Lehren der PandemieWas wir in der zweiten Corona-Welle besser machen sollten

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Corona Grafik Virus

Die Corona-Warn-App soll bei der Eindämmung der Infektionen mit dem Coronavirus helfen. Eins von vielen Fragmenten in der Bekämpfung der Pandemie. (Symbolbild)

  • Kaum jemand bestreitet es mehr: Die zweite Welle der Corona-Pandemie ist da.
  • Sie war lange erwartet worden – aber sind die Antworten darauf nun entsprechend durchdacht?
  • Und was können Politik und Bürger jetzt besser machen? Die große Analyse mit Blick auf die wichtigsten Orte und Lebensbereiche.

Köln/Berlin – Die zweite Corona-Welle ist da – und sie ist sogar höher als die erste. Seit Tagen meldet das Robert-Koch-Institut (RKI) Infektionszahlen, die über den Höchstwerten des Frühjahrs liegen. Am Mittwoch waren es 7600 Neuinfektionen innerhalb eines Tages, in über 100 Landkreisen wird die kritische Rate von 50 Infektionen pro 100 000 Einwohner in sieben Tagen überschritten. Im Frühjahr war das gesamte Land heruntergefahren worden, um das Infektionsgeschehen in den Griff zu bekommen. Und jetzt? Zweite Welle, zweiter Lockdown?

Unbestritten ist, dass das Land heute besser aufgestellt ist als noch zu Jahresanfang. Die Wissenschaft ist weiter, es gibt ausreichend Schutzkleidung, Hygienekonzepte werden umgesetzt und die Menschen sind an das Maskentragen gewöhnt. Manche Probleme aber bleiben. Wir haben uns die wichtigen Felder genauer angeschaut.

Kindertagesstätten

Beim ersten Lockdown war die Unsicherheit riesengroß, welche Rolle Kinder bei der Verbreitung des Virus spielen. Auch die ganz Kleinen mussten also lange Zeit zu Hause bleiben, was berufstätige Eltern in Schwierigkeiten brachte. Mittlerweile sind die Kitas wieder geöffnet – und es gibt dank wissenschaftlicher Begleitung neue Erkenntnisse. Kinder im Kita-Alter seien keine Infektionstreiber, so hat es Bundesfamilienministerin Franziska Giffey (SPD) formuliert. Der Corona-Kita-Studie zufolge, die noch bis Ende 2021 fortgeführt werden soll, musste nach der Wiedereröffnung nur ein Prozent der Kitas wegen Infektionen schließen. Die insgesamt stark steigenden Infektionszahlen haben sich demnach in den Kitas bisher nicht ausgewirkt.

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Bundesregierung und Landesregierungen folgern daraus, dass Kitas die Letzten sein sollten, die schließen müssen. Sollte es dennoch zu generellen Schließungen kommen, kann man aus dem letzten Lockdown eines lernen: Wichtig sind nachvollziehbare, nicht zu eng gefasste Gruppen, die ihre Kinder in die Notbetreuung schicken dürfen. Dabei geht es nicht nur um Eltern in systemrelevanten Berufen, sondern auch um Alleinerziehende, die nicht im Homeoffice arbeiten können.

Schulen

Die Politiker wollen großflächige Schließungen diesmal vermeiden. Denn auch Schulen sind bislang nicht zu Superspreadern geworden. Und: Unter Schulschließungen leiden zuallererst diejenigen, die zu Hause nicht so gut gefördert werden können. Das verschärft die in Deutschland ohnehin große Bildungsungerechtigkeit weiter. Helfen sollen auch Masken im Unterricht und auf jeden Fall häufiges Lüften.

Wären die Schulen diesmal besser vorbereitet, wenn es zum Lockdown käme? Nach ersten Erfahrungen im Frühjahr sind die Sommerferien nicht genutzt worden, um eine große Fortbildungsoffensive „Digitales Unterrichten“ zu starten. Die Milliarden, die der Bund für die Digitalisierung der Schulen gegeben hat, sind dort noch nicht angekommen. Zumindest gibt es die Hoffnung, dass bis Ende des Jahres viele Lehrer den versprochenen Dienstlaptop haben könnten.

Krankenhäuser

Die Sorge, dass die Intensivkapazitäten der Kliniken nicht mehr für die Versorgung von Covid-19-Patienten ausreichen, war der ausschlaggebende Grund für den Lockdown im Frühjahr. Damals gab es keinerlei Daten darüber, wie viele geeignete Behandlungsplätze in Deutschland überhaupt vorhanden sind. Doch innerhalb weniger Wochen wurde eine umfassende Datenbank aufgebaut, an die Krankenhäuser täglich ihre Kapazitäten melden müssen: Derzeit sind in 1286 Kliniken 30 276 Intensivbetten registriert. Davon sind 21 301 (71 Prozent) belegt, 880 mit Covid-19-Patienten. 8872 (28 Prozent) sind frei.

Unterm Strich gibt es 10 000 Beatmungsplätze, mehr als noch im Frühjahr. Innerhalb von sieben Tagen können weitere 12 000 Betten aktiviert werden – im europäischen Vergleich sehr hohen Kapazitäten. Spitzt sich die Corona-Lage weiter zu, könnte Bundesgesundheitsminister Jens Spahn die Kliniken anweisen, planbare OPs zu verschieben. Engpässe gibt es aber beim Personal im Intensivbereich. Fazit: Die Lage ist besser als im Frühjahr. Steigt aber der Anteil der Schwerkranken an, geraten die Kliniken an ihre Grenzen.

Pflegeheime

Der Umgang mit Pflegebedürftigen in stationären Einrichtungen gehört zu den dunkelsten Kapiteln der Pandemie. Weil sich im Frühjahr die Todesfälle in Heimen mehrten, wurden die Einrichtungen praktisch flächendeckend abgeriegelt. Viele Pflegebedürftige starben allein. Experten sprachen von unmenschlichen Härten.

Trotz strengster Hygienekonzepte bleiben diese Einrichtungen Hotspots. Nach einer Studie der Universität Bremen aus dem Sommer ist die Sterblichkeit unter Pflegebedürftigen mehr als fünfzig Mal so hoch wie im Rest der Bevölkerung. Deutlich höher ist auch das Infektionsrisiko für das Personal.

Eine Entlastung verspricht Spahn, weil in Heimen vermehrt Antigen-Schnelltests für Personal, Bewohner und Besucher eingesetzt werden sollen. Damit könnte das Infektionsrisiko gesenkt werden. Derzeit stehen aber noch nicht genug Tests zur Verfügung. Die Lage in Pflegeheimen ist also nur leicht entspannt. Weiter muss mit vielen Todesfällen gerechnet werden.

Einzelhandel

Vor vielen Supermärkten wachten beim ersten Lockdown Sicherheitsdienste, um nur Kundschaft mit Mund-Nasen-Schutz reinzulassen. Da hat sich offenbar etwas festgesetzt. „Die Kunden machen noch immer sehr diszipliniert mit“, sagt ein Sprecher des Handelsverbandes HDE. Von Ansteckungen in Geschäften sei nichts bekannt. Wobei es als offenes Geheimnis gilt, dass die Abstandsregeln oft nicht eingehalten werden können. Eine abermalige zwangsweise Schließung im Einzelhandel aber sei nicht nötig, meint der HDE-Sprecher.

Vor allem Modegeschäfte würde das sehr hart treffen. Und die Versorgung mit dem Nötigsten? Bei einigen Warengruppen wie Toilettenpapier oder Teigwaren sei regional wieder eine erhöhte Nachfrage erkennbar. Dass es wieder leere Regale geben könnte, halten Experten für ausgeschlossen. Denn seinerzeit gab es auch Engpässe, weil Lieferketten durch die Schließung von Landesgrenzen unterbrochen wurden. Diesmal baut die EU vor.

Grenzen und Warenverkehr

Eines der ersten Opfer der Pandemie war die Reisefreiheit. Ein EU-Mitglied nach dem anderen versuchte, die Ausbreitung des Coronavirus durch Grenzkontrollen und -schließungen zu verlangsamen. Angesichts steigender Infektionszahlen in ganz Europa könnte sich das wiederholen. Dänemark überlegt offenbar, seine Grenze zu Deutschland wieder zu schließen. Und in Ungarn gilt schon seit Wochen ein Einreiseverbot für die meisten Nicht-Ungarn.

Die Mitgliedsstaaten einigten sich jetzt auf ein Ampelsystem, das erneute Reisebeschränkungen verhindern soll. Das gilt aber nur für Menschen, die aus Regionen mit geringen Infektionszahlen in ähnliche Regionen reisen. Das Problem: Die EU kann nur appellieren, die Grenzen offen zu halten. Die Entscheidung fällt in den Hauptstädten. Zumindest der freie Warenverkehr scheint gesichert zu sein. Die EU-Staaten führten nach den frühen Erfahrungen mit der Pandemie sogenannte „Green-Lane“-Übergangsstellen für Lastwagen ein.

Kulturelles Leben

Der Winter macht den Kulturschaffenden das Leben wieder schwerer. Doch die Branche, die von ihrer Kreativität lebt, gibt nicht auf: Chöre proben unter einer Bahnunterführung, Musiker geben Gitarrenunterricht online oder komponieren Filmmusik. Manche Clubs bleiben geschlossen, um ohne hohe Kosten zu „überwintern“. Fans spenden das bezahlte Geld für Eintrittskarten oder kaufen Gutscheine für ihre Lieblingsclubs. Der eine oder andere Künstler orientiert sich auch um.

Um der Branche unter die Arme zu greifen, hat die Bundesregierung neben dem verlängerten Überbrückungshilfeprogramm und KfW-Krediten ein weiteres Förderprogramm mit dem Namen „Neustart Kultur“ aufgelegt. Sie stellt damit 30 Millionen Euro speziell für Privattheater zur Verfügung.

Gastronomie

Gastronomen haben nach dem ersten Lockdown schnell und gut die Schutzmaßnahmen umgesetzt – da besteht für Ingrid Hartges, Hauptgeschäftsführerin des Hotel- und Gaststättenverbandes (Dehoga), kein Zweifel. Eine Studie des Infektionsgeschehens durch das RKI habe ergeben, dass nur 1,6 Prozent der 55 000 untersuchten Covid-19-Fälle auf Besuche in Hotels und Gaststätten zurückzuführen waren.

„Nicht wenige Betriebe verfügen über gute Belüftungssysteme, die die Luft in den Räumen mindestens dreimal pro Stunde komplett auszutauschen“, betont Hartges. Wichtig sei aber, dass sich auch die Gäste an die Regeln halten. Hartges zeigt Verständnis dafür, dass in Hochrisikogebieten Gaststätten geschlossen werden. Entscheidend sei, lokale Beschränkungen so eng wie möglich zu definieren – und dass die Gäste, ob im oder vor dem Lokal, die eigene Verantwortung nie vergessen. (RND)

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