Klage gegen RusslandWarum die Ukraine vor den Internationalen Gerichtshof zieht

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Das Gebäude des Internationalen Strafgerichtshofs in Den Haag.

Die Ukraine schlägt nun auch auf juristischer Ebene zurück - und zieht gegen Russland vor den Internationalen Gerichtshof. Was will der Staat erreichen - und gibt es nun wirklich Konsequenzen für Russland? Wir beantworten die zentralen Fragen zum Verfahren.

Was ist der Internationale Gerichtshof?

Der Internationale Gerichtshof (IGH) ist das Hauptrechtsprechungsorgan der Vereinten Nationen mit Sitz in Den Haag (Niederlande). Er wurde 1945 mit der Charta der Vereinten Nationen (UN) - dem Gründungsvertrag - eingerichtet. 15 Richterinnen und Richter unterschiedlicher Nationen entscheiden über die Verfahren. Die Parteien, die sich im IGH gegenüber stehen, sind Staaten und nicht Einzelpersonen.

Wie bringt Ukraine die Klage vor den IGH?

Meist kommt der IGH zusammen, wenn beide Streitparteien die Gerichtsbarkeit anerkennen. Das ist aber nicht nötig, weil die Ukraine ein juristisches Schlupfloch nutzt, um Russland vor Gericht zu bringen: Russland und Ukraine haben beide die UN-Völkermordkonvention ratifiziert. Wenn Vertragspartner über die Auslegung der Konvention streiten, ist das IGH zuständig. Laut Ukraine ist das der Fall.

Warum genau klagt Ukraine Russland an?

Die Ukraine will die Rechtfertigung Russlands für den Angriffskrieg aushebeln: Denn Staatschef Wladimir Putin hatte seine Invasion mit einem Völkermord seitens der Ukraine gegen Russinnen und Russen in der Ostukraine gerechtfertigt.

Nun wolle die Ukraine hauptsächlich feststellen lassen, dass Russlands Behauptung aus der Luft gegriffen sei und jeglicher tatsächlicher Grundlage entbehre, sagte der Professor für Völkerrecht an der Universität Hamburg, Stefan Oeter, dem RedaktionsNetzwerk Deutschland (RND). „Weiterhin beschuldigt die Ukraine Russland, über seine mörderische Kriegführung selbst einen Genozid an den Ukrainern zu begehen.“ Die Ukraine hat einen Eilantrag gestellt, damit der IGH ein Ende des Angriffs anordnet. Russland müsse gestoppt werden, forderte der ukrainische Prozessvertreter Anton Korynewytsch am Montag. Russland verweigerte die Teilnahme an der Anhörung.

Wie sehen die Erfolgschancen der Ukraine aus?

Die ukrainische Partei hat gute Chancen, Recht zu bekommen. „Was die russische Führung in ihren Rechtfertigungsnarrativen von sich gibt, läuft auf eine Karikatur von Recht hinaus“, betonte Oeter. Das Narrativ bestehe durchgängig aus Scheinargumenten, die aus dem rechtlichen Kontext gerissen seien. „Russland hat im Grunde keine Argumente, mit denen es seinen unverhohlenen Aggressionskrieg rechtfertigen könnte“, sagte der Völkerrechtler weiter.

Was kann der IGH bewirken?

Urteile des Gerichts sind bindend. Doch das IGH besitzt keine Machtmittel, um einen unterlegenen Staat zu zwingen, das Urteil auch umzusetzen. „Vor den Internationalen Gerichtshof zu ziehen, ist also ein symbolischer Akt“, unterstrich Oeter. „Das Ziel der Ukraine ist, für mehr Aufmerksamkeit zu sorgen und Russland vor dem Gericht in die peinliche Situation zu versetzen, seine offenen Lügen erklären zu müssen.“ Die Ukraine wolle die Öffentlichkeit so weiter mobilisieren.

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Drohen Russland dann keine rechtlichen Konsequenzen?

Falls eine Partei sich nicht an eine IGH-Entscheidung hält, kann der UN-Sicherheitsrat aktiviert werden. „Er wird aber nicht handeln, weil Russland immer von seinem Veto-Recht Gebrauch machen wird“, erklärte Völkerrechtsexperte Oeter. Also kann Russland davon ausgehen, ohne rechtliche Konsequenzen davon zu kommen. Der öffentliche Schaden und der Druck auf den Westen, Russland zu stoppen, würde jedoch weiter zunehmen. Außerdem könnte das Urteil weitere Ermittlungen auslösen: Sollte der IGH feststellen, dass in der Ukraine ein Völkermord geschehen ist, wäre dies laut Oeter ein Fall für den Internationalen Strafgerichtshof.

Was ist der Internationale Strafgerichtshof?

Zwar sitzt der Internationale Strafgerichtshof auch in Den Haag, er hat aber eine anderes Ziel: „Beim Internationalen Strafgerichtshof geht es um individuelle Verantwortung von Personen in der Politik oder im Militär“, sagte Oeter. „Ein Beispiel: Die Ukraine ist jetzt schon dabei zu ermitteln, welche Kriegsverbrechen es seitens Russlands auf ihrem Gebiet gegeben hat.“

Was sagen Menschenrechtsorganisation?

Für Amnesty International ist klar, dass Russlands Einmarsch in die Ukraine mit zahlreichen Verstößen gegen das humanitäre Völkerrecht einhergeht. Generalsekretär Markus N. Beeko sagte dem RND: „Amnesty International hat dokumentiert, dass russisches Militär Wohngebiete und zivile Objekte wie Krankenhäuser oder Schulen angegriffen und dabei auch weit geächtete Streumunition eingesetzt hat.“ Bei diesen Angriffen seien auch Zivilpersonen und Kinder gestorben - das bewerte Amnesty als Kriegsverbrechen. „Russlands Einmarsch in die Ukraine ist ein eklatanter Verstoß gegen die Charta der Vereinten Nationen“, ergänzte Beeko.

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