Kommentar zur Corona-KriseUnnötige Panikmache? Warum Juli Zeh völlig falsch liegt

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Schriftstellerin Julie Zeh

Juli Zeh gilt als eine der führenden Intellektuellen dieses Landes. Sie brilliert als Romanautorin ebenso wie als politische Denkerin. Nebenbei ist die in Bonn geborene 45-Jährige Mitglied der SPD sowie ehrenamtliches Mitglied des Landesverfassungsgerichts in Brandenburg. Eine derartige Verschränkung von freiem Geist und politischem Engagement ist selten in Deutschland.

Zehs jüngste Äußerungen in der “Süddeutschen Zeitung” zur Corona-Krise verstören allerdings. Denn sie sind sachlich falsch, moralisch fatal – und ja, in ihrer fehlenden Komplexität einer politischen Intellektuellen unwürdig.

In dem am Samstag erschienenen Interview sagt Zeh: “Es sind viel schlimmere Pandemien oder andere Katastrophen denkbar.” Überdies seien sich große Teile der Fachwelt darin einig, “dass eine sogenannte Herdenimmunität stattfinden muss, dass sich also 60 bis 70 Prozent der Bevölkerung infizieren müssen, bis die Pandemie abflaut. Das heißt, eine möglicherweise sinnvolle Alternative wäre gewesen, über sogenannte risikostratifizierte Maßnahmen nachzudenken. Man schützt dann hochgradig und gezielt die Risikogruppen, während man dem Rest der Bevölkerung erlaubt, sich zu immunisieren.”

Juli Zeh spricht von Bestrafungstaktik

Kurzum, Zeh konstatiert, dass die Pandemie gar nicht so wild sei. Von dieser Annahme ausgehend wirft sie Politikern mit “wenig Rückgrat” vor, gestützt auf “eine eskalierende Medienberichterstattung” Angst zu schüren und mithilfe einer “Bestrafungstaktik” Freiheitsbeschränkungen durchzudrücken.

Der eine oder andere profiliere sich als “starker Anführer”. Dabei kämen die Grundrechte unter die Räder. Das alles sei “eine Form von Politikversagen” und die Fortsetzung eines Trends der vergangenen Jahre, “ein apokalyptisches Szenario nach dem anderen auszurufen”. Gemeint ist offenbar die Klimakrise.

Das alles ist nicht nur starker Tobak. Gravierender und offenkundiger ist: Es stimmt einfach nicht.

Kühllaster vor Krankenhäusern

Zunächst einmal fragt man sich ja, ob die Schriftstellerin mal Zeitung liest oder die “Tagesschau” guckt. Wenn sie es tut, dann kann ihr nicht entgangen sein, dass in Italien und Spanien seit Wochen fast täglich bis zu 1000 Menschen an dem Coronavirus sterben – viele völlig allein und ohne dass Angehörige von ihnen Abschied nehmen können. Auch kann man in der “Tagesschau” sehen, wie Kühllaster in New York vor Krankenhäusern auffahren, weil die Zahl der Leichen steigt und steigt.

Im Übrigen ist zwar richtig, dass Experten Herdenimmunität für notwendig halten. Konsens besteht aber ebenso darin, dass sie so schnell nicht zu haben ist. Auch verschweigt Zeh die moralischen, rechtlichen und praktischen Probleme, die damit einhergehen. Denn hochgradig und gezielt die Risikogruppen “zu schützen”, bedeutet tatsächlich: die Alten und chronisch Kranken zu isolieren. Dabei haben diese nicht weniger Recht auf ein freies Leben als alle anderen. Ferner zeigen ja gerade die vielen Todesfälle in Alten- und Pflegeheimen, dass der Schutz der Betroffenen leicht gesagt, doch schwer zu machen ist.

Insofern ist die Behauptung, hier werde leichtfertig mit Angst und Drohungen gearbeitet, an den Haaren herbeigezogen. Das beweist nicht zuletzt der Blick in die Welt. Denn mittlerweile verfolgen alle Länder mehr oder weniger ähnliche Strategien wie Deutschland, allen voran jene, die dies anfangs partout nicht wollten und wie Zeh verharmlosten – vom US-amerikanischen Rechtsaußen Donald Trump über Großbritanniens Premier Boris Johnson bis zur spanischen Linksregierung unter Pedro Sánchez und Pablo Iglesias.

Spanien ist schlagendes Beispiel

Spanien ist ein schlagendes Beispiel dafür, was passiert, wenn man den Rat von Fachleuten in den Wind schlägt. Dort nämlich fanden am 8. März gegen deren Bitten und mit dem Segen der Regierung machtvolle Demonstrationen zum internationalen Frauentag statt. Diese Demonstrationen gelten heute als Beschleuniger der Pandemie und haben Spanien an den Rand einer Katastrophe geführt. Über all das hinweg zu argumentieren ist borniert und unverantwortlich.

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Jenseits der objektiven Seite fragt man sich nach der Lektüre des Zeh-Interviews nicht minder, was deutsche Politiker eigentlich subjektiv davon haben sollten, mit einem Shutdown die Republik lahmzulegen. Sicher, der eine oder andere wie Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU) mag sich als Held aufspielen wollen.

Doch der langfristige Schaden des Shutdowns übersteigt dessen womöglich kurz- und mittelfristigen parteipolitischen Nutzen bei Weitem – zumal der Erfolg keineswegs garantiert ist. Wenn es schlecht läuft, treibt die Corona-Krise die Wirtschaft ins Chaos, die Gesellschaft in die Verzweiflung und den Staat an den Rand des eigenen Versagens. Was das für die politischen Akteure bedeutet, weiß niemand, auch sie nicht.

Ideologisch statt intellektuell

Nebenbei bemerkt kann von einer eskalierenden Berichterstattung nicht die Rede sein. Vielmehr beklagte Deutschlands bekanntester Virologe Christian Drosten erst kürzlich, dass Journalisten weiterhin nach so nebensächlichen Dingen fragten wie dem CDU-Parteitag.

Gewiss, wem der demokratische Rechtsstaat am Herzen liegt, und das sollten wir alle sein, den lässt diese Krise aus ganz anderen als nur medizinischen, ökonomischen oder sozialen Erwägungen nicht schlafen. Sie hebelt immerhin binnen kurzer Zeit zumindest vorübergehend aus, was in Jahrzehnten an Freiheitsrechten erstritten worden ist. Das sieht nicht bloß Juli Zeh mit Grausen.

Trotzdem sollte eine Analyse der Wirklichkeit stets von eben dieser Wirklichkeit ausgehen. Daran fehlt es bei Zeh ganz und gar. Ihre Analyse offenbart weniger Intellektualität als ein stupendes Maß an Ideologie, die wie alle Ideologien an der Wirklichkeit zerbricht.

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