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Kommentar zur SPDDie letzte Chance der Sozialdemokraten

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Olaf Scholz 0905

SPD-Kanzlerkandidat Olaf Scholz

Die Frage, ob Olaf Scholz ein guter Kanzlerkandidat sein könnte, hat die SPD bereits 2016 diskutiert. Der damalige Parteichef Sigmar Gabriel hatte miese Beliebtheitswerte, der damalige Präsident des Europäischen Parlaments, Martin Schulz, galt bundespolitisch als unbeschriebenes Blatt. Warum nicht den Hamburger Bürgermeister nehmen, fragten manche, immerhin hatte Scholz in der Freien und Hansestadt zwei auch in der Höhe beeindruckende Wahlsiege vorzuweisen.

Hamburg ist nicht Deutschland, wer bei den Pfeffersäcken ankommt, funktioniert deshalb noch lange nicht im Rest des Landes – mit diesem Argument setzten sich die Gegner am Ende durch. Kanzlerkandidat wurde Martin Schulz, der erst einen kometenhaften Aufstieg und dann einen brutalen Absturz erlebte.

Vier Jahre später haben sich die Genossen dann doch für Scholz entschieden. Wegen seiner fachlichen Kompetenz, aber auch, weil sie keine personelle Alternative mehr hatten. Scholz hat in seinen vier Jahren Finanzminister und Vizekanzler an politischer Statur gewonnen, seine Umfragewerte sind ordentlich, als Krisenmanager in der Corona-Pandemie ist er praktisch täglich in Presse, Funk und Fernsehen unterwegs.

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Und trotzdem kommt sein Wahlkampf bislang nicht vom Fleck. Es gibt keine Begeisterung, kein Momentum, keinen Scholz-Zug.

Das allein muss noch nicht mal schlimm sein, ein solides aber stetiges Stimmenwachstum ist dem Kanzlerkandidaten mutmaßlich um einiges lieber als ein unkontrollierter Höhenflug – nur ist auch davon weit und breit nichts zu sehen.

Statt der Umfragezahlen wachsen die Zweifel in der SPD. Hatten die Scholz-Gegner der früheren Jahre womöglich doch recht? Ist der Mann aus Hamburg mit seinem spröden Charme und seinem trockenen Humor im Rest der Republik nicht vermittelbar?

Manches spricht dafür. Wenn Scholz in einer Talkshow sitzt, und er saß zuletzt in vielen, spult er seine Auftritte routiniert und fehlerfrei ab. Seine Professionalität ist hoch, seine Originalität aber leidet darunter. Selbst hauptberufliche Politikbeobachter tun sich mitunter schwer, Minuten nach einem Scholz-Auftritt die wesentlichen Aussagen zusammenzufassen.

Auch Kohl und Merkel waren keinen Entertainer

Andererseits legen die Deutschen traditionell mehr Wert auf die Kompetenz als auf den Unterhaltungsfaktor ihrer Kanzler. Anders wären die 16-jährigen Regentschaften von Angela Merkel und Helmut Kohl nicht zu erklären. Und die Kompetenz von Scholz ist unstrittig. Nicht mal seine Gegner bezweifeln, dass er Kanzler könnte. Für die Konkurrenten Annalena Baerbock und Armin Laschet gilt das umgekehrt nicht.

Scholz – den Vorwurf muss er sich gefallen lassen – hat es bislang nicht geschafft, die SPD nach oben zu ziehen. Das heißt aber noch lange nicht, dass er sie nach unten zieht. Es ist um einiges wahrscheinlicher, dass die Partei den Kandidaten bremst als umgekehrt. Viele Wähler sind unsicher, welche SPD sie mit ihrer Stimme am Ende wählen: Die von Olaf Scholz oder die des Vorsitzendenduos Saskia Esken und Norbert Walter-Borjans.

Die bisherige Inszenierung der SPD im Wahlkampf hat diese Zweifel nicht zerstreut – im Gegenteil. Zwar betonen die Genossen immer wieder, dass der Kanzlerkandidat in der Mitte der Kampagne stehen müsse. Bislang allerdings haben die beide Vorsitzenden jede Menge Raum für sich selbst in Anspruch genommen.

Geschlagene fünf Stunden musste der Kanzlerkandidat beim Parteitag am Sonntag warten, ehe er seine unter dem Strich gute Rede halten konnte. Die beiden Vorsitzenden hatten ihre Botschaften zu diesem Zeitpunkt bereits mehrfach platziert.

Hat Scholz trotz all dieser Probleme noch eine Chance im Rennen um die Kanzlerschaft?

Ja, die hat er. Die Volatilität in den Umfragen ist groß. Der Wahlkampf fängt jetzt erst an. Und die Aussage, dass die Wahl offen wie nie ist, stimmt mehr denn je.

Scholz hat die Nerven, sich treu zu bleiben

Entscheidend ist allerdings, dass Kandidat und Partei trotz ihrer schwierigen Lage die Ruhe bewahren. Scholz wird sich nie neu erfinden können, mit 62 Jahren wird aus ihm kein Knuddelbär und kein Menschenfischer mehr werden.

Er selbst wird das wissen, und er hat die Nerven, sich treu zu bleiben. Ob das für die Partei auch gilt, ist ungewiss. Es ist aber die einzige Chance, die der SPD noch bleibt. Wer jetzt die Nerven verliert, hat die Wahl schon verloren.

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