Kommentar zu Nato-ErweiterungMan sollte Erdogans Basar-Mentalität nutzen

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Recep Tayyip Erdogan 

Massive Schlägel knallen auf dicke Felle: Davul heißt in der Türkei die an Riemen getragene große Trommel mit hölzernem Korpus. Seit Jahrhunderten verschafft sie orientalischen Marschmusikanten Aufmerksamkeit und Respekt. Die Trommeleien des türkischen Staatschefs Recep Tayyip Erdogan dienen dem gleichen Zweck. Die Türkei, tönt er, werde den Nato-Beitritt Schwedens und Finnlands blockieren, beide Staaten nämlich hätschelten kurdische „Terroristen“, und dies alles sei so unerträglich, dass Delegationen aus Schweden und Finnland erst gar nicht versuchen sollten, nach Ankara zu kommen, um ihn umzustimmen. Das hörte sich an wie ein Machtwort. Und es brachte Erdogan erstmal spontan Beifall beim heimischen Publikum. Doch die Welt dreht sich weiter.

Am Mittwoch zum Beispiel trifft Erdogans Außenminister Mevlüt Cavusoglu in New York seinen amerikanischen Amtskollegen Antony Blinken. Wenn die Supermacht USA zum Gespräch bittet, wird Ankara leise und hört genau zu, nicht nur aus Höflichkeit. Verhandlungen dieser Art sind auch in Erdogans Interesse. In Wahrheit geht es dem türkischen Staatschef nicht darum, den Nato-Beitritt Schwedens und Finnlands tatsächlich zu verhindern. Entscheidend ist für ihn eine ganz andere, öffentlich unausgesprochene Frage: Was ist für sein Land drin, wenn er am Ende ja sagt?

Man sollte die Türkei nicht unterschätzen

Man kann Erdogans Basar-Mentalität bedauern. Man kann sie aber auch nutzen. Töricht wäre es dagegen, nun die angehenden neuen skandinavischen Nato-Mitglieder gegen die Türkei ausspielen zu wollen. Gewiss, Finnland und Schweden sind zwei erfreulich starke Demokratien mit zwei erfreulich starken Armeen. Dies sollte aber niemanden dazu verleiten, nun die Türkei nur noch als lästig abzutun.

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Die Türkei ist ein zwar schwieriger, aber zugleich auch sehr wichtiger Partner im westlichen Bündnis. Nach den USA unterhält die Türkei die größten Truppenkontingente innerhalb der Nato. Und schon die geostrategische Lage am Eingang zum Schwarzen Meer verschafft der Türkei eine einzigartige Bedeutung. Es geht jetzt nicht um ein Entweder-Oder. Im Interesse aller Nato-Mitglieder, nicht zuletzt auch Deutschlands, liegt ein strategisches Sowohl-Als-Auch. Gesucht wird ein neuer Deal mit der Türkei, der die Nato parallel zur Norderweiterung auch nach Südosten hin noch ein Stück stärker macht als bisher.

Längst überfällig ist jetzt die Entwirrung eines über Jahre hinweg bedenklich gewachsenen Knäuels von immer neuen Misshelligkeiten im westlichen Bündnis. Mal nervte Erdogan seine Nato-Partner durch den Kauf russischer Luftabwehrsysteme. Mal nervten die USA aber auch die Türkei: Der Zugang Ankaras zu US-Kampfflugzeugen wurde gebremst, mehr Geld denn je floss in Militärbasen in Griechenland. Von solchen internen Verzicktheiten profitiert am Ende nur Russland.

Türkei steht wirtschaftlich unter Druck

Heute erkennen die 30 Nato-Staaten klarer als je zuvor: Sie haben tatsächlich einen gemeinsamen Feind. Und das beste Mittel zu dessen Abwehr liegt im Zusammenrücken, begleitet von einem intelligenten Geben und Nehmen.

Die USA könnten der Türkei den Wunsch nach neuen Kampfflugzeugen erfüllen, von F-16 bis F-35. Die EU könnte der Türkei bessere Marktzugänge verschaffen. Beides aber setzt auch Bewegungen in Ankara voraus: bei der Nordweiterung der Nato, bei der Abgrenzung zu Russland und nicht zuletzt beim Thema Menschenrechte. Die Türkei, geplagt von 70 Prozent Inflation, steuert im Jahr 2023 auf Präsidentschaftswahlen zu. Das Land steht vor mehrdimensionalen Herausforderungen, ökonomische Themen gewinnen von Tag zu Tag mehr Gewicht. Mit bloßen nationalistischen Paukenschlägen ist da auf Dauer nichts gewonnen.

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