Karl Lauterbach„Ich werde auch auf der Straße angepöbelt“

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Karl Lauterbach

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Der SPD-Politiker Karl Lauterbach hat am Sonntag einen Tweet beim sozialen Nachrichtendienst Twitter gepostet: »Erneut rollt eine Hasswelle über mich im Internet, mit Morddrohungen und Beleidigungen, die schwer zu ertragen sind.« Ein Gespräch mit dem in Köln lebenden Gesundheitsexperten über Hass im Netz, Morddrohungen und persönliche Konsequenzen daraus.

Was war der konkrete Anlass für Ihren Tweet?

Ich habe seit den Beschlüssen zur Verlängerung des Lockdowns und zur Festlegung des 35er Inzidenz-Genzwertes für Lockerungen spürbar mehr Mails und Briefe mit Beleidigungen und sogar Morddrohungen bekommen. Mir war auch nicht klar, wie stark mein Team inzwischen mit diesen Hassbotschaften und –postings im Internet beschäftigt ist. Überall im Büro liegen Briefwechsel mit der Polizei und Staatsanwaltschaften. Bisher haben meine Mitarbeiter versucht, mich davon abzuschirmen. Aber das geht gar nicht mehr.

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Was müssen Sie in den Mails und im Netz lesen?

Die ganze Palette des Hasses. Wüste Beschimpfungen, Drohungen und Aufrufe zur Gewalt gegen mich. Ich bin auch selbst in die einschlägigen Foren gegangen. So einen abgrundtiefen Hass, so eine verbale Brutalität, so eine Niederträchtigkeit und Verrohung habe ich bisher noch nicht erlebt. Das ist zutiefst verstörend.

Was ist am Schlimmsten für Sie?

Direkte Drohungen gegen mich sind übel genug. Aber es handelt sich in der Regel um Einzelne, die sie aussprechen. Hier kann man hoffen, dass sie das nie umsetzen. Doch Aufrufe zur Gewalt in Foren, etwa: „Findet sich hier niemand, der bereit ist, ihm mit dem Baseballschläger die Zähne zu richten“ - das ist extrem gefährlich. Die Wahrscheinlichkeit, dass ich jemandem begegne, bei dem das auf fruchtbaren Boden gefallen ist, ist ja nicht so klein.

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Wie erklären Sie sich die Zunahme des Hasses?

Diese Menschen sind extrem frustriert und wütend. Sie haben erwartet, dass sich das Leben durch die Impfungen und das bevorstehende Frühjahr jetzt wieder schnell normalisiert. Sie sehen den schleppenden Impfstart, sie verstehen nicht – oder wollen es nicht verstehen, warum die Virusmutationen eine große Gefahr sind und Lockerungen erst einmal verhindern.

Alles sogar nachvollziehbar. Aber woher kommt der Hass?

Zunächst einmal: Der weit überwiegende Teil der Reaktionen, die ich bekomme, unterstützen mein Eintreten für einen sehr vorsichtigen Kurs in der Pandemie. Aber es gibt vermehrt extrem Unzufriedene, darunter nicht wenige, die Beleidigungen, Drohungen und Gewalt als Mittel der politischen Auseinandersetzung betrachten.

Wird Ihnen nur online gedroht oder auch auf der Straße?

Ich werde auch auf der Straße mal angepöbelt. Das war im vergangenen Sommer mit dem Aufkommen der sogenannten Querdenker-Bewegung besonders schlimm, hatte aber zwischenzeitlich abgenommen. Und ja, es gab schon eine Situation, bei der ich Hilfe rufen musste. Aber ich möchte nicht detailliert darüber sprechen.

Wie hält man das aus?

Ich bin kein ängstlicher Mensch. Und ich halte einiges aus, denn ich bin ja schon einiger Zeit im Politikgeschäft. Ich habe mehr Respekt vor Corona als vor dieser Bedrohung. Aber natürlich bin ich wegen der Gewaltdrohungen vorsichtiger geworden und setze die Hinweise um, die mir bei einer Sicherheitsberatung gegeben wurden.

Zeigen Sie die Absender der Hassbotschaften an?

Das halte ich für meine Pflicht. Diese Menschen müssen gestoppt werden. Denn sonst ist der nächste dran, der unbequeme Wahrheiten ausspricht. Übrigens: Die Ermittlungsbehörden können die Leute leichter identifizieren, als es sich die Betroffenen vorstellen können.

Welche Konsequenzen hat die Hasswelle für Ihre Arbeit?

Ich weiß von Wissenschaftlern, die sich nach Drohungen im Netz deutlich vorsichtiger äußern. Das kann ich gut verstehen. Aber ich habe nicht vor, mich einschüchtern zu lassen. Diese Menschen werden mich nicht zum Schweigen bringen. Wie viele andere werde ich mich weiter lautstark dafür einsetzen, dass in dieser Pandemie so wenig Menschen wie möglich sterben oder dauerhafte Erkrankungen erleiden müssen.

Das Gespräch führte Tim Szent-Ivanyi

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