Kühnert gegen HeilDieses Duell bestimmt den Kurs der SPD

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Hubertus Heil und Kevin Kühnert

Hubertus Heil (l.) und Kevin Kühnert

Berlin – Von seinem Naturell her ist Arbeitsminister Hubertus Heil ein eher sachlicher und nüchterner Mensch. Am Samstagmittag aber wird der Mann aus dem niedersächsischen Peine plötzlich sentimental. „Das ist ein sehr besonderer Moment für unsere Partei“, sagt er, und der Jubel der Sozialdemokraten in einer Berliner Messehalle gibt ihm Recht.

Die Delegierten des SPD-Parteitages haben soeben das neue Sozialstaatskonzept der Partei beschlossen. Das umfangreiche Reformprogramm soll die sozialen Sicherungssysteme fit für die Zukunft machen. Vor allem aber soll es der SPD helfen, endlich ihr Hartz-IV-Trauma zu überwinden.

Sozialstaatskonzept von Kühnert und Schwesig

Seit der damalige SPD-Kanzler Gerhard Schröder vor nunmehr 16 Jahren seine Agenda 2010 vorgestellt hat, ringt die SPD damit, wie sie mit diesem schwierigen Erbe umgehen soll. Pragmatische Sozialdemokraten verweisen auf die Erfolge der Schröder‘schen Reformen, unter linken Genossen gilt das Programm noch immer als Sündenfall schlechthin.

Das Sozialstaatskonzept, erarbeitet von einer Kommission unter der Leitung von Kevin Kühnert und Manuela Schwesig, parteiintern durchgesetzt von Andrea Nahles, soll nun dabei helfen, den Streit ein für alle Mal beizulegen.

Es sieht eine länger Bezugsdauer des Arbeitslosengeldes I vor, außerdem einen Rechtsanspruch auf Weiterbildung. Das Arbeitslosengeld II, im Volksmund Hartz IV, wollen die Genossen abschaffen und durch ein Bürgergeld ersetzen. Der Rechtsanspruch der Leistungsbezieher soll stärker betont werden, Leistungskürzungen bei Pflichtverletzungen deutlich zurückgefahren werden.

Heil lobt das Konzept als „Weg der Sozialdemokratie in die Zukunft“. Er bedankt sich namentlich bei nahezu allen, die daran mitgearbeitet haben. Nur den Namen Kühnerts erwähnt er nicht.

Niemand will den Burgfrieden brechen

Kühnert gegen Heil – das scheint das neue Dauerduell in der SPD zu werden. Am Freitag hatten sich beide Politiker um einen Posten als stellvertretender Parteivorsitzender gestritten, eine Kampfabstimmung konnte nur verhindert werden, indem die ursprünglich geplante Verkleinerung der engeren Parteiführung abgeblasen wurde. Nun haben beide einen Platz: Heil als Vertreter der pragmatischen Regierungs-SPD und Kühnert als Vertreter der linken GroKo-Kritiker.

Bereits am Samstag liegt beim Thema Sanktionen schon wieder ein Showdown in der Luft. Kühnert und seine Jusos fordern eine vollständige Streichung, Heil und die übrigen SPD-Minister wollen das Druckmittel für Härtefälle beibehalten.

„Im Rahmen der individuellen Möglichkeiten, sollten die Menschen schon mitwirken“, sagt Heil in seiner Rede. Die Mitarbeiter in den Jobcentern seien keine Unmenschen, sondern Vertreter des Rechtsstaates. Man dürfe die Qualität des Sozialstaats nicht an der Höhe der Transfers festmachen, sagt der Minister. „Es muss darum gehen, Menschen aus der Arbeitslosigkeit zu bekommen.“

Heil und Kühnert regeln die Sache unter sich

Die Gegenposition vertritt die früherer Juso-Chefin Franziska Drohsel. Es sei ein „neoliberales Dogma“, dass man Menschen nur lange genug triezen müsse, um die in Arbeit zu bringen, sagt die Berlinerin. Sie fordert, das Sanktionssystem komplett abzuschaffen.

Hinter den Kulissen wird hektisch verhandelt, ein Kompromiss soll die Klärung des Streits per Abstimmung verhindern. Niemand hat ein Interesse daran, den mühsam geschlossenen Burgfrieden wieder zu brechen.

Am Ende regeln Heil und Kühnert die Sache unter sich. „Das sozio-ökonomische und sozio-kulturelle Existenzminimum muss jederzeit gesichert sein“, lautet die Kompromissformulierung, die sie in den Antrag schreiben.

Aus Sicht von Kühnert ist die Formulierung ein De-Facto-Abschaffung von Sanktionen, aus Sicht von Heil bleiben Leistungskürzungen prinzipiell möglich. Das aus dem SPD-Antrag gegen den Widerstand der Union kaum Regierungshandeln wird, bleibt den frischgebackenen Parteivizes die Probe aufs Exempel wohl erspart.

Allerdings muss Arbeitsminister Heil noch nach ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom November umsetzen, nach dem die Jobcenter die monatlichen Leistungen nicht stärker als um 30 Prozent kürzen dürfen. Gut möglich, dass Kühnert versuchen wird, seinen neuen Gegenspieler zu mehr zu drängen.

Der Juso-Chef hat seine Macht deutlich ausgebaut, er ist nun unbestritten Vordenker und Taktgeber der Linken in der SPD.

Der unsanfte Abschied von Ralf Stegner

Die bundespolitische Karriere von Ralf Stegner, der bislang diesen Titel für sich in Anspruch genommen hat, wird dagegen beim Parteitag auf die unsanfte Art beendet. Stegner hatte bis zuletzt gehofft, den stellvertretenden Parteivorsitz irgendwie retten zu können. Erst nachdem Kühnert seine Kandidatur erklärt hatte, zog der Mann aus Schleswig-Holstein zurück.

Wenigstens Beisitzer im Parteivorstand wollte Stegner dann noch werden, doch bei der Wahl am Samstag fällt er mit einem desaströsen Ergebnis durch. 165 Stimmen bekommt Stegner im ersten Wahlgang, 290 wären für den Einzug in den SPD-Vorstand nötig. Es ist eines der schlechtesten Wahlergebnisse und eine Demütigung für den Mann aus Bordesholm, der sich an der Seite von Gesine Schwan um den Parteivorsitz beworben hatte. Den zweiten Wahlgang tut Stegner sich nicht mehr an - und zieht zurück.

Auch Berlins Regierender Bürgermeister Michael Müller winkt nach einer Niederlage im ersten Versuch ab. Als amtierenden Vorsitzender eines Landesverbandes darf er aber auch so an den Gremiensitzungen teilnehmen.

Denkzettel für Heiko Maas

Der Hamburger Niels Annen hingegen, immerhin früherer Juso-Chef und Staatsminister im Auswärtigen Amt, wird aus dem Parteivorstand hinaus befördert. Annen fällt in beiden Wahlgängen durch, die Parteilinken tragen ihm seine Unterstützung von Olaf Scholz nach.

Außenminister Heiko Maas bekommt im ersten Wahlgang einen Denkzettel, der Saarländer schafft es erst im zweiten Anlauf in den Vorstand.

Den Ton dort geben künftig andere an.

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