Kommentar zum BundestagEinschüchterung von Abgeordneten ist Angriff auf Demokratie

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Reichstag Proteste Corona 181120

Demonstranten außerhalb des Reichstags, während der Verabschiedung des Infektionsschutzgesetzes

  • Bei der Verabschiedung des Infektionsschutzgesetzes am Mittwoch gelangten Demonstranten in das Parlamentsinnere.
  • Abgeordnete wurden beschimpft und eingeschüchtert.
  • Das ist ein Angriff auf unsere Demokratie. Ein Kommentar.

Der Begriff der „Bannmeile“ hat etwas Antiquiertes. Warum in einer offenen und demokratischen Gesellschaft ausgerecht im Umfeld der Parlamente kein Protest erlaubt sein sollten, erschließt sich nicht auf Anhieb. Wenn Parlamente die Herzkammern der Demokratie sind, müsste es ja eine Selbstverständlichkeit sein, dass in deren Nachbarschaft das Grundrecht auf Demonstrationsfreiheit gilt – oder?

Ganz so einfach ist es nicht. In jedem Protest steckt immer auch ein Stück Machtdemonstration. Von der legitimen Meinungsäußerung zur Einschüchterung oder gar Nötigung ist es von dort nur ein kurzer Weg.

Wenn das Reichstagsgebäude sprechen könnte, würde es berichten. Von dem Blutbad im Januar vor 100 Jahren, als Betriebsräte und Kommunisten das Parlamentsgebäude stürmen wollten und von Sicherheitskräften zusammengeschossen wurden. Die Väter und Mütter der jungen Weimarer Republik zogen daraus die Lehre, dass eine Demokratie ihre Institutionen schützen muss. Seitdem gibt es um Parlamente „Bannkreise“ und „Befriedete Bezirke“ in denen nicht protestiert werden darf.

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Versucht wird es trotzdem immer wieder, und manchmal gelingt es auch, wie die Ereignisse während der Verabschiedung des Infektionsschutzgesetzes am Mittwoch im Bundestag gezeigt haben. Man könnte es als Problem der Zugangsberechtigung abtun, dass Demonstranten in das Parlamentsinnere gelangt sind, wo sie Abgeordnete mit Schimpfwörtern belegten. Doch es ist weit mehr als ein technisches Versagen.

AfD ist verantwortlich für ungeheuerlichen Vorgang 

Dass Abgeordnete der AfD politisch Gleichgesinnte in das Parlament schleusen, wo diese auf Abgeordnete anderer Parteien losgehen und mindestens den Versuch der Einschüchterung unternehmen, ist ein in Wahrheit ungeheuerlicher Vorgang. Es ist keine Übertreibung, von einem Anschlag auf die Demokratie zu sprechen. Dass AfD-Fraktionschef Alexander Gauland seine Partei am gleichen Tag in der Plenardebatte als „offensichtlich einzige demokratische Fraktion in diesem Land“ bezeichnet, ist eine bodenlose Unverschämtheit.

Nie war der Befund eindeutiger als jetzt: Die Feinde der Demokratie sind längst in ihr Inneres vorgedrungen. Das gilt für den Bundestag genauso wie für die gesamte Gesellschaft. Wer sich die Menschen, die in Berlin gegen das Infektionsschutzgesetz protestierten, angesehen und ihre Bereitschaft erlebt hat, auch den größten Unsinn zu glauben, dem kann Angst und Bange werden.

Es sind normale Menschen aus der Mitte der Gesellschaft, die morgens Corona-Diktatur brüllen und abends zurück in ihr Reihenhäuschen fahren. Es deutet sich damit auch in Deutschland eine Entwicklung an, die in den USA schon lange zu beobachten ist. Fakten spielen in der politischen Auseinandersetzung keine Rolle mehr. Aus Diskurs wird Dauerempörung, aus politischen Gegnern werden Feinde. Am Ende steht die Spaltung der Gesellschaft. 

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