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Kommentar zu „taz“ und SeehoferPressefreiheit ist keine Frage des Geschmacks

Lesezeit 3 Minuten
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Die „taz“ in der Kritik

  • Die „taz“ steht weger einer Kolumne in der Kritik, in der die Autorin Hengameh Yaghoobifarah Polizisten indirekt mit Müll vergleicht.
  • Polizisten sind empört, und Innenminister Horst Seehofer droht mit einer Anzeige.
  • Dies ist aus mehreren Gründen ein Fehler. Ein Kommentar zu Pressefreiheit, Satire und Volksempfinden.

Berlin – Die Kolumnistin der „taz“, Hengameh Yaghoobifarah, hat eine missglückte Kolumne geschrieben. Sie vergleicht darin Polizisten indirekt mit Müll. Das ist im Zorn geborener Unflat mit wenig Esprit. „taz“-Chefredakteurin Barbara Junge äußerte ihr Bedauern, die Redaktion diskutiert heftig, Polizeifunktionäre sind entsetzt. Dann kam Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) – und machte aus dem Vorgang einen politischen Skandal: Er kündigte an, die Autorin zu verklagen. Als Minister. Nicht als Privatperson.

Was für ein Fehler. Seehofers Reflex offenbart nicht nur politische Überforderung und Instinktlosigkeit, sondern vor allem ein grundsätzliches Missverständnis von Pressefreiheit. Zulässig sollte sein, was der Regierung gefällt? Das erinnert an autokratische Staatenlenker wie Erdogan oder Orbàn. Der selbst ernannte „Erfahrungsjurist“ Seehofer schießt mit Kanonen auf Spatzen. Es ist ein Angriff auf die Grundfesten der Gesellschaft.

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Es ist in liberalen Gesellschaften unzulässig, persönlichen Geschmack zum Maßstab dessen zu machen, was Satire darf und was nicht. Ein Bundesinnenminister sollte das wissen. Gewiss: Am Tag nach den Krawallen in Stuttgart fühlt sich der oberste Dienstherr der Polizei bemüßigt, den Sicherheitsorganen den Rücken zu stärken. Und man kann den fraglichen Text ohne Zweifel als handwerklich misslungen bezeichnen. Grundidee und Pointe sind schwach, der pauschale Rückschluss „alle Polizisten sind böse“ ist billig und anbiedernd. Aber die Pressefreiheit schützt auch schlechte Kolumnen.

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Seehofers Anzeige hätte juristisch keine Chance

Natürlich gelten Strafnormen auch für Journalisten. Das Label „Satire“ allein schützt vor Strafverfolgung nicht. Die Attacke jedoch ist ein dumpfer populistischer Reflex – juristisch ohne jede Chance. Schon im Fall Jan Böhmermann gegen Erdogan spielte es rechtlich überhaupt keine Rolle, ob die Richter seinen Humor teilen oder nicht. Die Frage war, ob man Böhmermann den Vorsatz der Beleidigung nachweisen konnte. Antwort: Nein.

Die kochende Volksseele und die Verfassung sind aus guten Gründen nicht immer deckungsgleich. Hinzu kommt: Seehofer misst mit zweierlei Maß. Seit Jahren werden rassistische, volksverhetzende, zur Gewalt anstachelnde, demokratiefeindliche und offen rechtsradikale Äußerungen in diesem Land lauter. Von einer Anzeige Seehofers ist in diesen Fällen nichts bekannt.

Wenn aber eine freiberufliche linke Kolumnistin die Polizei angreift, fürchtet er um die Stabilität des Landes: „Eine Enthemmung der Worte führt unweigerlich zu einer Enthemmung der Taten und zu Gewaltexzessen, genauso wie wir es jetzt in Stuttgart gesehen haben.“ Das sind bemerkenswerte Worte von einem Mann, der sich gegen eine Zuwanderung in die deutschen Sozialsysteme einst „bis zur letzten Patrone“ wehren wollte. Und dem Text eine Mitschuld an den Stuttgarter Krawallen zu geben ist absurd.

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