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Kölner GrünerSo arbeitet Sven Lehmann als Deutschlands erster Queer-Beauftragter

Lesezeit 7 Minuten
Sven Lehmann MdB

Der Kölner Sven Lehmann (Die Grünen) ist neuer Queer-Beauftragter der Bundesregierung.

Köln/Berlin – Sein Amt ist erst wenige Tage alt - seine To-Do-Liste aber schon ziemlich lang. Die Abschaffung des umstrittenen Tanssexuellengesetzes steht beispielsweise drauf - und zwar ganz oben. Auch eine Gleichstellung von queeren Familien mit Kindern habe höchste Priorität. Und dann wäre da auch noch die Bildungsarbeit in Schulen - damit das Schimpfwort „schwule Sau“ endlich vom Schulhof verschwindet.

Die Pläne von Sven Lehmann sind ehrgeizig. Zumindest ehrgeiziger als die der Vorgängerregierung, wenn es um Politik für etwa homosexuelle, transsexuelle oder intersexuelle Menschen geht. „Mit der Union in der Regierung war in den letzten 16 Jahren leider vieles nicht möglich“, beklagt Lehmann gegenüber dem RedaktionsNetzwerk Deutschland (RND). Das könne sich jetzt ändern. Aber: „Es gibt viel zu tun.“

Lehmann ist seit Anfang Januar der neue Queerbeauftragte der Bundesregierung. Ein Amt, dass es zuvor gar nicht gab. Höchstpersönlich soll sich der Grünen-Politiker jetzt um die Rechte von Menschen kümmern, die nicht heterosexuell sind und deren Geschlecht nicht mit dem übereinstimmt, was in ihrem Geburtenregister steht - der Sammelbegriff dafür heißt queer.

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Jahrelanges Engagement

Sein eigenes Coming-Out hatte Lehmann mit 22 Jahren. Heute, 20 Jahre später, engagiert sich der 42-Jährige aktiv für queere Themen.

In der Bundestagsfraktion seiner Partei war Lehmann in der vergangenen Legislaturperiode Sprecher für Sozialpolitik und zusammen mit Ulle Schauws Sprecher für Queerpolitik. Hier forderte er etwa einen „Regenbogen-Rettungsschirm“ für queere Vereine, Verbände und Organisationen in der Corona-Pandemie, was ihm eine Ehrung der Aidshilfe Köln und des schwulen Gesundheitszentrums Checkpoint einbrachte.

Inzwischen ist Lehmanns Einfluss auf die Politik deutlich gewachsen. Das Amt des Queerbeauftragten ist hochoffiziell - und kommt mit vielen neuen Aufgaben daher.

Was macht ein Queerbeauftragter?

„Trotz der Ehe für alle, sind wir noch weit davon entfernt, dass alle Menschen in Deutschland frei, sicher und selbstbestimmt leben können“, beklagt Lehmann. Hasskriminalität, Hetze und gerade auch digitale Gewalt gegen Lesben, Schwule, Bisexuelle, trans- und intergeschlechtliche Menschen seien noch weit verbreitet. Hinzu kämen diskriminierende Gesetze, die vielen queeren Menschen noch immer das Leben schwer machten.

Die Zuständigkeiten für diese Probleme lägen allerdings bei der Bundesregierung in verschiedenen Fachressorts, wie Lehmann erklärt. Die Aufgabe des Queerbeauftragten beschreibt er daher als eine Art Vermittler zwischen diesen Ressorts. Seine Aufgabe sei es, die queerpolitischen Vorhaben aus dem Koalitionsvertrag innerhalb der Regierung zu koordinieren und schließlich auf den Weg bringen.

Zudem versteht sich Lehmann als Vermittler zwischen der Regierung und den Verbänden der Zivilgesellschaft. Und schließlich käme noch eine aufklärende Aufgabe hinzu: „Ich möchte in der Öffentlichkeit für noch bestehende Diskriminierungen sensibilisieren und mich für eine offene Gesellschaft einsetzen, in der queere, aber auch alle anderen Lebensweisen akzeptiert werden.“

Das Amt des Queerbeauftragten habe man sich aus dem Ausland abgeguckt - schließlich gebe es viele Länder, die bereits weiter seien als Deutschland. „Es gibt beispielsweise in Großbritannien, den USA oder auch Italien vergleichbare Ämter, oft als Sondergesandte der Regierungen“, erklärt Lehmann. Einen Austausch mit Kolleginnen und Kollegen aus anderen Ländern habe es schon gegeben.

Lehmanns erste Amtshandlungen

Doch was genau plant der neue Queerbeautragte nun zu seinem Amtsantritt? Laut Lehmann haben insbesondere zwei Themen Priorität: „Aktuell ist es so, dass Kinder, die in Ehen mit zwei Müttern geboren werden, erst von der zweiten Mutter adoptiert werden müssen, während der Mann in heterosexuellen Ehen selbstverständlich und automatisch als Vater anerkannt wird. Das wollen wir gleichstellen.“

Auch die Abschaffung des Transsexuellengesetzes stehe weit oben auf der Liste. Bei diesem Gesetz handelt es sich um eine Rechtssprechung aus den Achtzigerjahren. Um Vornamen und Geschlecht zu ändern, muss eine transsexuelle Person beim Gericht einen Antrag stellen und dabei zwei Gutachten von zwei verschiedenen Sachverständigen für ihr Vorhaben vorlegen. Die Richterin oder der Richter entscheidet schließlich über eine Änderung. Das Verfahren ist sehr zeitintensiv und kostet viel Geld.

„Dieses Gesetz verletzt täglich die Würde des Menschen“, so Lehmann. Und es verursache „einen hohen Leidensdruck bei transgeschlechtlichen Menschen“. Schon in der vergangenen Legislaturperiode hatten etwa FDP und Grüne immer wieder eine Neuerung des Gesetztes gefordert - an dessen Stelle sollte ein Selbstbestimmungsgesetz treten. Eine Reform wurde innerhalb der Großen Koalition zwar auf den Weg gebracht, schließlich jedoch von der Union blockiert.

Bildungsarbeit in Schulen

Als zweite Amtshandlung will Lehmann einen bundesweiten „Aktionsplan“ vorlegen - gemeint ist damit eine Strategie zur Bekämpfung von Queerfeindlichkeit. In einigen Bundesländern gebe es solche Pläne bereits, wie Lehmann erklärt - aus diesen Ideen sollen verbindliche Maßnahmen für die kommenden Jahre entwickelt werden.

Konkret will Lehmann etwa Beratungsstellen für queere Menschen ausbauen. „Viele Beratungsstellen funktionieren maßgeblich nur dank der ehrenamtlichen Arbeit ihrer Mitglieder. Diese Orte sind aber überlebensnotwendig für viele Menschen und müssen ausgebaut und finanziell gesichert werden.“ Im Bundeshaushalt seien 70 Millionen Euro für den Aktionsplan vorgesehen.

Ein weiterer Plan: Die Förderung von Akzeptanz queerer Lebensweisen insgesamt. „'Schwule Sau‘ ist beispielsweise immer noch eins der häufigsten Schimpfwörter auf Schulhöfen“, beklagt Lehmann. „Hier braucht es schon früh mehr Erziehung und Bildung für Vielfalt in der Kita, in der Jugendarbeit und in den Schulen.“ Das gelte übrigens auch für andere Lebensbereiche - beispielsweise in der Pflege.

Schulungen für Mitarbeiter

„Mitarbeitende müssen dafür sensibilisiert werden, dass eine Person, die zum Beispiel lesbisch oder schwul ist, vielleicht besondere Lebenserfahrungen von Diskriminierung gemacht hat. Bis vor wenigen Jahrzehnten war es ja noch strafbar, wenn sich Männer lieben. Wenn dann ein Mann bei Einzug in eine Senioreneinrichtung gefragt wird ob er verheiratet ist und Kinder hat, kann es gut sein, dass er sich nicht traut zu sagen, dass er schwul ist und eine ‚Wahlfamilie‘ hat“, erklärt Lehmann.

Es sei wichtig in allen Bereichen des Lebens eine Sensibilität dafür zu schaffen, dass es nun mal unterschiedliche Lebensentwürfe gibt. Auch für die Schulung von Personal wolle man mit dem Aktionsplan Gelder zur Verfügung stellen.

Hohe Dunkelziffer an Straftaten

Und dann wäre da noch die Bekämpfung von Straftaten. Zuletzt hatte es im Jahr 2019 einen enormen Anstieg der Kriminalität gegen LGBTQ+-Personen gegeben - gegenüber zum Vorjahr stieg die Zahl der Angriffe um mehr als 60 Prozent. Die Zahl der Gewalttaten stieg sogar um mehr als 70 Prozent. Insgesamt wurden 564 politisch motivierte Straftaten aufgrund der sexuellen Orientierung verzeichnet. 2020 bewegten sich die Zahlen in ähnlichem Rahmen.

„Wir gehen hier von einer großen Dunkelziffer aus, da die Erfassung und Veröffentlichung von homo- und transfeindlichen Taten bisher noch nicht wirklich etabliert ist“, sagt Lehmann.

„Aber Homo- und Transfeindlichkeit sind in ganz Deutschland bittere Realität und das ist für uns ein klarer Handlungsauftrag. Die Regelung zur Strafzumessung und des Volksverhetzungsparagraphen müssen systematisch erneuert und homo- oder transfeindliche Motivgründe der Täter*innen explizit benannt werden. Nur so können wir LSBTI-feindliche Gewalt sichtbar machen und effektive Gegenstrategien entwickeln.“

Hoffen, dass die Union mitspielt

Ob alle von Lehmanns Wünschen war werden, ist allerdings fraglich. „Manche unserer Anliegen brauchen breite Mehrheiten in Bundestag und Bundesrat“, sagt der Queerbeauftragte. Dazu gehöre etwa die Erweiterung des Diskriminierungsschutzes im Grundgesetz. „Ich hoffe sehr, dass CDU und CSU hier zu konstruktiven Gesprächen bereit sind.“

Konkret geht es darum, den Artikel 3, Absatz 3 des Grundgesetztes mit dem Merkmal „sexuelle Identität“ zu ergänzen - und auch klarzustellen, dass das Merkmal Geschlecht auch trans- und intergeschlechtliche Menschen sowie nicht-binäre Personen schützt.

„Wir werden diese Grundgesetzänderung angehen, sind uns aber bewusst, dass die Stimmen der Ampel-Koalition allein für die erforderliche Zweidrittelmehrheit im Bundestag und Bundesrat nicht ausreichen“, so Lehman. Gleiches gelte für das Blutspendeverbot für Männer, die Sex mit Männern haben - auch dieses wolle man aufheben.

Grundsätzlich aber blickt Lehmann zuversichtlich auf die nächsten vier Jahre. „In der Queerpolitik ist endlich ein Aufbruch für Vielfalt, Selbstbestimmung und gleiche Rechte möglich. Wenn wir unsere Vorhaben durchbekommen, wird Deutschland lebenswerter für Alle sein“, so der Queerbeauftragte.

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