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Koalition oder Kandidaten verhindernSo wählen Sie taktisch bei der Bundestagswahl

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Wahlplakate 2021 BTW

Wahlplakate zur Bundestagswahl

Berlin – Die demokratische Wahl kann so einfach sein: Jeder und jede gibt seine Erststimme den Kandidierenden, die er am liebsten im Parlament sehen will, und seine Zweitstimme der Partei, die seine Meinung und Interessen am besten vertritt.

Doch es gibt auch Wählen für Fortgeschrittene: Manchem ist es wichtiger, bestimmte Kandidaten zu verhindern, als für einen Lieblingskandidaten zu stimmen, wenn Letzterer ohnehin kaum Erfolgsaussichten hat. Andere finden keine Partei so überzeugend, dass sie sie um jeden Preis stärken wollen – sondern wollen stattdessen andere Parteien an der Macht verhindern. Was es über diese Art des taktischen Wählens für diese Bundestagswahl zu wissen gibt:

Kann man überhaupt taktisch wählen?

Der Klassiker des strategischen Wählens ist das Stimmensplitting zwischen Erst- und Zweitstimme. Lange hatten in vielen Wahlkreisen ausschließlich Kandidaten von CDU und SPD die Chance auf den Wahlsieg. Deshalb wählten viele, die mit der Zweitstimme für FDP oder Grüne votierten, für den Direktkandidaten, der ihnen zumindest etwas nähersteht. Eine Grünen-Wählerin stärkte also lieber eine Sozialdemokratin, die wenigstens eine Chance gegen den Christdemokraten hatte.

Alles zum Thema Armin Laschet

Funktioniert das auch bei Zweitstimmen?

Es gab immer wieder Wahlen, bei denen strategische Gründe entscheidend waren. Schon 1980 schafften es die neu gegründeten Grünen nicht in den Bundestag, weil viele ihrer Sympathisanten nicht riskieren wollten, dass der in linksliberalen Kreisen verhasste Unionskandidat Franz Josef Strauß Bundeskanzler würde.

Auch in jüngster Zeit spielte bei ostdeutschen Landtagswahlen Taktik eine große Rolle: Weil 2019 in Sachsen, Brandenburg und Thüringen die AfD Chancen hatte, stärkste Kraft zu werden, stimmten viele für die aussichtsreichsten AfD-Gegner: die Amtsinhaber, die so jeweils gewannen.

Wer könnte in diesem Jahr taktisch wählen?

Wer eine Partei nicht um ihrer selbst wählt, hat immer dieselben Ziele. Man will einen bestimmten Kandidaten verhindern – in diesem Jahr vielleicht einen Kanzler Armin Laschet, der in Umfragen lange deutlich weniger Zustimmung erfuhr als seine CDU. Oder man will eine bestimmte Koalition verhindern, wie derzeit etwa die CDU/CSU vor einer rot-rot-grünen Regierung warnt.

Denkbar wären aber auch Hoffnungen, dass es für Rot-Grün oder Schwarz-Gelb noch reicht (Letzteres ist sehr unwahrscheinlich). Laut Umfragen sind derzeit fünf Koalitionen möglich. Gemessen an den Koalitionsaussagen der Parteien lassen sich zumindest einige Tipps für taktische Wähler ableiten, die sich nur „das kleinste Übel“ aussuchen, um andere Ziele zu verhindern:

Armin Laschet als Kanzler verhindern

Neben CDU/CSU fallen für taktische Wähler mit diesem Ziel vor allem FDP und Grüne aus der Auswahl. FDP-Chef Lindner träumt von Schwarz-Gelb und hofft auf Jamaika mit Union und Grünen. Für eine Ampel mit SPD und Grünen fehlt ihm dagegen die Fantasie, sagt er.

Die Grünen wiederum sind für Schwarz-Grün längst genauso offen wie für Rot-Grün, auch wenn die Parteichefs Letzteres bevorzugen. Einen Kanzler Laschet würden sie aber in einer schwarz-grünen oder Jamaika-Koalition ebenso wählen wie Lindner.

Eine Fortsetzung der GroKo ist dagegen sehr unwahrscheinlich, weil die SPD schon in die aktuelle nur unter Schmerzen einzog. Insofern ist SPD wählen die drittbeste Option gegen Laschet – nach einer Stimme für Linke oder AfD.

Olaf Scholz verhindern – oder Annalena Baerbock

Das ist laut Umfragen kniffliger. Nahezu ausgeschlossen ist, dass die Union innerhalb der GroKo zum Juniorpartner wechselt. Bei einer Niederlage geriete in der CDU so viel ins Rutschen, dass sie wohl freiwillig zur Erneuerung in die Opposition zöge. Das macht auch die Optionen Kenia (SPD, Union, Grüne) und Deutschland-Koalition (SPD, Union, FDP) extrem unwahrscheinlich.

Grüne und Linke können sich dagegen gut vorstellen, Scholz zum Kanzler zu wählen – und FDP-Chef Lindner, nicht schon wieder aufs Regieren zu verzichten. Selbst AfD zu wählen könnte Scholz helfen – vorausgesetzt, man war zuvor Unionswähler und sorgt so für die entscheidenden fehlenden Stimmen, wenn es zwischen CDU/CSU und SPD sehr knapp wird. Die Grünen liegen derweil in Umfragen auf Platz drei. Wer Baerbock nicht als Kanzlerin will, kann also beruhigt Union oder SPD wählen.

Rot-Rot-Grün verhindern

Gegen eine Koalition mit der Linken ist leicht zu stimmen. Obwohl Scholz sie nicht klar ausschließt, gehen alle direkt und indirekt Beteiligten davon aus, dass jede andere Koalition dem „Linksbündnis“ vorgezogen würde.

Eine starke SPD, mit der es für Rot-Grün reicht, hilft also ebenso gegen Rot-Rot-Grün wie eine starke FDP und starke Grüne. Auch wer CDU/CSU stärkt, wendet R2G ab. Eine starke AfD macht dagegen alle Zweierbündnisse unwahrscheinlicher – und dadurch R2G ein bisschen wahrscheinlicher.

Jamaika verhindern

Denkbar ist, dass klassische, also eher linksgeneigte Grünen-Wähler, die Ökopartei noch ganz gut finden – nicht aber die Vorstellung, mit einer Stimme für die Grünen Laschet und Lindner an die Macht zu hieven. Für sie ist eine Leihstimme an die SPD sinnvoll: Scholz wird ziemlich sicher die Grünen brauchen, um Kanzler zu werden.

Ampel verhindern

Für noch linkere Grüne mag es nicht reichen, Laschet zu verhindern – und auch Lindner als Vizekanzler einer Ampel könnte so abschreckend sein, dass das gegen die Wahl von SPD und Grünen spricht. Die müssen sich wohl eingestehen, dass sie bei der Linken am besten aufgehoben sind. Sie können dann wahlweise auf gute Oppositionsarbeit oder Rot-Rot-Grün hoffen.

Denkzettel wählen

Wenn alle Parteien mit allen könnten, sind viele Wähler frustriert – und neigen dazu, eine Partei zu wählen, die auf keinen Fall in eine Regierung strebt, sondern zur Fundamentalopposition antritt. In diesem Fall ist die Partei der Wahl für alle am rechten Rand die AfD, mit der niemand koalieren wird, und am linken Rand Die Linke.

Denn es spricht wenig dafür, dass bei einem klaren Wahlsieg der SPD keine andere Option aufgeht als R2G – oder dass Scholz sich als Zweitplatzierter von R2G ins Kanzleramt wählen ließe. Der Preis dafür ist freilich eine Jamaika-Koalition.

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Als Protest gilt manchem auch die Wahl einer „sonstigen“ Partei. Das ist am heikelsten: Man kann einerseits einer aufstrebenden Kraft über die 5-Prozent-Hürde helfen – so verfehlte die AfD diese beim ersten Anlauf extrem knapp. Dieses Mal haben die Freien Wähler bei einigen Landtagswahlen von sich reden gemacht und sind im Aufwind. Andererseits besteht das Risiko, dass es die fragliche Kleinpartei nicht in den Bundestag schafft – und dann kein Politiker mehr den Protest bemerkt.

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