Nach Anschlag in WienExperten fürchten Radikalisierung von Islamisten in Haft

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Polizisten stehen vor Kerzen am Tatort Desider-Friedmann-Platz in der Wiener Innenstadt.

Berlin – Experten warnen nach dem jüngsten Terroranschlag von Wien mit fünf Toten vor einer wachsenden Gefahr durch inhaftierte Islamisten, die demnächst freikommen könnten. „Es geht nicht nur um die Islamisten, die entlassen werden“, sagte der Islamexperte und Psychologe Ahmad Mansour dem RedaktionsNetzwerk Deutschland (RND). „Diese Welle kommt nicht erst, sie ist schon da. Wir haben es außerdem mit Menschen zu tun, die sich erst in den Gefängnissen radikalisieren. Sie kommen als Kleinkriminelle rein und als Islamisten wieder raus. Darum müssen wir uns ebenfalls kümmern.“

Nötig sei flächendeckende Präventionsarbeit in Haftanstalten. Überdies müssten bereits existierende Programme professioneller werden. „Wir müssen die Menschen schließlich auch nach der Haft begleiten und ihnen Ausstiegsprogramme anbieten“, betonte Mansour. Denn sowohl mit dem Täter von Dresden als auch mit dem Täter von Wien sei ja gearbeitet worden – letztlich erfolglos. „Die bestehenden Programme sind von Bundesland zu Bundesland sehr unterschiedlich. Nicht alle sind überzeugend.“

„Rund 110“ Gefährder in Haft

Zuvor hatte der Terrorismusexperte Peter R. Neumann vom King’s College in London dem RND gesagt: „Die große Gefahr ist derzeit, dass in Europa in den kommenden Monaten Hunderte Dschihadisten aus Gefängnissen kommen.“ Die meisten von ihnen seien nach 2010 – also dem Beginn des syrischen Bürgerkrieges und dem Erstarken des „Islamischen Staates“ (IS) – nur zu relativ kurzen Strafen verurteilt worden; und nicht alle seien deradikalisiert.

Nach Angaben des Bundeskriminalamtes (BKA) befinden sich von den 620 Islamisten, die derzeit als Gefährder gelten, „rund 110“ in Haft; Anfang 2018 waren es 150. Generalbundesanwalt Peter Frank sagte kürzlich, allein in diesem Jahr habe man rund 320 Islamismusverfahren neu eingeleitet.Der 20-jährige Syrer – der in Dresden zwei Männer mit einem Messer attackiert und dabei einen der beiden getötet hatte – war unter anderem wegen Werbens für eine terroristische Vereinigung, Körperverletzung und Bedrohung zu einer Strafe von zwei Jahren und neun Monaten verurteilt worden. Allerdings kam Abdullah H. nach Verbüßung einer Jugendstrafe vorzeitig auf freien Fuß. Dass er im Jugendgefängnis an einem Deradikalisierungsprogramm teilnahm, nutzte offenbar nichts.

Beratungsstelle hat Zulauf

Der 20-jährige Täter von Wien, Kujtim F., der auf dem Weg nach Syrien Kontakt zu zwei Deutschen hatte, war wegen Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung ebenfalls vorbestraft. Nur kam der Sohn mazedonischer Einwanderer ebenfalls vorzeitig frei. Die Bewährungsauflagen „eine Therapie und Deradikalisierung“ blieben ohne Wirkung. Auch der Attentäter vom Breitscheidplatz, Anis Amri, soll sich in Haft radikalisiert haben. Fachleute nannten Gefängnisse bereits in der Vergangenheit

Nach Anschlag in Wien hat sich Einzeltäter-Theorie bestätigtDie Beratungsstelle Radikalisierung beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bamf) registriert unterdessen einen wachsenden Zulauf. „Die Bamf-Hotline hat seit dem Start 2012 knapp 4600 Anrufe entgegengenommen“, sagte ein Sprecher dem RND; Mitte 2019 hatte diese Zahl noch bei 4400 gelegen. „Davon wurden knapp 1200 Sachverhalte an das Netzwerk der Beratungsstellen zur weiteren Betreuung weitergeleitet. Das gesamte Netzwerk hat seit 2012 mehr als 2800 Fälle bearbeitet.“

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Er fügte hinzu: „Bereits jetzt zeichnet sich nach den Ereignissen der vergangenen Tage in Frankreich, Dresden und Wien ein erhöhtes Aufkommen an der Hotline ab.“ Das sei in der Vergangenheit nach entsprechenden Ereignissen ähnlich gewesen. (RND)

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