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Kommentar erste Sitzung des ParlamentsNeue Ära beginnt – alte Spielchen gehen weiter

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Blick ins Plenum bei der konstituierenden Sitzung des neuen Bundestags.

Berlin – Die konstituierende Sitzung des Parlaments zu Beginn einer neuen Wahlperiode ist ein guter Augenblick, in dem sich die Demokratie selbst feiern kann. Doch allzu viel Freude wollte die AfD an diesem Tag nicht aufkommen lassen. Wie schon vor vier Jahren torpedierten die Rechtspopulisten die Eröffnungssitzung des Bundestags mit Geschäftsordnungsanträgen.

Der Vorgang an sich ist Teil der Demokratie - wer die Geschäftsordnung bestimmt, nach dessen Regeln wird gespielt. Allerdings wollte sich die AfD das Recht festschreiben lassen, dass sie allein als Fraktion ein Misstrauensvotum gegen den Bundeskanzler einbringen kann. Damit hätten die Parlamentarier rechts außen im Plenum ein Instrument in der Hand, mit dem sie jederzeit den Parlamentsbetrieb für Stunden aus den Fugen heben und sich selbst in die Schlagzeilen bringen könnten. Nichts anderes will die AfD. Diese erste Machtprobe der AfD mit dem Rest des Parlaments zeigt, dass der Bundestag zwar eine neue Ära einleitet, die alten Spielchen aber fortgesetzt werden.

Mit Bärbel Bas zieht ein neuer Stil ein

Mit dem Wechsel von Wolfgang Schäuble (CDU) zu Bärbel Bas (SPD) an der Spitze des Bundestags zieht ein neuer Stil ein. Schäuble hat mit juristischer Beharrlichkeit und spitzer Rhetorik für Ordnung bei den Debatten gesorgt. Die Neue präsentierte sich an ihrem ersten Tag mit viel Bodenständigkeit, sonorer Stimme und Ruhe. Ihre erste Rede wird nicht als große Rede in die Geschichte eingehen. Aber ihre Botschaften waren klar: Jeder und jede einzelne der Abgeordneten stünden für „die Politik“, mahnte sie. Das war eine Aufforderung an alle Abgeordneten sich so zu benehmen, dass sich das Wahlvolk nicht erschüttert über das Sandkastenniveau im Parlament abwendet.

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So unterschiedlich sie auch sind, eines haben Schäuble und seine Nachfolgerin gemeinsam - den Wunsch nach einer Wahlrechtsreform. Beide sprachen sie sich überdeutlich dafür aus, dass das Parlament endlich die Schritte geht, die zu einer Verkleinerung des Bundestags führen. Die Chance dafür stehen nicht schlecht: Die größte Bremse in Sachen Wahlrecht war in der vergangenen Legislaturperiode die CSU. Mit der Mehrheit einer Ampelkoalition im Parlament wird nun aber auch die SPD Farbe bekennen müssen, ob sie tatsächlich bereit ist, auf ein Übermaß an Ausgleichs- und Überhangmandaten zu verzichten.

Der neue Bundestag hat 736 Abgeordnete. Mit dieser Größenordnung ist das Parlament an der Grenze der Arbeitsfähigkeit. Schon die Wahl des kompletten Bundestagspräsidiums hatte Überlänge. Inhaltliche Funktionen der Parlamentarier müssen geteilt und auf mehrere Köpfe verteilt werden, damit alle irgendwie etwas zu tun bekommen. Dafür werden Abstimmungsprozesse langwieriger. Ein solches XXL-Parlament ist nicht nur für die Steuerzahlerinnen und Steuerzahler teuer, es ist auch weniger effektiv als mit gut 100 Abgeordneten weniger.

Merkel schaut von der Tribüne aus zu

Neu ist auch, dass voraussichtlich erstmals in der Geschichte drei Fraktionen die Kanzlermehrheit sichern werden. Im neuen rot-gelb-grünen Stil applaudierten sich die möglichen Koalitionäre gegenseitig eifrig. Doch bei allen guten Umgangsformen miteinander müssen SPD, Grüne und Liberale noch einen weiten Weg zurücklegen, um tatsächlich in dem angestrebten Ampel-Bündnis zueinander zu finden. Der perfide Antrag der AfD, sich die Möglichkeit zur Beantragung eines Misstrauensvotums zu sichern, hat auch den Hintergrund, immer wieder die Stabilität eines solch unerprobten Regierungsbündnisses auszutesten.

Die Kanzlerin schaute schon an diesem Tag nur noch von der Tribüne aus zu - ein Symbolbild für das Ende der Ära Merkel. Sie wird nicht mehr im Plenum Platz nehmen. Ein neues Zeitalter hat begonnen.

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