Kommentar zu George FloydUrteil gegen Ex-Polizisten gibt USA Moment der Erleichterung

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Protest Columbus Floyd

Nach dem Urteil im Prozess um George Floyd versammeln sich Menschen in Columbus, Ohio.

Die Szene ist schon beim Zusehen kaum auszuhalten. Neun Minuten lang drückte der weiße Polizist Derek Chauvin dem gefesselt auf dem Boden liegenden Afroamerikaner George Floyd mit voller Kraft sein Knie auf den Hals, während dieser nach Luft schnappte, das Bewusstsein verlor und verstarb. Die schockierenden Bilder – festgehalten auf Handyvideos von Passanten und Aufnahmen von Überwachungskameras – haben nicht nur die USA, sondern die ganze Welt verstört, aufgewühlt und empört.

Das Urteil, das die zwölf Geschworenen in Minnesota nun gefällt haben, macht George Floyd nicht wieder lebendig. Aber es gewährt dem Schwarzen posthum keineswegs selbstverständliche Gerechtigkeit. Schuldig in allen drei Punkten der Anklage, lautet der einstimmige Spruch der Jury, nach dessen Verkündung in vielen Städten der USA am Dienstagabend lauter Jubel ausbrach: Ein weißer Polizist ist für die Tötung eines Afroamerikaners nicht nur angeklagt, sondern verurteilt worden, und er wird für viele Jahre ins Gefängnis wandern. Was eine Selbstverständlichkeit sein sollte, passiert in den USA höchst selten. Schon jetzt kann man das Urteil daher historisch nennen.

Die meisten Opfer von Polizeigewalt sind nicht Weiße

Brutale Polizeigewalt ist in Amerika an der Tagesordnung – und überproportional häufig sind die Opfer keine Weißen. Es sind Menschen wie George Floyd, der ein schwieriges Leben geführt hatte, in seiner texanischen Heimat mit dem Gesetz in Konflikt kam, nach Minnesota zog, um ein neues Leben zu beginnen, immer wieder mit seiner Drogenabhängigkeit zu kämpfen hatte und am Ende in der Corona-Pandemie seinen Job als Türsteher einer Bar verlor. Menschen, die Hilfe brauchen und stattdessen plötzlich eine Dienstpistole am Kopf oder das Knie eines sadistischen Uniformträgers auf dem Hals haben.

Floyd Proteste

Menschen protestieren in Atlanta gegen Polizeigewalt und für Rechte von Schwarzen.

Der Anlass, der die tödliche Polizeiaktion vor zehn Monaten auslöste, war lächerlich: Der 46-Jährige soll eine Packung Zigaretten mit einem falschen 20-Dollar-Schein bezahlt haben. Er war unbewaffnet und widersetzte sich seiner Festnahme nicht – und trotzdem lag er eine gute Stunde später tot auf dem Asphalt. Der Vorfall war dann doch so unerhört, die Videos, auf denen man die ganze Polizeiaktion verfolgen konnte, so ungeheuerlich, dass der Tod rasend schnell zum nationalen Ereignis wurde.

"I can't breathe" (Ich kann nicht atmen), die letzten Worte des Opfers, wurden zum Protestruf einer breiten Bewegung. Überall in den USA gab es im vorigen Sommer Demonstrationen und Krawalle. Im ganzen Land prangen Gemälde von dem markanten Kopf des 1,93 Meter großen Hünen an den Wänden. George Floyd ist zum Symbol geworden für Missachtung, Diskriminierung und staatliche Gewalt, die Schwarze in den USA seit langem ertragen müssen.

Jury befindet schwere Schuld des Ex-Polizisten

Die Bedeutung des Urteils ist daher nicht zu überschätzen: Es sühnt auf der persönlichen Ebene ein Verbrechen. Aber mehr noch ist es ein politisches Signal, dass diese Gesellschaft dem Leben eines Schwarzen denselben Wert zubilligt wie dem eines Weißen. "Der Fall ist genau das, was sie gedacht haben, als sie das Video gesehen haben", gab der Staatsanwalt der Jury zu bedenken, während die Verteidigung versuchte, Floyds Tod mit abenteuerlichen Theorien mal auf dessen Herzprobleme, mal auf seinen Drogenkonsum und am Ende auf die Abgase des Polizeiautos zu schieben.

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Die Geschworenen haben sich davon nicht beeindrucken lassen: Sie sprachen Chauvin des Mordes zweiten Grades (etwa: schwerer Totschlag), des Mordes dritten Grades (etwa: Totschlag) sowie der Tötung zweiten Grades (etwa: fahrlässige Tötung) für schuldig. Das entspricht dem von der Staatsanwaltschaft geforderten Höchstmaß.

In den USA, wo für den Fall eines Freispruchs mit schweren Unruhen gerechnet worden war, macht sich landesweit Erleichterung breit. Am Ende hat der Prozess den besten denkbaren Ausgang genommen. Doch so unerhört der nun geahndete Tod von George Floyd war – so wenig außergewöhnlich ist der Fall des Ex-Polizisten Chauvin.

Das Gericht war kaum zusammengekommen, als vor zwei Wochen nur zehn Meilen entfernt der 20-jährige Schwarze Daunte Wright durch eine Polizeikugel starb. Sein Vergehen: ein abgelaufenes Nummernschild. Die Beamtin hatte mutmaßlich Elektroschocker und Pistole verwechselt. So wichtig das Urteil von Minneapolis ist: Die Probleme einer Polizei, die unzureichend ausgebildet, schlecht bezahlt und paramilitärisch ausgerüstet ist, sind damit nicht verschwunden.

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