Karl Lauterbach im Interview„Im Herbst werden wir größere Probleme bekommen“

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Lauterbach Treppe RKI

Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD)

Berlin – Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) verteidigt im Interview die künftig teilweise kostenpflichtigen Bürgertests und warnt vor stark steigenden Infektionszahlen im Herbst. Mit neuen Lockdowns rechnet er allerdings nicht. Er spricht außerdem über die Situation der Pflegekräfte und seine bitterste Lehre aus der Corona-Pandemie.

Herr Lauterbach, Sie beschränken die kostenlosen Bürgertests. Was muss man vorlegen, um keine drei Euro bezahlen zu müssen? Zum Beispiel eine Bescheinigung des Pflegeheims, dass man dort jemanden besucht?

Karl Lauterbach: Das soll so unbürokratisch wie möglich und wenig missbrauchsanfällig laufen. Entweder man macht einen Test vor Ort in der Pflegeeinrichtung oder man legt eine Bescheinigung des Heims vor, dass dort Angehörige versorgt werden. Für Kleinkinder und Schwangere ist der Nachweis einfach. Und wer sich freitesten will, legt den PCR-Test vor.

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Bisher gab es anlasslose Tests. Warum müssen Sie überhaupt etwas ändern?

Wir wollen die Bürgertests zielgerichteter einsetzen als bisher, die Qualität steigern und Betrug eindämmen. Und natürlich geht es auch immer um den effektiven Einsatz von Steuergeldern. Im Durchschnitt hatten wir Ausgaben von über einer Milliarde Euro pro Monat. Das können wir uns in der absehbaren Haushaltslage im Herbst leider nicht mehr leisten. Es gab aber auch Testzentren, die über Tage keinen einzigen positiven Test gemeldet haben. Ganz offenkundig wurden die Tests also nicht optimal genutzt. Wir haben sehr viel Geld dafür ausgegeben, relativ wenig Corona-Fälle zu identifizieren. Das wollen wir ändern.

Geht es nicht eher um Betrugsbekämpfung bei den Testzentren?

Nein, nicht ausschließlich. Kostenlose Tests sollen ja weiterhin zum Einsatz kommen, wo sie den größten Nutzen haben. Aber wir wollen auch den Betrug unterbinden: Es wurden Tests abgerechnet, die nie gemacht wurden. Wenn es schärfere Abrechnungsvorschriften gibt, wird sich bei den Testcentern schnell die Spreu vom Weizen trennen. Dann steigt das Risiko, dass Betrug entdeckt wird. Und die Qualität der Tests steigt. Wir haben zu sehr darauf vertraut, dass es keinen großen Missbrauch geben würde. Die zuständigen Kassenärztlichen Vereinigungen haben auch die Kontrolle vernachlässigt.

Ende September laufen die Corona-Bestimmungen im Infektionsschutzgesetz aus. Ein Bericht des Sachverständigenausschusses soll am 1. Juli bei der Beurteilung der bisherigen Pandemiemaßnahmen helfen. Gutachten lassen sich immer so oder so interpretieren. Was wollen Sie?

Wir bereiten jetzt schon – völlig unabhängig vom Gutachten – eine neue Impfkampagne vor, sorgen für bessere Arzneimittelversorgung, bessere Pflege, mehr Daten aus den Krankenhäusern. Das ist Teil eines Trägergesetzes, das wir am Freitag in die Anhörung gegeben haben. Freigehalten haben wir darin Regeln für Masken, Abstand, 3G, 2G, Veranstaltungsauflagen und so weiter – das kann allerdings erst besprochen werden, wenn die Kollegen von der FDP das Gutachten gelesen haben.

Aber was wollen Sie? Soll es wieder eine Maskenpflicht geben?

Ich will den Verhandlungen mit Justizminister Marco Buschmann nicht vorgreifen. Er will das Gutachten erst bewerten. Ich bin sicher: Zu diesem Teil des Gesetzes werden wir uns schnell und geräuschlos einigen. Unser Bevölkerungsschutzgesetz wird aber ohnehin weit mehr umfassen als Verbote und Gebote für Bürgerinnen und Bürger, schon jetzt bereite ich einiges vor.

Was konkret?

Zunächst eine Art Pandemieradar, ein besserer Überblick über das Infektionsgeschehen. Dafür werden wir die Krankenhäuser verpflichten, tagesaktuell die Zahl der Corona-Patienten auf Intensiv- und Normalstationen zu melden. Bislang wissen wir nur, wie viele Betten in den Kliniken frei sind – und das mit Verspätung. Das ist zu wenig. Darüber hinaus werden wir stärker als bisher Infektions- und Durchimpfungsraten in Gesundheitseinrichtungen erheben. Und wir werden die Abwassersurveillance ausbauen. Daraus lassen sich Rückschlüsse aufs Infektionsgeschehen ziehen.

Und die Pflegeheime?

Die Pflegekräfte in den Heimen haben hervorragende Arbeit geleistet. Von dieser Erfahrung wollen wir profitieren. Die besten Ideen für Hygienekonzepte werden wir deshalb als bundesweit einheitliche Standards etablieren – als beste Standards für alle. Darüber hinaus werden wir die Heime verpflichten, für Hygiene, fürs Impfen und für die Arzneimitteltherapie Verantwortliche zu benennen

Impflücken müssen wir schließen. Die Behandlung mit Medikamenten muss früher beginnen. Das Pandemiemanagement in den Heimen soll nicht mehr nur vom zufälligen Engagement einzelner abhängig sein, sondern darf künftig bundesweite Standards nicht unterschreiten.

Baden-Württembergs Ministerpräsident Kretschmann warnt vor einem Beschluss erst im September und sagt, die Feuerwehr könne nicht erst Schläuche bestellen, wenn sie die Größe des Brandes kenne.

Wir werden viel früher fertig sein. Wir haben eine Sommerwelle. Das habe auch ich vorausgesagt. Der Einzelne kann sich schützen – durch freiwilliges Impfen und Masketragen. Im Herbst werden wir aber voraussichtlich einen deutlichen Anstieg der Fallzahlen der Varianten BA.4 und BA.5 haben. Wir werden dann große Probleme bekommen, auch mit schweren Verläufen und womöglich mit der Versorgung in Krankenhäusern. Um es einfach auszudrücken: Wir brauchen Winterreifen.

Schließen Sie einen Lockdown und Schulschließungen aus?

Beides wollen wir auf jeden Fall verhindern. Ich halte neue Lockdowns für sehr unwahrscheinlich. Auch Schulschließungen werden nicht nötig sein. Aber die Schulpolitik liegt in der Verantwortung der Länder.

Aber Sie wollen einheitliche Regelungen für Schulen und Kitas?

Ich hielte das für sinnvoll. Das müssen die Länder entscheiden. Einheitliche Maßnahmen sind aber besser. Wenn sich das pandemische Geschehen stark unterscheiden sollte, müssten die Maßnahmen natürlich regional angepasst werden.

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Rund 18,6 Millionen Menschen sind nicht geimpft. Wie lassen die sich noch erreichen?

Ich gehe davon aus, dass wir im September zwei neue angepasste Impfstoffe haben werden. Damit können wir jedem einen passenden Impfstoff anbieten.

Von welchem Alter an sollte man sich ein viertes Mal impfen lassen?

Von der Ständigen Impfkommission empfohlen ist die Impfung ab 70 Jahren. Aber auch schon im jüngeren Alter kann es zu schweren Verläufen kommen. Deswegen sollte man darüber nachdenken, sich bereits dann impfen zu lassen. Zugelassen ist der Impfstoff dafür. Ich selbst bin ein viertes Mal geimpft. Das schützt vor Ansteckung, vor schweren Verläufen und vor Long Covid.

Pflegekräfte haben nicht das Gefühl, dass sich die Politik ausreichend um sie kümmert.

Das ist richtig. Wir haben tatsächlich in der Vergangenheit deutlich zu wenig Geld ausgegeben für die Pflegekräfte. Sie sind unterbezahlt und bedürfen der Unterstützung. In der Regel ist es aber nicht die Bezahlung, die sie aus dem Beruf herausdrängt, es sind die Arbeitsbedingungen, die ständige Überlastung, die dazu führen, dass Pflegekräfte aufgeben, was zu weiterer Überlastung der Verbleibenden führt. Das ist eine Spirale nach unten. Wir werden noch vor dem Sommer Eckpunkte für ein neues Pflegeentlastungsgesetz vorlegen. Von den 300.000 Kräften, die die Pflege verlassen haben, käme potenziell wieder ein Teil zurück.

Was ist die bitterste Lehre aus dieser Pandemie?

Die sozialen Medien werden immer bedeutender. Leider sind sie auch der Nährboden für Hass, Falschinformationen und Verschwörungstheorien. Die Pandemie radikalisiert unsere Gesellschaft. Uns ist es nicht gelungen, die Sterblichkeit niedriger zu halten, als wir uns das vorgestellt hatten. Es wäre noch mehr möglich gewesen. Eine Riesenenttäuschung war, dass wir die allgemeine Impfpflicht nicht durchsetzen konnten. Jetzt kündigen sich neue Wellen an. Im Herbst werden wir größere Probleme bekommen. Die Impfpflicht hätte uns geholfen.

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