Kommentar zu OfarimAlltäglicher Antisemitismus bleibt zu oft folgenlos

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Eingang zum Hotel Westin in Leipzig: Gil Ofarim erhebt Vorwürfe gegen einen Mitarbeiter.

Berlin – Der Vorgang ist nicht ganz klar, bezeichnend ist jedoch, dass ihn niemand für unmöglich hält. Der Musiker Gil Ofarim soll an einer Leipziger Hotel-Rezeption aufgefordert worden sein, seine Kette mit David-Stern abzunehmen - sonst gehe es für ihn hier nicht weiter. Der betroffene Mitarbeiter wehrt sich - er fühlt sich verleumdet. Jetzt werden Ermittler herausfinden müssen, was geschehen ist. Und das ist gut so. Wer jedoch meint, hier wird sinnlos die Antisemitismuskeule geschwungen, der weiß nicht, wie es Jüdinnen und Juden in Deutschland ergeht.

Drei Beispiele: Anfang September wurde ein jüdischer Student vor einer Hamburger Synagoge mit einem Spaten angegriffen und verletzt. Wenige Tage später kam es in Berlin beim Spiel des 1. FC Union gegen den israelischen Klub Maccabi Haifa zu antisemitischen Beleidigungen der Gäste. Am Dienstag sind in der NS-Gedenkstätte Auschwitz-Birkenau neun historische Gebäude mit judenfeindlichen Parolen beschmiert worden - auf englisch und deutsch.

Alltäglicher Antisemitismus bleibt oft folgenlos

Doch was hilft gegen Antisemitismus? Eigentlich genau das, was Ofarim getan hat: die Öffentlichkeit suchen und benennen, worum es geht. Dies zwang das Hotel, sich mit dem Fall und den Mitarbeitern auseinanderzusetzen. Und es schaltete sich die Polizei ein. Leider sind derartige Konsequenzen nicht normal. Der alltägliche Antisemitismus bleibt häufig folgenlos. Dazu zählen Beschimpfungen, Bedrohungen oder Handgreiflichkeiten. Ziele sind Erwachsene und Kinder.

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Es ist gut, wenn Prominente Flagge zeigen gegen Antisemitismus. Es ist gut, wenn Politiker, wie jetzt die EU-Kommission, Strategien zur Bekämpfung von Antisemitismus vorlegen. Es hilft, dass es in Behörden Beauftragte gibt, an die man sich wenden kann. Allein: Es reicht nicht. Nur mit Zivilcourage, konsequenter strafrechtlicher Verfolgung jeder Tat und politischer Bildung kann es gelingen, menschenfeindliches Verhalten aus der Gesellschaft zu verbannen.

Politische Bildung muss Antisemitismus in den Fokus nehmen

Bestürzung muss in aktive Unterstützung Bedrängter münden. Verbaler Hass und Hetze dürfen behördenintern nicht abgetan werden. Gleichzeitig muss die politische Bildung den Gegenwarts- und Zukunftsbezug des Antisemitismus in den Fokus nehmen.

Die hilflose Reaktion des Hotels - ein Banner, auf dem die israelische Fahne und islamische Motive zu sehen sind - zeigt, was alles im Argen liegt. Juden in Deutschland sind eben nicht automatisch Israelis, sie sind - wie du und ich - Teil der deutschen Gesellschaft. Letzteres trifft im Übrigen auch auf Muslime zu.

Solange wir uns jedoch nicht aktiv dem Problem des „alteingesessenen“ Antisemitismus stellen, der sich rasend schnell mit dem durch Flucht und Migration „importierten“ Judenhass sowie der zunehmenden Israel-Feindlichkeit paart, solange bleibt der Kampf gegen den virulenten Antisemitismus erfolglos.

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