Nach dem Sturm auf das KapitolIn den USA wächst Sorge vor unkontrollierbarem Trump

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Der scheidende US-Präsident Donald Trump

Washington – Der Mann redet gequält und teilnahmslos. Wort für Wort liest er monoton vom Teleprompter ab. Donald Trump wirkt wie in Geiselhaft, als er endlich seine Niederlage eingesteht. Natürlich tut er das nicht direkt. Aber er erklärt: „Eine neue Regierung wird am 20. Januar vereidigt werden.“ Nun wolle er sich auf „eine reibungslose, geordnete und nahtlose Machtübergabe“ konzentrieren.

Das zweieinhalbminütige Video, das der amtierende amerikanische Präsident am Donnerstagabend ins Netz stellen ließ, scheint eine klare Abkehr von früheren Äußerungen zu markieren. Noch am Mittwochmorgen hatte er die Protestler aufgehetzt, sie sollten „wie der Teufel“ kämpfen.

Trump nahm Erstürmung angeblich amüsiert zur Kenntnis

Doch gibt es ernste Zweifel, dass Trump wirklich so denkt, wie er neuerdings redet. Einem Bericht der „Washington Post“ zufolge hat er die Erstürmung des Kapitols durch seine gewaltsamen Anhänger vor dem, Fernsehen „amüsiert“ verfolgt und sich nur an der pöbelhaften Inszenierung gestört.

Offenbar weigerte sich der Präsident zunächst auch, die Video-Botschaft aufzunehmen. Laut „New York Times“ lenkte er erst unter dem massiven Druck seiner verbliebenen Berater und aus Angst vor einer strafrechtlichen Verfolgung ein. Kurz zuvor hatte nämlich Michael Sherwin, der Washingtoner Bundes-Staatsanwalt, eine Pressekonferenz gegeben und erklärt, dass die Justiz alle Akteure des Beinahe-Staatsstreichs in den Blick nehme und keineswegs nur die Besetzer des Kapitols. Auf die Frage, ob er damit auch Trump meine, wiederholte er ausdrückliche: „Wir untersuchen alle Akteure.“

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Vor dem Hintergrund der wenig glaubhaften Abkehr Trumps von seinen unberechenbaren und wahnhaften Aktionen wächst in Washington die Sorge vor den verbleibenden zwölf Tagen des Kommandeurs des US-Atomwaffenarsenals im Amt. „Jeder Tag kann eine Horrorshow für Amerika sein“, sagte Nancy Pelosi, die demokratische Sprecherin des Repräsentantenhauses.

Die „Washington Post“ beschreibt Trumps derzeitigen Zustand als „aufgebracht, haltlos und psychologisch fragil“. In amerikanischen Medien ist von der Gefahr weiterer Aufrufe zur Gewalt, tollkühner Personalentscheidungen, skandalöser Begnadigungen inklusive seiner eigenen Person und der Inszenierung eines kriegerischen Konflikts die Rede. Trump wirkt wie eine tickende Zeitbombe im Weißen Haus.

Schnelle Entfernung aus dem Amt schwierig

Die Demokraten drängen daher auf eine schnellstmögliche Entfernung Trumps aus dem Amt. Gemeinsam mit dem künftigen Mehrheitsführer im Senat, Chuck Schumer, rief Pelosi zur Anwendung des Zusatzartikels 25 der US-Verfassung auf. Dieser Paragraf erlaubt es, den Präsidenten für unfähig zu erklären, „die Rechte und Pflichten des Amtes auszuüben“.

Das müsste jedoch vom Vizepräsidenten und einer Mehrheit des Kabinetts beschlossen werden. Ein Versuch von Pelosi und Schumer, darüber mit Vizepräsident Mike Pence zu sprechen, scheiterte. Der Republikaner ließ die beiden Demokraten am Donnerstag erst 25 Minuten in der Telefonleitung warten und erklärte später intern, er werde nicht für die Amtsenthebung stimmen.

Damit verbleiben zwei Möglichkeiten für eine vorzeitige Räumung des Oval Office: Der Präsident könnte freiwillig zurücktreten. Dazu forderte ihn die konservative Meinungsredaktion des „Wall Street Journal“, die im Wahlkampf eine verstörende Sympathie für Trump gezeigt hatte, am Freitag auf. Ein freiwilliger Abgang und die Übergabe der Amtsgeschäfte an Pence sei „die sauberste Lösung“ und „das Beste für jeden, auch ihn selbst“, schrieb die Wirtschaftszeitung.

Es ist fraglich, ob Trump das genauso sieht. Deshalb sind die Demokraten entschlossen, trotz der Kürze der Zeit ein neues Impeachment-Verfahren anzustrengen. „Wenn sich Mike Pence nicht an seinen Eid halten und den Präsidenten aus dem Amt entfernen wird, um unsere Demokratie zu verteidigen, dann werden wir das Impeachment vorantreiben“, kündigte die ranghohe Abgeordnete Kateherine Clark am Freitag an. Schon nächste Woche könne das Repräsentantenhaus abstimmen.

Beobachter halten diesen Vorstoß freilich eher für symbolisch. Eine Mehrheit für die Amtsenthebung in der demokratisch beherrschten ersten Kammer wäre zwar sicher. Doch danach käme das Vorhaben in den Senat, wo es schon beim ersten Mal in der Ukraine-Affäre scheiterte.

Um die erforderliche Zweidrittelmehrheit zu erreichen, müssten dort 16 Republikaner mit den Demokraten stimmen. Bislang hat nur der republikanische Senator Ben Sasse angedeutet, dass er sich eine Unterstützung vorstellen könne.

Neues Impeachment-Verfahren politisch-taktisch sinnvoll

Dennoch, argumentiert die renommierte Kolumnistin Susan Glaser, mache das Impeachment-Vefahren politisch Sinn. Es markiere für die Geschichtsbücher, dass es auch für einen Präsidenten Grenzen der Rechtlosigkeit gebe.

Zugleich zwinge es die Republikaner im Senat zu einem klaren Bekenntnis für oder gegen Trump. Tatsächlich hat zumindest in der Regierung bereits eine rasante Absetzbewegung begonnen. Unter anderem erklärten Bildungsministerin Betsy DeVos und Verkehrsministerin Elaine Chao, die Ehefrau des republikanischen Senatsführer Mitch McConnell, ihren Rücktritt.

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