Kommentar zu Kramp-KarrenbauerStreit, den sich die EU nicht leisten kann

Lesezeit 3 Minuten
Neuer Inhalt

Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer (CDU)

Berlin – Ein großes Aufatmen ist durch die Welt gegangen, als klar war, dass in den USA künftig ein anderer Präsident das Sagen haben wird. Schon allein die Aussicht auf einen anderen Umgangston und mehr Verlässlichkeit lässt an neue Zeiten denken, auch wenn dieses andere das eigentlich Normale ist.

Und dann passiert das: Deutschland und Frankreich zerstreiten sich über die Sicherheitspolitik. Die deutsche Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer greift einen Begriff des französischen Präsidenten Emmanuel Macron auf und spricht von einer „Illusion einer europäischen strategischen Unabhängigkeit“. Macron koffert zurück, das sei „eine Fehlinterpretation der Geschichte“. Kramp-Karrenbauer widerspricht.

Sprachlosigkeit und Eitelkeiten

Hätte Kramp-Karrenbauer nicht ihren Rückzug als CDU-Chefin erklärt und wäre sie damit noch eine potenzielle künftige Kanzlerin – es brauchte schleunigst den Einsatz von Mediatoren, um das so mühsam gehegte deutsch-französische Verhältnis nicht vollends in eine öffentliche Machtprobe abgleiten zu lassen.

Es ist ja bereits Warnsignal genug, dass ein Präsident sich so explizit mit Aussagen einer Ministerin eines anderen Landes befasst – seine Ansprechpartner sind schließlich die Staats- und Regierungschefs, also die Kanzlerin.

Unterschiedliche Interessen

Auch von der hat sich Macron allerdings schon hängen gelassen gefühlt, weil sie seine Reformvorschläge für die EU so lange einfach in der Luft hängen ließ. Im Verteidigungsbereich hat Macron Schwierigkeiten mit den strengeren deutschen Rüstungsexportrichtlinien, die zum Beispiel die Kooperation beim Bau eines europäischen Kampfflugzeugs erschweren.

Unterschiedliche Interessen und Ideen können befruchtend wirken. Wenn Sprachlosigkeit, Eitelkeiten und Profilierungsdrang hinzukommen, wird die Mischung aber ungenießbar.

Eine Chance, keine Lücke

Das können sich weder Deutschland und Frankreich noch die EU leisten. Sie müssen so einig wie möglich auftreten – erst recht, wenn sich in den USA die Macht neu sortiert. Wenn gleichzeitig China mit mehreren Asien-Pazifik-Staaten die größte Freihandelszone der Welt begründet, durch die sich die globale Wirtschaft noch mal ganz neu ordnen wird.

Das gilt auch für die nationale Ebene: Es hilft wenig, wenn Ministerien Schönheitswettbewerbe um die Gunst von Partnerländern veranstalten. Abstimmung ist auch hier das Zauberwort, sonst wird der schönste New-Deal-Vorschlag vom Adressaten abgeheftet im Ordner für unschlüssige Absender – nicht gerade das Beste, wenn man etwas erreichen will.

Abwendung der USA

All diese Schubsereien verdecken die zentrale Frage. Es geht ja gar nicht mehr darum, ob sich Europa eigenständiger positionieren muss. Die Abwendung der USA von Europa, die Hinwendung zum pazifischen Raum hat bereits vor Donald Trump begonnen. Das lässt auch sicherheitspolitisch neue Räume wachsen.

Europa sollte sie nicht als Lücken begreifen, sondern als Chance, unabhängiger von den USA zu agieren. Es ist nicht nur ein Müssen, es ist auch ein Können. Es muss nun darum gehen, wie Europa diese Chance ausfüllt.

Das könnte Sie auch interessieren:

In einem Multistaatenkonstrukt wie der EU ist es schwerer, gemeinsame Interessen und Ziele zu definieren, als in den USA, China oder Russland. Aber es ist nicht nur lohnend, sondern auch notwendig. Es reicht ein Blick auf die Landkarte: Afrika ist ein Nachbar Europas.

Kramp-Karrenbauer und Macron formulieren beide sowohl die Notwendigkeit als auch die Verbundenheit mit den USA, die ja schon allein über die Nato ein wichtiger Partner bleiben. Macron hat der Nato zwar den Hirntod attestiert, eine Ersatz- oder Parallelorganisation hat er allerdings nicht konkretisiert.

Umso absurder ist der Streit. Gemeinsam ließe sich mehr erreichen.

KStA abonnieren