffen. Impfstoffe werden regelmäßig aktualisiert, die besonders Gefährdeten jedes Jahr angeboten werden. Auch freiwillige Schutzmaßnahmen wie Maske tragen bleiben bevölkerungsweit wichtig. Medikamente wirken nicht mehr ganz so gut.

3) Das pessimistische Szenario

Eine neue besorgniserregende Variante taucht plötzlich auf und verursacht eine große Infektionswelle, die auch schon im Frühjahr und Sommer entstehen kann. Vor allem Ungeimpfte, Ältere und Menschen mit erhöhtem Risiko erkranken schwer und sterben.

Immer wieder treten unvorhersehbar neue Varianten auf, weil die Inzidenz weltweit hoch bleibt und gleichzeitig die Immunität unter den Menschen zunimmt. Das kann auch mehrmals im Jahr passieren. Das Virus wird im Vergleich zu Omikron noch übertragbarer und umgeht den Immunschutz immer stärker, kann auch zeitweise so schwer krank machen wie noch in der Delta-Welle. Aktualisierte Impfstoffe und Infektionen bieten zwar weiterhin einen guten Schutz gegen Tod und besonders schwere Verläufe.

Aber immer wiederkehrende Infektionswellen mit vielen Ausfällen wirken sich beispielsweise in der kritischen Infrastruktur und auch im Schulalltag von Kindern aus. Jährlich muss ein Großteil der Bevölkerung mit angepassten Impfstoffen versorgt werden. Ein Großteil der Medikamente taugt nicht mehr. Zeitgleich zur Corona-Welle kann auch eine Grippewelle entstehen, das Gesundheitswesen wird stark belastet. Teile der Bevölkerung setzen auf freiwilliges Schutzverhalten in Phasen mit hoher Inzidenz, etwa mit Masken, Abstand, weniger Kontakten. Manchmal braucht es auch staatliche Maßnahmen.

4) Der Worst Case

Es gibt eine sehr starke Infektionswelle mit zunehmend schweren Verläufen in breiten Schichten der Bevölkerung. Gesundheitlich am stärksten gefährdet sind Menschen ohne Impfschutz.

Weltweit entstehen mehrere neue Varianten, auch Rekombinationen aus bisherigen Virenstämmen. Möglich wird das durch die vielen Ansteckungen weltweit und generell zu wenig Geimpften auf dem Globus. Auch im Tierreich zirkuliert der Erreger und entwickelt sich weiter. Nicht alle Varianten sind gleichermaßen besorgniserregend. Aber einige entziehen sich deutlich dem Immunschutz durch Impfung und Infektion. Das Virus entwickelt auch neue Strategien, um Menschen krank zu machen. Auch Jüngere könnten schwerer erkranken und sterben, womöglich auch mit langfristigen gesundheitlichen Folgen.

Mindestens einmal im Jahr muss die Gesamtbevölkerung mit einer an Varianten angepassten Impfung versorgt werden. Bestehende Medikamente funktionieren nicht mehr gut. Denkbar ist auch, dass bisherige Tests nicht mehr so gut funktionieren. Es gibt gesellschaftliche Konflikte, freiwillige Maßnahmen wie Maske tragen und Kontaktreduktion fehlen weitgehend. Es braucht erneut viele staatlich vorgegebene Maßnahmen, um das Virus einzudämmen.

Auch in Deutschland: Corona-Wellen im Herbst denkbar

Ähnliche Szenarien wie in Großbritannien diskutieren Fachleute auch für Deutschland. So plädiert der Expertenrat der Bundesregierung dafür, sich auf weitere Wellen in der Zukunft vorzubereiten. Wie lange die mit dem Abflauen der Omikron-Welle eingeläutete neue Phase der Pandemie ab März anhalten wird, ist dem Gremium zufolge von zahlreichen Faktoren wie der Impfquote und der Verbreitung neuer Virusvarianten abhängig und „kann daher nicht präzise vorhergesagt werden“, heißt es im neuesten Bericht.

„Spätestens im Herbst besteht das Risiko erneuter Infektionswellen“, schreibt der Expertenrat. Delta könne dann beispielsweise erneut zirkulieren und neue Infektionswellen auslösen. Nach bisherigen Erkenntnissen schütze eine Erstinfektion mit Omikron ohne Impfschutz auch nicht zuverlässig gegen Infektionen mit anderen Varianten. Welches Szenario am wahrscheinlichsten eintritt, ist nicht abzusehen. Es bleibt abzuwarten, wie sich das Virus weiterentwickelt.

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