Millionen für PutinEuropas gefährliche Uran-Abhängigkeit von Russland

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Putin Rosatom

Wladimir Putin (l.) besucht 2011 das Rosatom-AKW Kalinin nodwestlich von Moskau. 

  • Russland verdient in Europa Millionen mit Uran und Brennelementen für Atomkraftwerke.
  • Die Abhängigkeit ist für die EU-Länder eine tickende Zeitbombe: Niemand weiß, wie lange es noch Uran aus Russland gibt.
  • Atomkraftgegner aus Russland warnen Europa, dass Putin als nächstes Uran als Druckmittel verwenden könnte.

Berlin – Es war Anfang März, als eine russische II-76-Transportmaschine trotz des EU-Flugverbots in der Slowakei zur Landung ansetzte. Das Flugzeug, das in der Lage ist, schweres militärisches Gerät wie Panzer und Artilleriegeschütze zu transportieren, hatte Brennelemente für die vier russischen Kernkraftwerke in der Slowakei an Bord. Während die USA und die EU immer neue Sanktionspakete gegen Russlands fossile Energieträger beschließen, ist die Atomindustrie bis heute von Sanktionen verschont geblieben. Denn Europa ist stark abhängig von russischem Uran.

20 Prozent stammen aus Russland, weitere 20 Prozent aus dem kremltreuen Kasachstan. Dort wird der Abbau und die Aufbereitung des Urans vom russischen Staatskonzern Rosatom betrieben. Ein Gigakonzern mit weit über 300 Tochterunternehmen, deren Verflechtungen bis tief nach Deutschland reichen.

Ost- und Mitteleuropa von russischem Uran abhängig

Beinahe jeder zweite EU-Staat betreibt Atomkraftwerke, rund 100 Reaktoren sind es insgesamt. Nach Angaben der Europäischen Atomgemeinschaft Euroatom nimmt Russland durch den Uranhandel jährlich mehr als 450 Millionen Euro ein.

Die Abhängigkeit von russischem Uran und Brennelementen ist in Mittel- und Osteuropa besonders groß. Hier befinden sich 18 von Russland gebaute und auf russische Brennelemente angewiesene Atomkraftwerke. Neben den Reaktoren in der Slowakei befinden sich zwei weitere Kernkraftwerke in Bulgarien, sechs in Tschechien, vier in Ungarn und zwei in Finnland. Die EU ist durch die AKWs in diesen fünf Ländern „signifikant verletzbar“, warnte Euratom.

„Die Uranlieferungen aus Russland können diese Länder nicht kurzfristig ersetzen“, erklärt Wladimir Sliwjak von der russischen Anti-Atomkraft-Bewegung Ecodefense. Denn als einziges Unternehmen weltweit stellt Rosatom die sechseckigen Brennstäbe russischer Bauart für die Druckwasserreaktoren her, sagt er im Gespräch mit dem RedaktionsNetzwerk Deutschland (RND).

Frankreich erhält Rohuran aus Russland

Da diese alten Reaktoren wohl höchstens noch zehn Jahre laufen, so Sliwjaks Schätzung, ist es für westliche Unternehmen alles andere als lukrativ, jetzt in die Entwicklung neuer Brennstäbe für diese Kraftwerke zu investieren. Die fünf EU-Länder können an ihrer Abhängigkeit nichts ändern und sind Russland ausgeliefert. Dass sie sich gegen ein Uranembargo aussprechen, verwundert kaum.

Bei Europas größtem Atomstromerzeuger Frankreich ist es anders: Das Land produziert zwar seine Brennelemente selbst, erhält aber große Teile des Rohurans aus Russland und Kasachstan. Frankreichs Lage vergleicht Sliwjak mit Deutschlands Weg raus aus den russischen Gaslieferungen. Doch den Franzosen fehle der politische Wille und die Unternehmen wollten nichts ändern, schließlich gebe es keine Sanktionen. „Frankreich hofft, dass Putin weiterhin so nett sein wird und Uran liefert. Aber das ist ein gefährlicher Irrtum.“ Putin wird diese Abhängigkeit definitiv ausnutzen, ist sich Sliwjak sicher.

Russischer Staatskonzern Rosatom arbeitet weiter in Deutschland

Auch Deutschland arbeitet im Bereich der Kernenergie weiterhin mit Russland zusammen: Bei der Lagerung radioaktiver Abfälle aus Deutschland und dem Rückbau der Atomkraftwerke in Neckarwestheim und Philippsburg hat ebenfalls der russische Staatskonzern Rosatom seine Finger im Spiel. Seine Tochterfirma Nukem Technologies führt diese Arbeiten in Deutschland aus. Außerdem wird in der niedersächsischen Stadt Lingen russisches Uran verarbeitet, um es an Atomkraftwerke in Frankreich, Belgien, der Schweiz, Großbritannien, Spanien, Schweden, den Niederlanden und Finnland zu liefern.

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Im Frühjahr hatte das Europäische Parlament mit großer Mehrheit ein sofortiges Embargo für Kernbrennstoff gefordert und wollte „die Zusammenarbeit mit russischen Unternehmen bei bestehenden und neuen Nuklearprojekten beenden“. Terry Reintke, Co-Fraktionsvorsitzende der Grünen/EFA im Europaparlament, sagte dem RND, ihre Fraktion setzte sich weiter für „ein sofortiges Embargo auf Uranimporte und Nukleartechnologie aus Russland“ ein.

Russland macht mit Atomenergie andere Staaten abhängig

Wie systematisch Russland die geopolitische Strategie verfolgt, mit Atomenergie andere Staaten abhängig zu machen, zeigt sich eindringlich in Südafrika. Denn für ärmere Staaten ist der kostspielige Bau von Atomkraftwerken unmöglich und internationale Investoren scheuen den Einstieg in die Kernenergie in diesen Ländern. Als 2014 ein Vertrag zwischen Russland und Südafrika über den Bau von acht bis zehn Atomkraftwerke durch Rosneft öffentlich wurde, war das ganze Ausmaß des „Atomkolonialismus“ sichtbar.

Nicht nur, dass Südafrika für alle Atomunfälle haften sollte. Allein der Bau hätte 20 Jahre gedauert, dann wäre der Reaktor noch 60 Jahre auf russische Brennstäbe angewiesen gewesen. Über die gesamte Zeit wäre Südafrika von russischer Technologie, russischen Spezialisten und der russischen Lieferung von Brennelementen abhängig gewesen. „Russland wollte Südafrika abhängig von seinen Atomkraftwerken machen, wie es zuvor schon Deutschland von russischem Gas abhängig gemacht hat“, meint Sliwjak. „Für Russland ist das kein Geschäft, es ist Politik und eine ziemlich clevere Strategie, um sich Macht und Einfluss in der Welt zu sichern.“

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